© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Mephisto war sein Schicksal
Theater: Zur Erinnerung an Gustaf Gründgens
Thorsten Hinz

Aura und Wirkung eines Theaterschauspielers sind durch Worte schwer zu vermitteln. Selbst Filmaufnahmen lassen den versäumten Originaleindruck nur erahnen. Auf eine Bühnenkoryphäe wie Gustaf Gründgens trifft das doppelt zu. Nach seinem Tod am 7. Oktober 1963 schrieb Joachim Kaiser, daß nun jene, die Gründgens nie gesehen hätten, eine andere Theatergeneration bildeten als die Glücklichen, die ihn leibhaftig erleben durften.

Die Kritiker hoben an Gründgens hervor: die Einheit von Feuer und Eis, von Verruchtheit und Eleganz und eine Expressivität, die aus Intensität erwuchs. Über seinen Mephisto, den er 1932 erstmals spielte, schrieb Alfred Kerr. „Die stärkste Seelenkraft, die Geisteskraft ist bei diesem Mephistopheles. Immer mehr kommt es bei Gründgens auf den gefallenen Engel hinaus.“

Die Paraderolle wird Gründgens noch im Nachleben zum Schicksal. Sein kurzzeitiger Schwager Klaus Mann karikierte ihn in dem 1936 erschienenen Roman „Mephisto“ als „Hendrik Höfgen“, einen Opportunisten und Charakterlumpen, der sich um der Karriere willen mit Verbrechern gemein macht. Das Buch ist jedoch seinem Autor auf faszinierende Weise mißlungen: Je negativer er Höfgen zeichnet, um so facettenreicher und fesselnder wirkt er auf den Leser.

Gründgens genoß, vermittelt durch seine Kollegin Emmy Sonnemann, die 1935 Hermann Göring heiratete, die Protektion des zweithöchsten Nationalsozialisten. Das erlaubte ihm, als Intendant das Preußische Staatsschauspiel am Berliner Gendarmenmarkt von NS-Ideologie freizuhalten. Stets nutzte er seine Stellung, um bedrohten Kollegen zu helfen. Der Ost-Berliner Jungkommunist Wolfgang Harich meinte 1946, das Gründgens-Theater habe emporgeragt „aus dem blutigen Grauen der Hitler-Zeit wie Brückenpfeiler, über die der Bogen geistiger Tradition sich zu neuen Ufern spannt“. Kaum war Gründgens 1947 nach Düsseldorf gegangen, schrumpfte er zum „ehrgeizigen Schauspieler“, der unter den Nationalsozialisten die Gelegenheit „zur letzten künstlerischen Entfaltung seines eigenen Willens“ ergriffen habe.

Beide Sichtweisen gehören zusammen, Charakter und Wirkung von Kunst sind multipel. Was vielen Zuschauern damals zur Erbauung und zum Widerstand im Geiste geriet, diente dem Regime zur Legitimation. Aufheben ließ der Widerspruch sich nicht. Gründgens aber hat ihn bravourös ausgehalten.

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