© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/13 / 04. Oktober 2013

Schlamperei im Stimmbezirk
Bundestagswahl: Behörden gestehen Fehler ein
Henning Hoffgaard

Da ist was faul.“ Diesen oder ähnliche Sätze hört die Führungsspitze der Alternative für Deutschland (AfD) derzeit öfter von ihrer Basis. Auf Facebook schrieb die Partei an ihre Anhänger deswegen: „Ruhig Blut.“ Bereits kurz nach der Bundestagswahl kursierten in den sozialen Netzwerken Gerüchte über Wahlbetrug (Kommentar Seite 2). Dabei geht es vor allem um Stimmen für die Euro-Kritiker.

Der Hamburger AfD-Koordinator Jens Eckleben hat deswegen 18 Wahlbezirke an den Landeswahlleiter gemeldet, in denen das Ergebnis signifikant vom Durchschnitt abweicht. 4,1 Prozent erhielt die AfD in der Hansestadt. In mehreren Wahllokalen bekam die Partei jedoch keine einzige Zweitstimme.

In einem E-Mail-Wechsel zwischen Eckleben und der Landeswahlleitung, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, gesteht die Behörde Fehler ein. „Es handelte sich um Übertragungsfehler bei der telefonischen Durchgabe des Ergebnisses (‘Schnellmeldung’ der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer).“ Knapp 87 Stimmen für die AfD seien so „wiedergefunden“ worden, sagt Eckleben. Er habe er den Landeswahlleiter gebeten, weitere Wahllokale mit auffälligen Werten zu prüfen. Dies müßten AfD-Mitglieder auch in anderen Bundesländern machen. Das Landeswahlamt bestätigte der JUNGEN FREIHEIT, daß das Ergebnis in zwei der vier Stimmbezirke, in denen die AfD null Prozent erreicht hatte, mittlerweile korrigiert werden mußte.

Abweichungen vom Gesamtergebnis sind keine Seltenheit. Bei der Hamburger CDU liegt die Spannbreite in den Stimmbezirken bei 6,7 bis 57,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei der Linkspartei pendelt der Wert zwischen 1,2 und 30,6 Prozent. Solche Ergebnisse lassen sich auf die teilweise völlig unterschiedliche Bevölkerungszusammensetzung zurückführen. Auch die AfD hat in der Hansestadt Hochburgen, in denen sie mehr als zehn Prozent erreichte. Auch einen weiteren Fehler mußte der Hamburger Landeswahlleiter eingestehen: „Die Überprüfung hat ergeben, daß die Zahl der Briefwähler infolge der fehlerhaften Abfrage der Datenbank um rund 70.000 zu niedrig angegeben wurde.“

Dieser statistische Fehler habe jedoch keinen Einfluß auf das Wahlergebnis gehabt. Die stark gestiegene Anzahl der Briefwähler, ihr Anteil hat von 21 auf 25 Prozent zugenommen, bereitet den Behörden in allen Bundesländern Probleme.

• In mehreren Ländern beschwerten sich Wähler, daß sie die beantragten Briefwahlunterlagen nie erhalten hätten.

• In Köln dagegen erhielten mehrere Bürger ihre Briefwahlunterlagen gleich doppelt. Bei von der Stadt veröffentlichten Resultaten wurden die Briefwähler zu Beginn nicht erfaßt.

• In Oberhausen erhielten zahlreiche Briefwähler veraltete Unterlagen. Nach Angaben der Stadtverwaltung hatte eine Mitarbeiterin die Unterlagen von 2009 verschickt.

• Im Wahlkreis Bochum I wurden die Stimmen von 600 Briefwählern für ungültig erklärt. Diese hatten fälschlicherweise die Stimmzettel aus dem Wahlkreis Herne/Bochum II bekommen.

• In sieben Hamburger Bezirksämtern fehlten den Behörden die roten Briefwahlumschläge. Viele Wähler erhielten ihren Wahlzettel erst am Freitag vor der Bundestagswahl.

• In Würzburg verschickte die Stadt zu dünne Wahlbenachrichtigungskarten. Die Post konnte das zu kleine Format erst verspätet zustellen. Für Briefwähler wurde es knapp.

Daß auch wenige Stimmen entscheidend sein können, zeigt sich am Wahlkreis 120 im Essen. Nach dem vorläufigen Endergebnis gewann CDU-Kandidat Matthias Hauer das Direktmandat mit 59.043 Stimmen. SPD-Kandidatin Petra Hinz erhielt nur drei Stimmen weniger. Eine erste Neuauszählung ergab in 23 von 190 Stimmbezirken Unregelmäßigkeiten und einen knappen Vorsprung der SPD-Politikerin. Schließlich wurden die 150.000 Stimmen neu ausgezählt.

Das Ergebnis: CDU-Mann Hauer gewinnt den Wahlkreis nun mit 93 Stimmen Vorsprung. Petra Hinz zieht über die Landesliste dennoch in den Bundestag ein. Wie in Hamburg entstehen die meisten Fehler nach Behördenangaben durch schlechtausgefüllte Ergebniszettel, die telefonisch an die Wahlleiter weitergegeben werden. So auch im nordrhein-westfälischen Waltrop. Hier wurden knapp 50 Stimmen für die AfD den Republikanern zugeordnet. Erst nach einer Kontrolle des Stimmbezirkes wurde der Fehler entdeckt.

In Frankfurt tauchten in zwei Wahllokalen 31 Stimmen für die AfD auf, die im vorläufigen Ergebnis für die gleichzeitig zur Bundestagswahl abgehaltene Landtagswahl nicht berücksichtigt worden waren. Obwohl die Abweichungen bisher nur im Promillebereich liegen, geht es um viel Geld. Bis zu 85 Cent pro Wähler erhält eine Partei mit weniger als vier Millionen Zweitstimmen. Schon bei einigen hundert falsch ausgerechneten Ergebnissen kommen so schnell vierstellige Beträge zusammen. Gerade kleinere Parteien sind auf dieses Geld angewiesen. Die Alternative für Deutschland hat ihre Anhänger auf Facebook nun aufgefordert, Unregelmäßigkeiten an die Parteiführung zu melden.

Die allerdings hält sich mit Betrugsvorwürfen bisher zurück. Pressesprecherin Dagmar Metzger hat nach eigenen Angaben noch keinen Überblick über die von den AfD-Sympathisanten eingereichten Hinweise. Aus dem Umfeld der Parteiführung heißt es: „Wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen, sehen wir wie schlechte Verlierer aus.“

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