© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Der Erfolg der Unionsparteien ist wohl verdient. Ihre Wählerschaft aus Nostalgikern, Trägen, Yuppies, Jederzeit-Anpassungsfähigen und der Menge, die überzeugt ist, in der besten denkbaren Welt zu leben, bildet momentan so etwas wie eine natürliche Mehrheit. Aber doch nur, weil die Verhältnisse sind, wie die Verhältnisse sind; sollten sich die ändern, kommt der Tag nach Merkel, dann wird die Prophezeiung Jörg Schönbohms in Erfüllung gehen und von der CDU nichts bleiben.

Auch eine Verteidigung des Eigenen: Freude über das rote Eichhörnchen, das seiner jahreszeitüblichen Beschäftigung nachgeht.

Der Untergang der FDP ist mehr als einmal prophezeit worden, und sie hat ihn immer überlebt, aber jetzt ist es doch vorbei mit dieser Partei, die ihre besten Zeiten hatte, wenn sie ideologische Anleihen rechts (in den fünfziger Jahren) oder links (in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren) machte. Sonst blieb ihr nur die Hoffnung auf ein Huckepackverfahren, bei dem die Großen sie durchschleppten, und jene Klientel der Besserverdienenden, die man doch nicht für den Klassenkampf von oben in Stellung bringen wollte.

Auf den Hof hinter dem Wohnheim für Asylsuchende hatte ein Irrtum geführt. Rasch sollte der unwirtliche Ort überquert und wieder verlassen werden. Die fremden Menschen, die fremden Töne, die stumpfen Blicke, die ärmliche Wäsche, die zum Trocknen an den Fenstern hing, das marode Bauwerk, ließen unwillkürlich ein Empfinden von Mitleid entstehen. Dann rollte ein Wagen im Schrittempo durch die Toreinfahrt, Porsche, ferrarirot lackiert, dem entstiegen zwei Schwarze, im Ghettostil gekleidet, mit schweren Ketten behängt, und es kam Leben in die übrigen, die sie wie Popstars begrüßten.

Die Ausstellung des Pergamon-Museums, Berlin, über Uruk als „Megacity“ bietet zwar keine sensationellen Exponate, aber doch das Bekannte in neuer, interessanter Zusammenstellung. Wenn dabei die Urbanisierung als Siegeszug in der Geschichte dargeboten wird, irritiert das aber insofern, als die Gegenwart und die absehbare Zukunft doch darüber belehren, daß Riesenstädte eben nicht nur Glanz und Synergie, gesteigerte Wirtschaftskraft und technischen Fortschritt bedeuten, sondern auch Elend und Machtmißbrauch, hohe Kriminalitätsrate und forcierte Dekadenz. Es mag sein, daß wir über die Schattenseiten Uruks auf Grund fehlender Quellen nichts wissen, aber das berechtigt nicht zu der Vermutung, daß es die nicht gegeben hat, eher im Gegenteil.

Bildungsbericht in loser Folge XXXXIII: Die „Zweiklassengesellschaft“ im Ausbildungsbereich, die der Gewerkschaftsbund beklagt, soll darauf zurückgehen, daß zwar die Jugendlichen mit den Schulabschlüssen und den guten Noten eine Lehre antreten können, die anderen aber nicht. Daß die anderen die sind, die keine Abschlüsse haben und schlechte Noten, wird lieber übergangen, weil die Bizarrerie der Forderung nach mehr Ausbildungsplätzen für Schlechtleister und Faulpelze selbst dem für Sozialkitsch Ansprechbaren auffallen muß.

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser hat nicht nur auf den Faktor „Wirtschaftsmentalität“, sondern auch auf deren Verschiedenheit in Europa hingewiesen. Die könnte es nötig machen, die EU in einen weiteren und einen engeren Bund aufzulösen. Zum engeren gehörten dann Deutschland, die skandinavischen und die baltischen Staaten, die Niederlande, Belgien oder dessen flämischer Teil, Österreich und Nord-italien. Die Idee hat aus vielen Gründen ihren Reiz, auch aus dem, daß sie ziemlich genau dem „Mitteleuropa“-Projekt Friedrich Naumanns von 1915 entspricht.

Daß der Grünen-Chef Trittin wegen seiner früheren Haltung zur Pädophilie unter Druck gerät, ist erklärungsbedürftig. Denn bisher hat nicht nur seine Partei alle gegen sie gerichteten Kampagnen schadlos überstanden, sondern ist auch an ihm als Person jeder Vorwurf – etwa wegen der Zugehörigkeit zum linksextremen Lager in den siebziger Jahren – abgeglitten. Offenbar gehört Kinderschändung und deren Befürwortung doch zu den letzten moralischen Sensibilitäten – oder es hat eben alles seine Zeit.

Gehirnwäsche, erfolgreich: „Mehrheit der Deutschen betrachtet Zuwanderung als Chance“ (Umfrageergebnis des German Marshall Fund).

In den Reaktionen auf das Scheitern der Alternative für Deutschland (AfD) liegt wenig Triumph. Die Etablierten wissen, daß das Problem in der Sache nicht erledigt ist, daß die Kaschierung der Euro-Krise nicht auf Dauer durchgehalten werden kann und die Entwicklung der nächsten Monate bis zur Europawahl darüber entscheidet, welche Chancen diese „neue Volkspartei“ (Bernd Lucke) wirklich hat.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 11. Oktober in der JF-Ausgabe 42/13.

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