© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Die zwei Gesichter Libanons
Besuch bei den christlichen Maroniten: Sorgen um den Religionsproporz
Billy Six

Das hier ist das Paradies. Der echte Libanon.“ Wolkennebel ziehen ihre 1.500 Meter gen Ehden hoch – und lösen sich in nichts auf. Über die idyllische Kleinstadt in den Bergen des nördlichen Libanon wacht von weitem sichtbar eine meterhohe Marienstatue. Sie ist Anlaufpunkt für maronitische Besucher aus dem ganzen Land.

„Hier waren wir im Zweifel immer sicher vor den Moslems“, so eine Familie von der Küste. Die 681 exkommunizierten Christen, die ihren Namen auf den Heiligen Maron, einen syrisch-aramäischen Mönch, zurückführen, verließen im 10. Jahrhundert zu großen Teilen ihre ursprünglich syrische Heimat. Im 12. Jahrhundert kam es zum Bündnis mit den Kreuzrittern – und schließlich zur Anerkennung des Papstamtes.

Nicht umsonst stattete Benedikt XVI. im September 2012 der mit Rom unierten Ostkirche seine letzte Auslandsreise als Kirchenoberhaupt ab. Sichtbare Spuren hat die Visite nicht hinterlassen.

Aber noch immer trauern viele Gesprächspartner Johannes Paul II. nach – „seiner Menschlichkeit“ wegen. Viel eher jedoch aufgrund seines moralischen Beistands im Bürgerkrieg der achtziger Jahre. Bemerkenswert bleibt, daß sich das einzige zusammenhängend von arabischen Christen besiedelte Gebiet des Orients gegen Ende des Gemetzels weniger durch islamische Milizen, als vielmehr durch interne Auseinandersetzungen zwischen den Heerführern Michel Aoun und Samir Geagea bedroht sah.

Heute sucht man die Kriegsspuren vergebens. Es herrscht Betriebsamkeit und eine gewisse Liebe zum Leben. Teure Fahrzeuge von Typ Mercedes oder Ferrari kurven durch die gut ausgebauten Serpentinenstraßen in den Bergen.

Die Dörfer stehen jenen in Süditalien in nichts nach: Gedrungene Steinhäuschen mit backsteinroten Dächern, gemütliche Cafés, breite Plätze – und unverschleierte Mädchen. Nur ab und an stören Arbeitssuchende oder Bettler aus Syrien das Bild eines paradiesischen Garten Eden.

Die laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) 740.000 – inoffiziell bis 1,8 Millionen Migranten aus dem Nachbarland Syrien, sind hier nicht sonderlich beliebt. Libanesen sprechen von zunehmender Kriminalität und der Sorge, die vor allem sunnitischen Flüchtlinge könnten ähnlich wie die Palästinenser im 20. Jahrhundert den Konfessionsproporz verschieben – und damit gar einen neuen Krieg heraufbeschwören.

Offen bleibt, wieso seitens der eine Million Maroniten, die laut Verfassung stets den Präsidenten stellen, kein Einsatz zugunsten der flüchtenden Christen aus Syrien zu erkennen ist. Die diversen Kirchen haben sich bisher nicht einmal dazu durchringen können, die gestrandeten Glaubensgeschwister zu zählen. Unternehmer Fadi Abboud meint, sie könnten ohnehin „problemlos in die USA oder nach Europa emigrieren“.

Tatsächlich ist zu spüren, daß Gastfreundschaft bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie unter sunnitischen Moslems üblich. Die jahrhundertelange Zurückgezogenheit in den Bergen hat ihre Spuren hinterlassen.

Einig sind sich orientalische Christen in der Regel nur darüber, daß sie im Gegensatz zum Abendland göttliche Werte noch in die Höhe halten: Abtreibung und Homo-Ehe lehnen sie ab. Daß in Europa alles erlaubt sei, ist eine Überzeugung, welche Libanesen sogar über die Konfessionsgrenzen hinweg eint. Ebenfalls interessant: Ostchristen benutzen das Wort „Allah“, wenn sie vom Schöpfer sprechen. Im Zusammenleben mit Moslems kann es überlebenswichtig sein, Gemeinsamkeiten zu betonen.

Nicht umsonst halten sich orientalische Christen im Gespräch mit inhaltlicher Kritik am Islam eher zurück. Doch neben der Gefahr für Leib und Leben spielt ein neues Phänomen eine Rolle. Die Gläubigen wollen erkannt haben, daß Islamkritik aus Europa sich oftmals gegen Religion insgesamt richte. Doktor Joseph hat jahrelang als Professor für Nahost-Studien in den USA gelehrt. Seinen vollen Namen, gar ein Foto, will er nicht veröffentlicht sehen. „Ihr im Westen habt Vorurteile gegen den Islam“, meint er. Dies liege daran, daß jeder dschihadistischen Attacke wie der jüngsten Geiselnahme von Nairobi breiter medialer Raum eingeräumt werde. „Die meisten Moslems sind friedlich“, betont der Mann, der auf seinem Grundstück selbst eine private Kirche stehen hat.

Überhaupt, so der Doktor weiter, müsse der Westen, wenn es ihm wirklich um das Wohl der Christen im Morgenlandes gehe, seine Außenpolitik von grund auf überdenken. Mahnend verwies er auf „Bushs Krieg gegen den Irak“, dieser so Joseph, habe zur Folge gehabt, daß fast alle Christen von dort geflohen sind. Nun geschehe das gleiche in Syrien. Den USA und der „sie bestimmenden zionistischen Lobby“ wirft er eine groß angelegte Verschwörung vor: „Dieser Krieg in Syrien ist doch genial: Die Amerikaner haben keine Kosten, aber gewichtige Ergebnisse. Der Iran blutet aufgrund permanenter Hilfslieferungen für Assad aus. Syrien, der letzte ernstzunehmende Gegner Israels, ist geschwächt – und demnächst auch ohne chemische Waffen. Der Kampf radikaler Sunniten und Schiiten schwächt den Islam insgesamt. Die Golfstaaten zahlen die Rechnung – und kaufen US-Waffen.“

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