© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Die Wiedergänger von Leipzig
200 Jahre Völkerschlacht: Kommende Woche läuft die internationale Reenactment-Szene zur Hochform auf
Christian Rudolf

Die Völkerschlacht vor den Toren Leipzigs mit ihren 600.000 beteiligten Soldaten aus über einem Dutzend Nationen war die bis dahin größte Feldschlacht, die die Welt je gesehen hatte. Der entscheidende Wendepunkt in den Befreiungskriegen gegen den größenwahnsinnigen Usurpator Napoleon. Ein Hauen und Stechen sondergleichen mit Zigtausenden Toten oder Verwundeten, verwüsteten Dörfern, blutgetränkter Erde, verwaisten Kindern. Ein Ereignis, das nachhallte. 100 Jahre später wurde auf Initiative des Deutschen Patriotenbundes das Völkerschlachtdenkmal eingeweiht. Exakt an der Stätte, auf der die meisten Soldaten fielen, wacht seither, in Stein gehauen, der Schutzpatron Deutschlands, der Erzengel Michael.

Das sächsische Leipzig und sein Umland stehen in der kommenden Jubiläumswoche bis zum 20. Oktober ganz im Zeichen des Gedenkens, Feierns und Nacherlebens. Auch 200 Jahre danach zieht die Erinnerung an das viertägige Ringen viele tausend Menschen in ihren Bann. So sehr, daß manche in die Kleidung der napoleonischen Ära schlüpfen, um innerlich ganz nah dran zu sein, um mitzufühlen, wie das damals war.

Eine eigene Form des Gedenkens haben die Einwohner des einstigen, längst nach Leipzig eingemeindeten Dorfes Liebertwolkwitz geschaffen. Hier, im Leipziger Südosten, ereignete sich am 14. Oktober 1813 im Vorfeld der Völkerschlacht das größte Kavalleriegefecht aller Zeiten zwischen Truppen der Koalition und den Franzosen. Die unglaubliche Zahl von 14.000 Reitern durchpflügte die Gegend, der Ort blieb niedergebrannt zurück. Heute geht das ganze Dorf auf Zeitreise in das deutsche Schicksalsjahr. Auf dem Liebertwolkwitzer Markt und den umliegenden Gehöften werden zwischen dem 16. und 20. Oktober authentische Szenen nachgespielt und historisches Handwerk gezeigt: Kleine und große Besucher können mit dabei sein, wie Soldaten in Scheunen, auf Böden und in Biwaks Quartier beziehen, wie die Wachtfeuer entzündet werden, die Kavallerie einen Orientierungsritt über das Schlachtfeld unternimmt. Bauern in damaliger Kleidung bringen die Ernte ein, Wagner, Branntweinbrenner, Besenbinder und Laternenmacher zeigen ihre Fertigkeiten – das karge Leben der ländlichen Bevölkerung in schwerer Zeit wird anschaulich gemacht. Dafür schlüpfen 300 Liebertwolkwitzer aus Vereinen, Schule, Handwerk und Kirchgemeinde in Kostüme und erwecken authentische, früher im Dorf lebende Personen wieder zum Leben.

Ein Großereignis für die europäische Reenactment-Szene und der absolute Höhepunkt der Gedenkwoche wird die Historische Gefechtsdarstellung am 20. Oktober sein. 6.000 Geschichtsbegeisterte stellen einen Querschnitt der Kämpfe aus der Völkerschlacht nach – nicht nach Gutdünken, sondern nach intensivem Studium und mit dem Segen einer militärhistorischen Kommission. Auf einem hügeligen Feld von über 1.200 Metern Länge am südlichen Stadtrand Leipzigs zeigen Reenactor aus 17 Nationen ihr Können und geben Zeugnis von ihrer Leidenschaft. Fußsoldaten, Berittene und Artilleristen werden an jenem Tag aufmarschieren und den Besuchern eine Augenweide bieten: Die Uniformen der beteiligten Armeen sind ebenso wie ihre Ausstattung exakt nach historischen Vorlagen gefertigt. Einige Darsteller kampieren für mehrere Tage in echten Biwaks und verzichten auf allen modernen Komfort: schlafen auf feuchtem Stroh, Katzenwäsche mit Kaltwasser, kochen auf Feuerstellen, lesen bei Kerzenlicht. Allfällige Müllsäcke gilt es, „mit geeigneten Mitteln“ zu tarnen – nichts soll den Eindruck „von früher“ stören. An junge Hitzköpfe unter den Freizeitsoldaten ist in den viersprachig abgefaßten Sicherheitsregularien schon gedacht: „Eroberungen von Feldzeichen, Ausrüstungsgegenständen, Waffen etc. sowie das Gefangennehmen von Personen gegen ihren Willen sind nicht statthaft.“

Die Schirrmherrschaft über die Biwaks hat übrigens Karl Schwarzenberg übernommen. Der frühere tschechische Außenminister ist direkter Nachfahre des Fürsten Karl Philipp zu Schwarzenberg. Welcher als Oberbefehlshaber der Koalitionsarmee den Korsen vertrieb.

www.leipzig1813.com

www.liebertwolkwitz-1813.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen