© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Pankraz,
Georg Hamann und das Geld der Sprache

Auf der kommenden Frankfurter Buchmesse wird auch ein neues Buch von Pankraz vorgestellt. Ursprünglich sollte es „Lingua franca“ heißen. Lingua franca, so glaubte der Autor, sei das von jedem Leser sofort erkennbare und voll akzeptierte Stichwort für das, worum es auf den folgenden Seiten gehen sollte: um die freie, von keinem mächtigen Aufseher kontrollierte und deformierte Rede über das, was freie Rede erst möglich macht, also über die Sprache, über ihren Glanz und über ihre Abgründe. Aber der aufmerksame Lektor hat Pankraz diesen scheinbar so schönen Titel ausgeredet.

Er verwies auf die Etymologie, auf den Ursprung und die historisch wechselnden Bedeutungen der Lingua franca – da sei doch, meinte er, nicht die geringste Freiheit und auch keine Treffsicherheit. Die „Lingua franca“ sei von ihrem Anfang während der mittelalterlichen Kreuzzüge gegen die arabischen Besetzer des Heiligen Landes an gar keine richtige Sprache gewesen, sondern eine Art Abrakadabra für schnelle Minimal-Kommunikation, wie in späteren Zeiten das Pidgin-Englisch, Es sei die Sprache der „fränkischen“, also altfranzösischen und altdeutschen, Kreuzritter gewesen, weder ordentliches Latein noch ordentliches Hoch-arabisch, kurzum: eine Fatalität.

Es war Pankraz ziemlich peinlich, und er rettete sich in die schlichte deutsche Übersetzung: „Freie Rede“. So also heißt das Buch nun; Untertitel: „Über Tiefen und Untiefen genauen Sprechens“. Freiheit und Genauigkeit, so seine Grundthese, gehören unauflösbar zusammen, bedingen einander. Nur wer genau und wahrhaft erhellend zu reden versteht, ist als Redender (und nicht nur als Redender) frei – und er macht seinerseits die Sprache frei, befreit sie von Lüge und Jargon, vermittelt eine präzise Ahnung von ihrem unerhörten Reichtum, ihrer phänomenalen Anpassungsfähigkeit und Modulationskraft.

Jeder, der über das Wesen der Sprache. jeder Sprache, nachzudenken beginnt, staunt ja schon nach wenigen ersten Denkschritten über das prinzipiell Unauslotbare, total Abgründige seines Forschungsgegenstands. An sich kann die Sprache gar kein „richtiger“ Denk- und Forschungsgegenstand sein, da sie gleichzeitig auch das nachdenkende und forschende Subjekt seelisch voll ausfüllt und konstituiert. Jacob Burckhardt nannte sie deshalb „das Wunder, das an der Spitze jeglicher menschlicher Kultur steht, (…) das dauerhafteste Material, in welches die Völker die Substanz ihres tätigen Lebens niederlegen.“

Das war schon immer die Meinung gerade der klügsten Zeitgenossen. Goethe dichtete in seinen Epigrammen: „Die Sprache bleibt ein reiner Himmelshauch, / Empfunden nur von stillen Erdensöhnen“. Und der tiefsinnige ostpreußische Kant-Widerpart und Aufklärungsskeptiker Georg Hamann (1730–1788) verglich die Sprache mit dem Geld: „Geld und Sprache“, dozierte er unermüdlich, „stehen in einer näheren Verwandtschaft, als man mutmaßen sollte. Die Theorie des einen erklärt die Theorie des anderen. Sie scheinen daher aus gemeinschaftlichen Gründen zu fliehen.“

Auch in dem Buch „Freie Rede“ geht es um das Verhältnis zwischen Sprache und Geld, um ihre spannungsreiche Konkurrenz, ihre merkwürdigen Kongruenzen und verheerenden Gegnerschaften, welche sich daraus ergeben, daß sie beide „aus gemeinschaftlichen Gründen geflohen“ sind, nämlich aus der originären, zunächst wenig Möglichkeiten zur Selbstentfaltung bietenden Notwendigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation. Die Sprache „floh“ zuerst und gewann einen großen Vorsprung, doch das Geld holt speziell in neuester Zeit immer mehr auf, was vielerorts zur Verarmung, ja zur Deformation der Sprache und zur Einschränkung ihrer freien Entfaltung führt.

Die Texte des neuen Buches von Pankraz gehen diesem heiklen Prozeß nach. Sie sind im Laufe der letzten Jahre bereits verstreut in der JUNGEN FREIHEIT erschienen und werden hier zu einer einheitlichen Textur gebündelt. Pankraz steht, wie der Leser merken wird, eindeutig auf der Seite der Sprache und bleibt dem Geld gegenüber skeptisch. Sein Buch ist eine Verteidigungsschrift und weist mit größtem Ernst, aber streckenweise auch mit Sarkasmus und in satirischer Zuspitzung auf die schweren existentiellen Verluste hin, die uns bei weiterer Geldanbetung und weiterem Sprachverfall drohen.

Im ersten Teil wird den Ursprüngen und der ethnologischen Vielfalt der Sprache nachgespürt, weiter ihren gleichsam hausgemachten Launen und Kapriolen, die zwar äußerst charmant und kreativ sein können, andererseits aber auch viele Angriffsflächen bieten, Sprechende zu schlimmen Übertreibungen oder gar zu puren Sinnlosigkeiten verführen. Der zweite Teil widmet sich dann den ausgesprochenen „Sprachsünden“, die schärfstens von den eingeborenen Launen und Kapriolen abgehoben werden. Es sind durch die Bank Verhängnisse, die geradezu kriminelle Dimensionen annehmen.

Der dritte und letzte Teil bietet den Widerpart zu den Verhängnissen. Geboten werden dort Essays und Glossen, die speziell das poetische Sprechen ins Auge fassen. Gelungenes poetisches Sprechen, so kommt dabei heraus, verstößt keineswegs gegen den Begriff der Genauigkeit, im Gegenteil, diese findet just im poetischen Sprechen ihren Gipfelpunkt. Denn die Poesie, so völlig zu Recht der deutsche Klassiker Johann Gottfried Herder in seiner „Kalligone“, sei „die wahre Hochzeit zwischen Mensch und Sprache“. Einzig im lebendigen Gebrauch von Poesie zeige sich die „energische Schönheit“ der Sprache.

Daß dieser energischen Schönheit im neuen Pankraz-Buch ganz überwiegend durch Analysen von deutschsprachigen Texten gehuldigt wird, möge der kritische Leser dem Autor nachsehen. „Die deutsche Sprache“, konstatierte einst augenzwinkernd Jean Paul (der im Buch ausführlich vorkommt), „ist die Orgel unter den Sprachen der Welt“. Wem diese Orgel ins Kinderbett gelegt worden ist, der kann wohl doch am ehesten Orgel spielen, auch wenn er dafür möglicherweise kein Geld erhält.

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