© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Arbeit am Wir-Gefühl
In steinigem Terrain: Deutschpolnische Erinnerungen
Oliver Busch

Geschichtspolitische Analysen (…) klären politisch geprägte und staatlich geförderte Interpretationen der Vergangenheit auf und entsprechen somit einem herrschaftskritischen Ansatz“, der einst auch die Institutionalisierung der Politikwissenschaft als „Demokratie- und Oppositionswissenschaft“ beflügelt habe.

Da ist sie wieder, die vertraute Situationskomik des Politologen Peter Steinbach, dessen pensionsberechtigte „Herrschaftskritik“ natürlich nicht „staatlich gefördert“ ist und dessen Fach selbstredend nicht etabliert wurde zwecks Umerziehung der Westdeutschen, sondern sich seit sechzig Jahren als „Oppositionswissenschaft“ abquält. Ungeachtet solcher Orientierungslosigkeit ist Steinbach, als langjähriger Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, noch in der Lage, sich als „Akteur der Geschichtspraxis“, soll heißen der „wertorientierten“ Vermittlung von Erinnerung zu begreifen, als einer von zahllosen Historikern, der an der „Identität“ eines national konstituierten Kollektivs, an dessen „Wir-Gefühl“ arbeitet.

Darum steht sein Aufsatz „Erinnerung – Gedenken – Geschichtspolitik“ nun in einem Sammelband, den Hans Henning Hahn (Oldenburg) und Robert Traba (Berlin) zum Thema „Deutsch-Polnische Erinnerungsorte“ herausgegeben haben. Es handelt sich dabei um den vierten Band einer Reihe, die sich bisher mit der konfliktreichen, beinahe tausendjährigen deutsch-polnischen Nachbarschaft und ihrer historiographischen Spiegelung beschäftigte.

In diesem Band kommen sie indes eher am Rande vor, da die Beiträger eingeladen wurden zu „Reflexionen“ über so ungreifbar wirkende Phänomene wie Vergangenheit, Erinnerung, Gedächtnis. Die deutschen Bemühungen dazu, Steinbach voran, aber auch Hahns offenbar vom „Zentrum gegen Vertreibungen“ motivierter Vorschlag, für die „binationale Erinnerungspolitik“ einen politisch korrekten „Verhaltenskodex“ zu fixieren, darf man getrost überblättern. Die polnischen Historiker, vor allem Jerzy Jedlicki und Maciej Górny, zeigen hingegen, wie sich die komplexen anthropologischen wie sozialen Bedingungen des individuellen und kollektiven Gedächtnisses nur mikrologischer Bedachtsamkeit erschließen.

Hans Henning Hahn, Robert Traba: (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Reflexionen. Schöningh Verlag, Paderborn 2013, gebunden, 395 Seiten, 49,90 Euro

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