© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Es gibt nur ein Europa der Vaterländer
Der Historiker Dominik Geppert befürwortet die europäische Leitidee einer „liberalen Ordnung“, in der die Vielfalt der Nationen nicht eingeebnet werden soll
Michael von Prollius

Wenn wir einseitig die europäische Solidarität beschwören und nationale Traditionen, Denkweisen und Interessen verleugnen, sind wir auf ein Europa fixiert, das es nicht gibt.“ Mit diesen Worten schließt der Bonner Professor für Neuere und Neueste Geschichte Dominik Geppert seine pointierte und historisch fundierte Analyse zur fatalen Sprengkraft des Euro.

In neun Kapiteln wird die politische Krise Europas in historischer, machtpolitischer, ökonomischer und juristischer Perspektive ausgeleuchtet. Deutlich wie in keiner anderen Publikation treten die unterschiedlichen nationalen Interessen hervor. Vielfalt und Eigenheiten der Nationen, die per Zentralismus nicht einzuebnen sind, gehen einher mit divergierenden Interessen und unterschiedlichen nationalen Lehren aus der Geschichte Europas für den Umgang mit der Gegenwart.

Der Versuch, mit der supranationalen Währung Euro eine politische Einigung zu konstruieren, bewirke indes das Gegenteil von dem, was bezweckt war, nämlich die nationalistischen Geister der Vergangenheit erneut zu wecken. Zugleich drohe das praktizierte Aushebeln von Rechtsstaat und Demokratie im Zuge einer „Notverordnungs-Demokratie“, die der „Logik des Ausnahmezustandes“ folge, die „Errungenschaften von über dreihundert Jahren westlicher Demokratiegeschichte und Rechtsstaatstradition zu untergraben“, urteilt Geppert.

Der kompakte Band bietet historische Lehren. Bemerkenswerte Parallelen bestehen mit 1914, darunter aufgeladene Nationalismen und die Perzeption Deutschlands als Bedrohung. Erneut bricht die Krise an der südöstlichen Peripherie Europas aus. Wieder einmal spielen organisierte (ökonomische) Interessen ihren machtvollen Einfluß auf die Politik aus. Zudem ist die deutsche Frage zurückgekehrt: Wie läßt sich die mit der „halbhegemonialen Stellung“ der Bismarckzeit verwandte Position Deutschlands in den europäischen Kontinent stabilitäts- und prosperitätsfördernd einordnen?

Auch Erfolge und Scheitern der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg werden prägnant skizziert. Stets kommen die strategische Perspektive und das persönliche Ansinnen führender Persönlichkeiten, darunter Helmut Kohl, zum Ausdruck. Deutlich wird, wie sehr Frankreich EU-Institutionen vom Maastricht-Vertrag über die EZB-Politik bis zu den Rettungspaketen für sich nutzen, erobern und schleifen konnte. Dennoch scheitert Frankreichs Führungsanspruch an seiner wirtschaftlichen Malaise. Inzwischen sei die deutsch-französische Achse ein Opfer der Euro-Misere.

Im abschließenden Kapitel „Das Eu-ropa der Zukunft“ werden drei Szenarien analysiert: Ein als utopisch eingeschätzter verspäteter Durchbruch zu den Vereinigten Staaten von Europa. Eine Europa spaltende Transfer- und Haftungsunion. Schließlich die befürwortete Leitidee einer „liberalen Ordnung“: ein offeneres, vielseitigeres, dezentrales Europa als Ziel, ein Europa der Vaterländer, die durch zahlreiche gemeinsame Interessen verflochten sind, aber ihre Eigenständigkeit nicht einbüßen. Der derzeitige „Mythos Europa“ sei nicht identisch mit der Realität, die EU nicht Europa. Tatsächlich fehlen eine europäische Identität und europaübergreifende Debatten. Europa ist nicht einmal der propagierte Akteur mit weltpolitischer Geltung.

Der frühere wissenschaftliche Mitarbeiter von Arnulf Baring teilt dessen klaren strategischen Blick. Er legt nicht nur dar, daß die deutsche Geschichte durch Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit geprägt ist. Vielmehr gelingt es Geppert, die Europa-Realität von verschleiernden Euro- und EU-Illusionen zu befreien. Der Autor von „Maggie Thatchers Roßkur. Ein Rezept für Deutschland?“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine offene Diskussion über die Zukunft Europas in Deutschland anzustoßen, nachdem das Baring 1997 mit „Scheitert Deutschland?“ nicht gelungen war. Eine zentrale Botschaft lautet: Nation und Nationalstaat können nicht nur zerstörerisch wirken, sondern auch befreiend. Kaufen, lesen, diskutieren Sie!

 

Dr. Michael von Prollius ist Gründer der Netzplattform „Forum Ordnungspolitik“. Im Herbst 2013 erscheint sein mit Thorsten Polleit verfaßtes Buch „Geldreform. Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld“.

Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro. Europa Verlag, München 2013, gebunden, 192 Seiten, 16,99 Euro

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