© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Der Schakal in der Dunkelkammer
Dokumentarfilm: Nadav Schirmans „In the Darkroom" beleuchtet das Leben von Magdalena Kopp, der Ehefrau des pro-palästinensischen Terroristen Carlos
Sebastian Hennig

In einem kurz vorm Abriß stehenden Frankfurter Kinosaal hat Regisseur Nadav Schirman die Kulisse einer Dunkelkammer aufbauen lassen. Zwischen Vergrößerungsgerät und Fotoschalen sitzt Magdalena Kopp und berichtet über das Abstoßende der ersten Annäherung in einer Dunkelkammer durch jenen Mann, dem sie dreizehn Jahre lang folgen sollte. Sie wurde die Frau eines der meistgesuchten Terroristen der achtziger Jahre, der sie ganz patriarchalisch vereinnahmte.

Erst die Verhaftung von Ilich Ramírez Sánchez alias Carlos, genannt „Der Schakal“, löst den Bann äußerlich. Im Innern bleibt sie gefangen von dem, was sie erlebt und mitgetragen hat, spricht zuletzt von Scham und Schuld und davon, daß sie keinen Stolz mehr hat.

Dafür hat Magdalena Kopp – 1948 geboren, aufgewachsen in Neu-Ulm, ausgebildete Fotografin, Mitbegründern der linksextremen Frankfurter „Revolutionären Zellen“ (RZ) – eine Tochter von diesem Mann. Die erblickte in einem Auto mitten in Damaskus das Licht der Welt. Das syrische Regime nutzte die Kämpfer und gewährte ihnen solange Zuflucht, bis in einer deutschen Zeitschrift ein Bericht mit privaten Fotos erscheint. Daraufhin wird den Terroristen ihr syrisches Asyl gekündigt. Magdalena Kopp berichtet, wie der kalte Mörder angesichts der drohenden Ausweisung aus Damaskus verzweifelte und weinte.

Der Mutterschutz für Terroristenangehörige wird unterdessen von der Familie Sánchez in Venezuela übernommen, während Carlos in den Sudan geht, von wo er 1994 nach Europa ausgeliefert wird. Erst als auf diese Weise sein Schatten von ihr genommen wird, sagt sie sich los und kehrt zurück nach Deutschland.

In den dunklen Kammern ihres Bewußtseins liegen Bilder, die sie nicht mehr los wird, so wie Carlos einen abtrünnigen Kampfgefährten hinrichtet und die Leiche in einem Kunststoffsack beiseite schafft. Die Widersprüche, welche die Revolutionäre beseitigen wollten, türmen sich unermeßlich in ihr eigenes Leben hinein. Magdalena Kopp sagt: „Ich wollte einfach Mutter sein.“

Es gibt ein einziges Foto des Paars mit der Tochter. Rosa wurde 1986 geboren. Im Film sucht sie nach ihrem Vater, der nicht nur in der Haft verborgen bleibt, sondern auch umstellt von dem, was über ihn ausgesagt wird. In Palästina besucht sie einen Mitkämpfer, der Sprecher der Volksfront war und ihr den Vater vorbehaltlos als Helden präsentiert. Ähnlich beeinflußbar wie die Mutter, sinniert sie sogleich auf der Rückfahrt darüber, ob die Untaten „für ein paar Menschen auf der Welt doch ein bißchen hilfreich gewesen“ seien.

Alle schreiben an ihrer Autobiographie. Der Journalist und BND-Aussteiger Wilhelm Dietl gehört zu den Befragten, wie auch der ehemalige Mitkämpfer der „Roten Zellen“ Hans-Joachim Klein. Der ringt immer noch mit hessisch gefärbtem Wortgesprudel um Abstand. Klein hat einmal festgestellt, daß sein Problem zuletzt nicht die Polizei, sondern die eigenen Freunde waren. Als er von der Hörigkeit der Frau vernimmt, die sich auf eine telefonische Forderung sofort zu Carlos begibt, fordert er eine Selbständigkeit, die er selbst kaum erreichte. Die Tochter dagegen hat Verständnis und meint: „Da würde ich dann auch folgen (…) sonst würde ich immer in Angst leben.“

Magdalena Kopp gibt zu, vor Angst gelähmt gewesen zu sein und nicht den Mut gehabt zu haben, sich abzuwenden. So traf sie eine falsche und verhängnisvolle Entscheidung nach der anderen. Das Fazit ist ehrlich: „Aber am Ende war ich diejenige, die das entschieden hat.“

Jenseits der vulgären Schuldvorwürfe an die Elterngeneration war wohl deren Schweigen über die jüngere deutsche Vergangenheit für diese seelische Instabilität ihrer Kinder mitverantwortlich. Der Regisseur stellt fest, daß dieses Redeverbot sich inzwischen auf die Kindergeneration vererbt hat, die ebenso ungern und unklar über die Zeit ihrer Rebellion und das Abgleiten in den Terror berichtet, wie ihre Eltern über ihr Leben im nationalsozialistischen Deutschland. Das eine wie das andere ist eine Gesprächsstörung, die durch äußere Umstände verhängt wurde.

Die Aufnahmen zu Beginn des Films mit den langhaarigen Jugendlichen, die sich vom Wasserwerfer peitschen lassen, haben etwas Karnevalistisches. Die vom Leben gezeichnete Kopp skandiert in der nachgebauten Dunkelkammer: „Ho-Ho-Ho Chi Minh!“ Alles begann mit einer Bohemien-Attitüde, existentialistisch stilisierten Fotografien und dem gelebten Gegenentwurf auf die Enge von Heimat und Eltern, wo sie nun wieder lebt. Sie fragt sich rückblickend: „Hatte ich Ideale?“ Es folgt ein langes beredtes Schweigen. Die Geschichte ihres Leidens beruht auf dem uneingestandenen Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Der Drang ins Offene brachte andere Bindungen, die in Sackgassen führten. Sie steht emotionslos vor der Litfaßsäule, auf der die Filmreklame in lauten Lettern kündet: „Carlos, der Schakal“. 2007 veröffentlichte Magdalena Kopp ihr Erinnerungbuch „Die Terrorjahre. Mein Leben an der Seite von Carlos“. Der Terrorist sitzt seit 1994 in Frankreich in lebenslanger Haft.

Zusammen mit dem Vorgängerfilm „Der Champagner-Spion“ (2007) über den Sohn eines Mossad-Agenten ist der Regisseur unversehens in eine Dokumentarfilm-Trilogie über Agenten und Terroristen geraten. Gegenwärtig arbeitet Schirman, Sohn eines israelischen Diplomaten, an dem Abschlußfilm „The Green Prince“ über Mosab Hassan Youssef, der Hamas-Führer und israelischer Spion zugleich war. Auch das ist wieder so haarsträubend wie naheliegend.

Szene aus „In the Darkroom“: Eine falsche und verhängnisvolle Entscheidung nach der anderen

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