© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Das Schiff als Sinnbild
Unterwegs mit der „MS Reichtum“: In einer Sonderausstellung widmet sich das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden dem gesellschaftlichen Überfluß und der Sorglosigkeit
Paul Leonhard

Tut, tut, tuuut.“ Die Schiffssirene der „MS Reichtum“ heult immer eindringlicher. Einem weißen Luxusliner gleicht das mächtige Gebäude des Deutschen Hygiene-Museums Dresden. Ein Traumschiff, bereit, jederzeit in See zu stechen. Und mit jedem „Tuuut“ legen die herbeiströmenden Passagiere schier einen Schritt zu. Sie eilen über die zum Steg umfunktionierte Rampe, werden von einem weißgekleideten Chefsteward per Handschlag begrüßt. Zwei Drittel der Gäste haben sich an den empfohlenen Dresscode gehalten, sind irgendwie maritim gekleidet.

500 bis 600 sind es später, die „Kapitän“ und Museumsdirektor Klaus Vogel – er trägt gedecktes Blau mit goldenen Streifen an den Hosen und goldenen Kolben an den Ärmeln der Uniform – im Festsaal im zweiten Obergeschoß begrüßt. Dem Reichtum widmet das Hygienemuseum eine aktuelle Sonderausstellung. Und niemanden wundert das, nicht die Passagiere, auch nicht die Journalisten, die schon am Tag zuvor die Schau besichtigen durften. Dabei entsprächen Ausstellungen über Armut doch viel eher dem Zeitgeist, oder?

Rein statistisch müßten unter den Besuchern mindestens fünf Millionäre sitzen. Allerdings hebt niemand die Hand, als Kurator Daniel Tyradellis nach diesen fragt. „Über Reichtum spricht man nicht“, sagt Vogel. Und das allein sei schon ein Grund, dieses Phänomen zu untersuchen.

Eine kurze Definition, was Reichtum ist, liefert der Untertitel der Exposition gleich mit: „Mehr als genug“. Was darunter zu verstehen ist, erfahren die Besucher auf einem Parcours durch die typischen Räume eines Luxusliners. „Unser Traumschiff steht für unbeschwertes Wohlleben und ist zugleich ein Sinnbild für die Gesellschaft als Ganzes – mit all ihren Widersprüchen und Konflikten“, sagt Direktor Vogel.

Deswegen kann jeder Besucher gleich zu Beginn mit Hilfe von statistischem Material feststellen, wo er sich selbst einzuordnen hat. Das durchschnittliche Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland liegt laut Bundesbank bei 195.000 Euro. Drei Vierteln der Bevölkerung gehören 20 Prozent der Immobilien, andererseits besitzt jeder zweite Haushalt Haus- oder Grundstückseigentum. Die Nachfrage ist steigend, was die Ausstellungsmacher als tiefes Mißtrauen gegenüber dem Altersrentenversprechen des Staates werten. Im übrigen reichen geschätzte fünf Millionen Euro aus, um von den Zinsen leben zu können. Aber ist das anzustreben? Arbeit ist mehr als Geld verdienen.

Das mit Antidepressiva vollgestopfte Krankenzimmer und die Frage, wie viel Reichtum gesund ist, kommen erst später. Der erste Raum auf dem Rundgang ist eine Luxuskabine. In ihr werden Fragen beantwortet wie die nach dem Entstehen von Reichtum, ob es dabei gerecht zugeht und ob er die Reichen glücklich macht. Die Bettwäsche ist mit einem langen Ehevertrag bedruckt, die Ordner an den Wändern zeigen, wieviel in Deutschland vererbt wird. Immer länger werden die Krawatten, die die Zahlen verdeutlichen sollen. Kein Wunder, daß sie Begehrlichkeiten beim Fiskus wecken.

Warum aber hängen im Schrank flauschige Bademäntel aus Luxusressorts? Weil sie gern geklaut werden. Bis zu 40 Prozent der Bademäntel werden in Deutschlands teuersten Hotels gestohlen, was beweist: Reichtum schützt vor Diebstahl nicht. Offenbar können auch Superreiche der Versuchung nicht widerstehen, die Ikone aus Genuß und Erholung einfach mitzunehmen. Belangt werden sie deswegen nicht, denn jeder Hotelier weiß, ein Gast, der erwischt wird, kommt nicht wieder.

Völlig verspiegelt und festlich eingedeckt zeigt sich der Galasaal. In den Vitrinen steht Geschirr von Kreuzfahrtschiffen anderer Zeiten. Und vor allem es gibt es paar Tips: Fischbesteck wurde um 1870 eingeführt, als Abgrenzung des alteingesessenen Geldadels gegenüber den sittenlosen Neureichen. Als diese in den 1920er Jahren auf den Luxuslinern überhandnahmen, führten die Reedereien Trinkgeldablösungen ein, um Reisenden wie Personal Peinlichkeiten zu ersparen.

Wer bezahlt eigentlich die Rechnungen auf der „MS Reichtum“ beziehungsweise in der sozialen Marktwirtschaft? Weiße Bons, auf zwei silbernen Tabletts serviert, klären auf: Die oberen zehn Prozent der Gesellschaft zahlen 54,6 Prozent Einkommensteuer, Wenigverdiener dagegen so gut wie keine. Und trotzdem zahlen alle die Zeche, denn die Umsatzsteuer trägt mehr zur Finanzierung des Staatshaushalts bei, als die Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuern.

