© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/13 / 11. Oktober 2013

Furcht vor einer großen Koalition
Opposition: Trotz deutlicher Stimmenverluste ist die Linkspartei nach der Bundestagswahl mit sich im reinen
Paul Leonhard

Die Linkspartei hat den Bundestagswahlkampf und die Stimmauszählung ohne den Ausbruch interner Machtkämpfe überstanden. Die aus westdeutscher WASG und PDS gebildete Partei scheint geeint. Die beiden Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, haben es geschafft, die Grabenkämpfe zu beenden.

Querelen wie bei der Listenaufstellung im Saarland oder wegen der Unterstützung eines konkurrierenden parteilosen Kandidaten in Brandenburg durch Mitglieder der Parteiführung hätten in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle gespielt, freuen sich die Wahlanalysten der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Trotz des Verlustes von 1,4 Millionen Zweitstimmen gegenüber 2005 und aller Direktmandate außerhalb Berlins ist die Parteiführung zufrieden, insbesondere da im Westen mehr als fünf Prozent der Stimmen geholt wurden. Gemessen am innerparteilichen Zustand im Frühjahr 2012, wo die Partei zu zerbrechen drohte, sei das Wahlergebnis ein großer Stabilisierungserfolg, so Sozialwissenschaftler Horst Kahrs in seiner von der Stiftung veröffentlichten Analyse. Zu verdanken sei das Gregor Gysi, der als ein „linker Sisyphos“ mit Erfolg um sein Lebenswerk gekämpft habe.

Gysi wird auch künftig die Bundestagsfraktion führen, voraussichtlich alleine und nicht wie zunächst geplant zusammen mit seiner bisherigen Stellvertreterin Sahra Wagenknecht. Der Linken kommt dabei zugute, daß das Interesse der Medien an ihnen zur Zeit gering ist. So können sie ungestört ihre Stimmverluste analysieren und sich auf weitere vier Jahre in der parlamentarischen Opposition einstellen.

Populistisch bleibt die Linke. Das belegt schon die Forderung von Parteichefin Kipping, daß „alle Parteien links der Mitte gemeinsam ihre Basis befragen sollten, ob sie Rot-Rot-Grün oder Merkel plus wollen“: In ihrer eigenen Partei war die Frage von Opposition und Regierung jahrelang umstritten. Regierungsverantwortung auf Bundesebene zu übernehmen erschien den Orthodoxen als Teufelszeug. Das dürfte sich durch den Zusammenschluß mit der WASG nicht verändert haben, deren Mitglieder zum Großteil enttäuschte Sozialdemokraten oder linke Sektierer sind, auch wenn Kipping jetzt in der Süddeutschen Zeitung behauptet: „Die überwältigende Mehrheit der Partei ist längst weiter.“

Die Linke sei „unberechenbarer und radikaler, als die PDS es in den letzten Jahren war“, warnte schon 2010 Sebastian Prinz in seinem Buch „Die programmatische Entwicklung der PDS“. Darüber täuschen auch nicht programmatische Übereinstimmungen mit SPD und Bündnisgrünen bei sozialen Fragen hinweg. Kipping dürfte insgeheim froh sein, daß sie nicht die eigene Basis befragen muß. „Der Kelch einer Regierungsbeteiligung“, so spotten linke Blogger, sei an der Partei noch einmal vorübergegangen.

Jenseits der aktuellen taktischen Spielchen steht die Linke vor einem gravierenden Problem. So ist sie trotz des Verlustes von zwölf Mandaten drittstärkste Partei im Bundestag geworden, aber ihre parlamentarischen Spielräume werden im Fall einer großen Koalition geringer sein als bisher. Der Opposition wird künftig die für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses oder die Überprüfung von Gesetzen vor dem Bundesverfassungsgericht erforderliche Zustimmung von mindestens 25 Prozent der Abgeordneten fehlen. Linke und Bündnisgrüne erreichen gemeinsam lediglich 20 Prozent. Kipping fordert daher eine Änderung des Grundgesetzes und der Geschäftsordnung des Bundestages. Für die Ausübung der Minderheitenrechte müsse ein einstimmiges Votum der Opposition ausreichen, das sei „ein Gebot der Fairneß“.

Auch wird eine große Koalition den rot-rot-grünen Ländern die Möglichkeit nehmen, den Bundesrat als Oppositionsinstrument zu nutzen. Dieser wird dann keine Bühne mehr für den Schlagabtausch mit der Regierung sein, sondern föderales Aushandlungsinstrument. Sollte Kippings Bitte nach „Faineß“ ungehört verhallen, was anzunehmen ist, bleibt der Linken im Bundestag nur der Wahlkampf und die Nabelschau.

Obwohl aus Sicht der Parteiführung die Wahlergebnisse gezeigt hätten, daß die Linke jetzt mehr als eine Protestpartei sei, warnt Alban Werner in einer Analyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, daß die Linke mehr von Protesthaltungen gegen den Abbau sozialer Rechte zehre als davon, daß Menschen aus tiefster Überzeugung ihr Alternativprogramm zur herrschenden Politik verträten. Wie es mit der Partei weitergeht, wird vor allem von den Landtagswahlen im kommenden Jahr in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abhängen, wo sie vergleichsweise stark verankert ist.

Sollte es ihr gelingen, neue Wählerschaften zu binden und sich insbesondere im Westen weiter zu festigen, werden SPD und Grüne ohne Linkspartei wohl keine Regierungsmehrheit mehr erzielen können. Auch deswegen schließt die SPD eine Koalition mit der Linken nur für 2013 aus. Sollte es in vier Jahren für die Linke theoretisch möglich sein, auf Bundesebene mitzuregieren, müßte sie einige ihrer Grundsätze aufgeben, und die SPD müßte sich, wie Gysi es fordert, „auf die Linke zubewegen“. Für beide Parteien wäre dies aber der erste Schritt zum eigenen Untergang.

Foto: Linksfraktionschef Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht: Spielräume im Parlament werden enger

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen