© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

„Mensch, halt bloß die Schnauze!“
Interview: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche über die Hohmann-Affäre
Christian Vollradt

Sie gehörten zu denjenigen Abgeordneten in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Martin Hohmann öffentlich in Schutz nahmen und sich damit gegen die Linie der Fraktionsführung stellten. Wurden Sie deswegen „ins Gebet“ genommen?

Nitzsche: In meiner Bundestagszeit wurde ich immer „ins Gebet“ genommen, was ja dann letztlich auch dazu geführt hat, daß ich ausgetreten bin. Das fing immer an, daß sich erst der Landesgruppenchef, dann der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, dann der Parlamentarische Geschäftsführer meldete. Ich galt in der CDU als unsicherer Kantonist. Natürlich gab es da von allen Seiten Druck; anders funktioniert es aber auch nicht, man will seine Leute schließlich bei der Stange halten. In der Sache mit Martin Hohmann hat jeder zu mir gesagt: „Mensch, halt bloß die Schnauze, dich selber haben sie am Wickel...!“

Am 14. November 2003 beschloß die Fraktion den Rauswurf Hohmanns. Allerdings gab es 28 Nein-Stimmen und 16 Enthaltungen. „Noch so ein Sieg und sie ist erledigt“, wurde damals über die Vorsitzende Angela Merkel geraunt.

Nitzsche: Bei dieser Sitzung war ich nicht dabei. Weil damals auch gegen mich eine Anzeige wegen Volksverhetzung lief, haben mir Kollegen geraten: „Wenn du nicht so enden willst wie Hohmann, dann geh ins ‘U-Boot’!“ Und so bin ich ins „U-Boot“ gegangen ... Ich kann mich aber noch gut an die Fraktionssitzung vorher erinnern. Da hatte Hohmann schon seine Rüge erhalten, und viele – vor allem aus der sächsischen Landesgruppe – hatten mir gesagt, natürlich habe Hohmann in vielen Punkten recht, er hätte jetzt aber den Mund halten sollen, er wisse doch, wie es läuft. Ich meinte dann, wir könnten doch nicht alle die Faust in der Tasche ballen und duckmäusern – das war sehr verbreitet in der Fraktion. Viele dachten, es wäre mit der Rüge erledigt, und waren eigentlich ganz zufrieden. Wer weiß, was Merkel geritten hat – sicherlich Einfluß von außen –, dann doch für den Rausschmiß zu plädieren. Daß die hohe Zahl der Gegenstimmen eine indirekte Niederlage Merkels war? Das juckt Angela Merkel überhaupt nicht.

Wie beurteilen Sie die „Hohmann-Affäre“ aus der Rückschau: War es nur eine Episode oder hat sie langfristige Folgen gehabt?

Nitzsche: Das war keine Episode, sondern das war die totale Disziplinierung der Fraktion, ein Durchmarsch für Merkel, eine Zäsur. Damit war der Rubikon überschritten. Es war ein Zeichen an alle: Wenn du so was machst, wirst du rausgeschmissen. Wenn du gegen unsere Grundrichtung verstößt, und wir schmeißen dich raus, sind wir niemandem Rechenschaft schuldig. Na, es hat ja auch funktioniert. 2006 stand ich selbst kurz davor; da habe ich mir gesagt: Das tust du dir nicht mehr an, ich trete aus freien Stücken aus.

 

Henry Nitzsche war von 2002 bis 2009 direktgewähltes Mitglied des Bundestages (Wahlkreis Kamenz-Hoyerswerda). Bis zu seinem Austritt 2006 gehörte er der CDU an.

 

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