© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Energiewende als Klassenfrage
Eine repräsentative Umfrage beleuchtet das gewachsene Naturbewußtsein der Deutschen / Gleichgültigkeit vor allem bei Jungen und Armen
Christoph Keller

Die hohe Zustimmung zum Umstieg auf saubere und sichere Energie aus regenerativen Quellen sei ungebrochen – „trotz massiver Angriffe auf die Energiewende“, behauptet Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Denn „93 Prozent der Menschen in Deutschland“ unterstützen laut einer Emnid-Umfrage den Ausbau erneuerbarer Energien. Fast drei Viertel sprächen sich sogar explizit gegen einen Förderstopp für Solar-, Windstrom & Co. aus.

Realistischere Zahlen als der Lobbyverband BEE bietet das Hannoveraner Ecolog-Institut. Dessen Wissenschaftler messen seit 2009 das „Naturbewußtsein“ der Deutschen. Für die jüngste Befragung standen 2.031 Personen aus allen Teilen der Bundesrepublik Rede und Antwort. Das politisch schwerwiegendste Resultat der Erhebungen stellen Silke Kleinhückelkotten und Horst-Peter Neitzke in den Mittelpunkt ihrer Studie über das „Naturbewußtsein in Deutschland“. 63 Prozent hätten mit einem „eindeutigen Ja“ auf die Frage geantwortet, ob sie die von der Bundesregierung vollzogene „Energiewende“ nach der Atomkatastrophe von Fuku­shima für richtig hielten.

Windkraft möglichst von weit draußen vor der Küste

Die Zustimmung gehe „quer durch alle Bevölkerungsschichten“. Den naheliegenden Einwand, die hohen Zustimmungswerte seien vor den erst jetzt zutage getretenen Stromkostensteigerungen erhoben worden, kontern die Hannoveraner mit dem Verweis auf noch aktuellere, aber unverändert positive Einstellungen, die die Agentur für Erneuerbare Energien als „Akzeptanzumfrage“ im Internet regelmäßig bereitstelle.

Dennoch berühren Kleinhückelkotten und Neitzke die leidige Kostenfrage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG, JF 39/13) in ihrer Feinanalyse des Zahlenwerkes. Demnach kühle die Begeisterung für die Energiewende mit sinkendem Bildungsstand und Einkommen auffallend ab. Auch mittelbare Kosten mindern die Bereitschaft, den Umstieg auf Wind, Sonne oder Biogas mitzutragen. Die höchste Akzeptanz finde die Energiewende nur dort, wo sie nicht wahrnehmbar sei, bei Windenergieanlagen weit draußen vor der Küste.

Je näher ihr Instrumentarium aber dem eigenen Alltag rücke, desto reservierter fielen die Reaktionen aus. Zwar würden mehr als drei Viertel der Bevölkerung Windräder an Land und Freiflächen-Solaranlagen hinnehmen, jedoch nur eine knappe Mehrheit wolle Biogasanlagen oder Mais- und Raps-Monokulturen dulden. Der Netzausbau durch Hochspannungstrassen werde paradoxerweise mehrheitlich abgelehnt.

Aus der allgemeinen Akzeptanz dürfe daher nicht geschlossen werden, daß es bei der Ausdehnung von Maisfeldern oder der „Verspargelung“ durch Windräder keine Konflikte gebe. In einer neuen Studie über das wachsende Protestpotential in den „Windländern“ Schleswig-Holstein und Brandenburg glaubt Kleinhückelkotten diese Warnungen bald konkretisieren zu können.

Ähnliche Unwägbarkeiten ergeben sich aus dem Befund, die Energiewende werde von „Älteren, Gebildeten und Gutverdienenden“ getragen, womit sich eine energiepolitische „Klassenfrage“ auftut. Gebildete Besserverdiener stellen bei den fünf deutschen „Naturbewußtseinstypen“ in der ersten, „naturaffinen“ Kategorie die absolute Mehrheit. Obwohl fast alle Deutschen glaubten, es sei Pflicht des Menschen, die Natur zu schützen, sei gleichwohl in jüngeren, einkommensschwachen Schichten die „Naturferne“ kraß ausgeprägt.

30 Prozent „Naturferne“ und Desinteressierte

Zusammen mit den „Desinteressierten“ machen die „Naturfernen“ (von denen nur 38 Prozent die Energiewende bejahen) immerhin 30 Prozent der Befragten aus. Sie halten sich mit den 36 Prozent des extrem „naturaffinen“ Typs (Zustimmung: 80 Prozent) die Waage. Für die zukünftige umweltpolitische Entwicklung dürfte darum die modellierbare Einstellung des unteren Drittels der Befragten, der „unbesorgt Naturverbundenen“, die mehr ideelle Naturliebe als Naturschutzengagement zeigen, sowie der pragmatisch „Nutzenorientierten“ erhebliche Bedeutung zukommen.

Wie entscheidend das Naturbewußtsein vom Bildungsstand abhängt, zeigen die Einstellungen zu dem ebenfalls abgefragten Indikator „Biologische Vielfalt“. Nur 41 Prozent wußten überhaupt um die Bedeutung des Begriffs. Entsprechend mager fallen die Zustimmungswerte für das zentrale ökologische Politikfeld „Biodiversität“ aus. Um dafür den gesellschaftlichen Rückhalt zu stärken, sei vermehrte Informations- und Aufklärungsarbeit nötig. Bei Verbreitung des Wissens über die Begriffsbedeutung sei bis 2015 ein Zielwert von 75 Prozent für biologische Vielfalt zu erreichen.

Studie „Naturbewußtsein in Deutschland“, in Natur und Landschaft, 9-10/13: www.natur-und-landschaft.de  TNS Emnid-Akzeptanzumfrage: www.erneuerbare-jetzt.de/aktionen 

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