© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Und sie bewegen sich doch
Regierungsbildung: Vor der zweiten Runde der Sondierungsgespräche haben sich Union und SPD einander angenähert
Paul Rosen

Wie ein Uhrwerk funktioniert der Machtapparat der Berliner Parteien. Die anfängliche Unwucht in Finanzfragen, als die Union sich plötzlich höhere Steuern vorstellen konnte, ist verschwunden. Inzwischen sondieren Christ- und Sozialdemokraten, ob sie Deutschland bis 2017 gemeinsam regieren können. Nach einem ersten Treffen wurde ein zweiter Meinungsaustausch vereinbart. Die Regierungsbildung, von einigen Beobachtern schon in das Jahr 2014 geschoben, ist auf jeden Fall näher gerückt. Von drohenden Neuwahlen ist keine Rede mehr.

Bewegung ist überall erkennbar. Positionen werden abgeworfen wie lästiger Ballast. Da sagt etwa SPD-Chef Sigmar Gabriel, dessen Partei mit einer höheren Belastung von Besserverdienenden und Vermögenden in den Wahlkampf gezogen war: „Für uns sind Steuererhöhungen kein Selbstzweck.“ Die Union müsse, wenn sie keine Steuern erhöhen wolle, erklären, welche Alternativen es zur Finanzierung von besserer Bildung und Infrastruktur gebe.

Die CDU (die CSU wird ihr wie stets mit zeitlicher Verzögerung folgen) hat programmatisch längst auch den Weg für ein Bündnis mit den Grünen freigemacht. Seit Fukushima und dem von Schwarz-Gelb vollzogenen Ausstieg Deutschlands aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie trennt Christdemokraten und Grüne nicht mehr wirklich viel. Noch vor vier Jahren hätte ein schwarz-grünes Bündnis definitiv ausgeschlossen werden können. Jetzt sagt die stellvertretende nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und Grünen-Politikerin Sylvia Lührmann, die selbst in einem Landesbündnis mit der SPD steht, zur Lage auf Bundesebene laut Bild: „Schwarz-Grün hat eine 30-Prozent-Chance.“ Das heißt, die Möglichkeit kann durchaus eintreten, zumal die Grünen in Bewegung sind. Der bei den Schwarzen verhaßte Fraktionschef Jürgen Trittin soll ebenso aus allen Spitzenpositionen herausgehalten werden wie die ebensowenig beliebte Parteichefin Claudia Roth. An ihre Forderung nach Steuererhöhungen wollen die Grünen auch nicht mehr gerne erinnert werden.

Schon wachsen in der SPD die Sorgen, in die strategische Defensive zu kommen, zumal die Union offenbar bereit ist, mit den Grünen mehr als nur ein oberflächliches Sondierungsgespräch zu führen. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) warnte in der Welt: „Wenn es der Union gelingt, die Grünen aus dem linken Lager herauszubrechen, wäre das sicher sehr problematisch für uns.“ Die Konsequenz eines Schwenks der Grünen zur Union bedeutet laut Albig, der in der SPD als Politiker mit großer Zukunft gilt: „Dann wären wir allein auf Rot-Rot angewiesen.“ Was das Wegbrechen eines Partners bedeutet, hat die SPD noch zu gut in Erinnerung: 1982 wechselte die FDP die Seiten und verhalf Helmut Kohl zur Kanzlerschaft. Der CDU-Mann regierte 16 Jahre. Die SPD geriet auf den harten Bänken der Opposition in babylonische Gefangenschaft.

Die Stellungsspiele der bisherigen Oppositionsparteien zeigen aber auch, daß Kanzlerin Angela Merkel und ihr CDU-Stab das Heft voll in der Hand haben. Als erfahrene Handwerker der Macht machen sie die Züge auf dem Berliner Spielbrett. Die seit längerem schrittweise erfolgte und noch erfolgende Öffnung zu den Grünen hat sich aus Sicht der CDU-Führung wie eine Vorsehung erwiesen: Zwar konnte niemand ahnen, daß die FDP in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde, aber jetzt besteht immerhin schon gedanklich eine Alternative zum Bündnis mit der SPD, auch wenn der Berliner Tagesspiegel sich bei Union und SPD an ein „altes Ehepaar“ erinnert fühlt und die These vertritt, der Drang in eine Große Koalition stecke Union und SPD in den Genen.

Umgekehrt bedeutet die neue Parteienkonstellation in Berlin das Aus für die allerletzten konservativen Reste in der Union: Konservative Positionen etwa bei Zuwanderungsfragen und im Lebensrecht würden die fast uneingeschränkte Kompatibilität der Union mit den anderen Fraktionen wieder einschränken. Das ist eine knallharte Folge des Wahlsonntags am 22. September 2013: Den Konservativen in Deutschland bleibt nur noch der außerparlamentarische Widerstand.

Terminierungen zeigen den Weg, wie es weitergehen könnte. Die SPD hat bereits für den 20. Oktober einen Parteikonvent anberaumt, auf dem die formelle Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union beschlossen werden soll. Für den 14. November ist ein SPD-Parteitag angesetzt, auf dem das Regierungsbündnis nach vorhergegangener Befragung der Parteimitglieder endgültig besiegelt werden könnte. Daß die Basis noch aufmucken und die Aussichten der SPD-Spitze auf Ministergehälter, Büros, Dienstwagen und Weltreisen aufhalten könnte, wird nicht mehr erwartet.

Foto: SPD-Politiker Sigmar Gabriel, Hannelore Kraft und Frank-Walter Steinmeier: Die CDU macht die Züge auf dem Berliner Spielbrett

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