Goldfarben getüncht sind alle Gänge auf dem Schiff. Prachtvoll, würde man denken, hätte man nicht gerade gehört, wie ein Ausstattungsgestalter seinem Freund zeigt, wo auch hier gespart wurde, und warum das dem als Reederei fungierenden Museum später teurer gekommen ist.

Aber ist nicht Vergeudung auch ein Zeichen von Reichtum? Im Bereich der Ladengalerie mit echten und gefälschte Rolex, Pelzen, Luxus-Handtaschen, Goldketten warnt ein Schild: „Sie befinden sich in der Überflußzone. Hier gelten andere Regeln als im normalen Leben. Bitte verhalten Sie sich entsprechend großzügig.“ Sicher, ohne den Wunsch nach Exklusivität würde die „MS Reichtum“ nicht Fahrt aufnehmen können.

Wechselnde Blicke aus den Bullaugen beweisen, daß man selbst dem Mittelstand angehört, der entgegen allen Unkenrufen in Deutschland eine stabile Größe darstellt. Die Milliardärsvilla bleibt ebenso ein Traum wie die Hochseerennboote, die vorbeijagen, oder die einer schwimmenden Festung gleichende Superyacht „Eclipse“ des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch.

Zum Glück wird man auch nie eines jener mit Flüchtlingen überfüllten Fischerboote betreten müssen, die ebenfalls zu sehen sind. Piraten tauchen nicht auf, aber auch die sind scharf auf unseren Reichtum. Millionen Euro kostete den deutschen Steuerzahler allein der Prozeß gegen die von der Marine festgenommenen somalischen Piraten. Dabei sind diese Seeräuber für einen Teil der „Gutmenschen“ lediglich Opfer des europäischen Wohlstandes.

„Reichtum ist sowieso die neue Asozialität“, sagt zum Beispiel der Familienunternehmer Thomas Selter. Oder anders ausgedrückt: Wer reich ist, ist eben nicht „normal“. Deswegen finden Boulevardmedien reißenden Absatz, wenn sie von den Sorgen, Nöten, Affären und neuesten Skandalen der Reichen berichten. Abbitte dafür darf man in der Schiffskapelle leisten: Ach, Reiche sind auch nur Menschen? Reich sein bedeutet, sich jeden Wunsch erfüllen zu können. Aber wenn man nur drei offen hat und alles hinter sich lassen muß? Auf einer Wand auf dem Sonnendeck sind mögliche Antworten notiert. Gegenüber erinnern Rettungsringe, daß auch eine „MS Reichtum“ kentern kann. Rettungsboote scheinen keine an Bord zu sein.

Im Pool tummeln sich Schmarotzer verschiedener Größe. Jährlich 0,73 Euro kosten jeden Bundesbürger die Betrügereien von Hartz-IV-Empfängern, 1.250 Euro der Steuerbetrug von Privatpersonen. Ein dunkler Schatten eines Raubfisches, der sich plötzlich über das Blau des Beckens legt, verdeutlicht: alles Kleinkram im Vergleich zu 90 Milliarden Euro, die die Konzerne jährlich am Fiskus vorbeischleusen.

Aber es geht auch anders. Über 110 Milliarden Euro verfügen deutsche Stiftungen, die jedes Jahr 3,6 Milliarden Euro der Allgemeinheit spenden. Wenn Steuern freiwillig zu zahlen wären, würden die Einnahmen des Staates nicht sinken, behauptet der Philosoph Peter Sloterdijk: Anstatt die Bürger unter den Generalverdacht von Egoismus und Gier zu stellen, sollte eine Politik der Ermutigung betrieben werden, die das Steuerzahlen zu einem Akt freiwillig gelebter Verantwortung macht.

Auf der Brücke der „MS Reichtum“ ist diese Option für Kapitän und Steuermann eine Möglichkeit unter zahlreichen anderen. Auf Knopfdruck erscheinen auch mögliche Auswirkungen. Zur Zeit wird das Schiff mit Hilfe von Steuern in Fahrt gehalten, auch eine Revolution – auf See heißt das wohl Meuterei – wäre möglich.

Den Abschluß der Ausstellung bildet eine interdisziplinäre Konferenz vom 7. bis 9. November zum Thema „Das System des Kommunismus. Idee und Wirklichkeit“.

Die Ausstellung „Reichtum – mehr als genug“ ist bis zum 10. November im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 48 46-400

www.dhmd.de

Fotos: Eingangsbereich der Ausstellung „Reichtum – Mehr als genug“: Metapher für die Gesellschaft; Sonnendeck mit Bordpool, Rettungsringe, Salon: Was kosten die Betrügereien von Hartz-IV-Empfängern, wieviel schleusen Konzerne am Fiskus vorbei, was kostet die Bankenrettung den Steuerzahler?; Martin Wuttke: Für die Ausstellung ist der Schauspieler in die Rolle von sechs imaginären Passagieren geschlüpft

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen