© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Hilfssheriff der EU-Kommission
Internationaler Währungsfonds: Eine umfassende Fiskal- und Sozialunion soll die Euro-Krisenländer retten
Wilhelm Hankel

Der Internationale Währungsfonds (IWF), gegründet auf der legendären Bretton-Woods-Konferenz von 1944, um der Welt weitere Wirtschafts- und Währungskriege zu ersparen, verstrickt sich immer mehr in europäische Querelen. Seit Christine Lagarde, die frühere französische Finanzministerin als Chefin fungiert, scheint der IWF zum Hilfssheriff der EU-Kommission zu mutieren. Es begann mit der Entsendung zweier IWF-Vertreter in die „Troika“ aus Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission, die gemeinsam die vertragsgerechte Verwendung der Euro-Rettungsgelder sowie den zeitgerechten Fortgang der damit verknüpften Reformauflagen überprüfen.

Nur: Der IWF ist einzig und allein für die monetäre Außenpolitik seiner Mitgliedsstaaten zuständig. Ein Mitsprache- oder Eingriffsrecht in deren parlamentarische Entscheidungen – und dazu zählen die Auflagen der Troika – hat er nicht. Dennoch legt der IWF-Stab nun unter dem Titel „Toward a Fiscal Union for the Euro Area“ einen detaillierten Vorschlag für die Schaffung einer Euro-Fiskalunion vor, der in schroffem Gegensatz zum Artikel 125 der Arbeitsverträge der EU (AEUV) steht – der berühmten No-bailout-Klausel. Darin vorgesehen sind laufende Abführungen an einen Euro-Fiskalfonds in Höhe von 1,5 bis 2,5 Prozent der nationalen Bruttoinlandsprodukte (BIP). Das wäre angesichts eines Euro-Zonen-BIP von zehn Billionen Euro ein Einlagevolumen von bis zu 250 Milliarden Euro – mehr als das Dreifache der Direkteinzahlungen in den Euro-Rettungsfonds ESM.

Die Summe soll nach Meinung der IWF-Autoren ausreichen, künftig zu befürchtende Krisen- und Einkommensschocks in der Euro-Zone zu verhindern. Vorbild und Modell ist der innerdeutsche Länderfinanzausgleich, mit dessen Hilfe es bei weit geringerem Mitteleinsatz gelungen sei, „80 Prozent der Deutschland sonst drohenden regionalen Einkommens- und Konjunktureinbrüche zu verhindern – verglichen mit den nur 40 Prozent in der Euro-Zone“. Eine Begründung dieser „Erkenntnis“ sucht man ebenso vergebens wie eine Analyse der solchen Plänen entgegenstehenden europarechtlichen Vertragshürden.

Die IWF-Rechtsabteilung hätte die Kollegen der ökonomischen Departments warnen sollen, daß sie sich mit solchen Vorschlägen ins politische Abseits und die Unglaubwürdigkeit manövrieren. Für ihr stärkstes Argument halten die IWF-Ökonomen ihre europäische Zukunftsvision: Gäbe es erst einmal den von ihnen vorgeschlagenen Fiskalfonds, den Finanzausgleich sowie eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung, dann würden alle bisherigen Ad-hoc-Ausgleichsmechanismen – wie unausgeglichene Target-2-Salden bei der EZB oder die Rettungsfonds EFSF und ESM – überflüssig. Mit Hilfe des Fiskalfonds, also eines gemeinsamen Krisenbudgets der Euro-Länder, kehre die angeschlagene Euro-Union wieder zu ihrer Normalität zurück.

Dies ist ein Argument, das es doppelt in sich hat. Denn es besagt auf die Zukunft bezogen, daß die Währungsunion ihre Normalität erst dann erreicht, wenn sie weitere Fortschritte in Richtung eigene Staatlichkeit macht. Doch dieser sich hinter solchen Vorschlägen abzeichnende „Europa-Staat“ wäre ein von EU-Funktionären gesteuerter – und ein weder demokratischer noch ein die Autonomie der europäischen Einzelstaaten respektierender Staat. Soll nun etwa mit IWF-Hilfe der vor zwei Jahrzehnten untergegangene Funktionärsstaat sowjetischer Prägung unter dem Etikett der EU in Brüssel wieder auftauchen?

Am gefährlichsten ist aber die ökonomische Naivität der IWF-Autoren: Wie soll ihr neuer Fiskalfonds zur Rettung der Euro-Krisenländer – und der Investoren in ihre Staatsanleihen – die bereits bestehenden und höchst unübersichtlichen Mechanismen zur Überwindung der Euro-Krise, einschließlich der inflatorischen Direktinterventionen der EZB, überflüssig machen?

Das Gegenteil ist richtig. Und der Euro-Krisenverlauf seit 2009 bestätigt es: Je mehr Geld zur Krisenbekämpfung bereitgestellt wird, desto lascher wird die Krise am Ort ihres Entstehens bekämpft, desto länger schwelt sie fort. Denn es ist die Hilfe von außen, die es den Krisenländern erlaubt, von den einzig und allein wirksamen Krisenbekämpfungsmaßnahmen im Inland Abstand zu nehmen, die notwendigen inneren Reformen weicher zu fahren, als es ohne diese „Hilfe“ möglich wäre.

Der IWF hat in seiner fast 60jährigen Geschichte noch keinem Krisenland geraten, sich anders zu helfen als durch „innere Reformen“ – und diese so schnell und konsequent wie möglich anzugehen wie von der Sache geboten. Von diesem Erfolgspfad weicht der IWF unter Lagarde in geradezu skandalöser Weise ab. Es liegt jetzt an den nichteuropäischen IWF-Mitgliedern – speziell den neuen Erfolgsländern der ehemals Dritten Welt –, der IWF-Führung ins Gedächtnis zurückzurufen: Europa ist weder der Nabel der Weltwirtschaft, noch ist der IWF der Erfüllungsgehilfe der EU-Kommission.

Entweder löst die Euro-Zone ihre Krisenprobleme mit Bordmitteln, was etwa über die Wiedereinführung von nationalen Währungen parallel zum Euro möglich ist – oder sie macht sich selbst zum kranken Mann der neuen Weltwirtschaft.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war von 1967 bis 1972 deutscher „Alternate“ im IWF-Direktorium und an Reformen wie den Sonderziehungsrechten (SDR) beteiligt. In seinem Buch „Die Euro-Bombe wird entschärft“ zeigt er Problemlösungen ohne Inflationierung auf.

www.dr-hankel.de

 

EU-weite Arbeitslosenversicherung

Neben dem eigenen Budget für die Euro-Zone und einem aus Beiträgen der Euro-Mitgliedsländer gespeisten Hilfsfonds schlägt der IWF zugleich eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung (EALV) vor. Diese soll zunächst nur bei krisenbedingter (zyklischer) Arbeitslosigkeit zahlen. Für die Langzeitarbeitslosen sollen weiterhin die nationalen Sozialsysteme greifen. Manuel Müller von den Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) verriet im August bereits konkretes: Denkbar sei ein Modell, „bei dem alle Sozialversicherungspflichtigen zwei Prozent ihres Gehalts in die europäische Versicherung einzahlen und im Falle der Arbeitslosigkeit für zwölf Monate Anspruch auf 50 Prozent ihres letzten Gehalts haben“. Vorige Woche startete auch EU-Sozialkommissar László Andor einen offiziellen Vorstoß für die EALV. Diese solle „die Risiken der ökonomischen Schocks vergemeinschaften und so Fluktuationen in den Nationaleinkommen reduzieren“.

Toward a Fiscal Union for the Euro Area: imf.org

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