© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Warten auf den großen Knall
Besuch im Beiruter Schiiten-Viertel Dahiye: „Hier sind wir alle Hisbollah" sagen die Passanten, während die Sicherheitsleute mit Argusaugen über die Szenerie wachen
Billy Six

Fotografieren ist verboten. Das wird beim Besuch in Dahiye, dem Schiiten-Viertel der libanesischen Hauptstadt, schnell deutlich. Hier im Süden der offiziell zwei Millionen Einwohner zählenden Metropole hat sich die Partei Alis, Gefolgsleute des Mohammed-Schwiegersohns, buchstäblich verschanzt. Alle Gassen, die vom Flughafen-Zubringer wegführen, sind mit zivilen Kontrollposten besetzt: Männer, denen kein Lächeln abzugewinnen ist – und die ihre Waffen gut versteckt halten.

Der Bitte, offizielle Vertreter der Hisbollah-Organisation treffen zu können, wird nur scheinbar entsprochen: Auf einem Motorrad geht es ins Sicherheitshauptquartier.

„Der Iran ist sehr demokratisch“

„Hier sind wir alle Hisbollah“, sagen Passanten. Tatsächlich sind überall Flaggen und Bildnisse der konkurrierenden Amal-Bewegung zu sehen. Doch in Zeiten, da das schiitenfreundliche Assad-System im Nachbarland Syrien unter dem Druck sunnitisch-moslemischer Kämpfer steht, halten beide schiitischen Bewegungen zusammen.Über den Straßen sind Transparente mit den Gesichtern des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad, von Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und dem Amal-Vorsitzenden Nabih Berri aufgehängt.

Seit April 2013 ist es offiziell: Die Hisbollah kämpft auf Seiten der syrischen Regierung – und hat einen großen Anteil an Assads Sieg in der Schlacht um das strategisch wichtige Kussair. Hamsa, ein junger Anhänger der Organisation, berichtet überraschend: „Uns geht es nicht um Religion, sondern um Politik. Mit Assad bleibt Syrien Syrien. Ohne ihn geht das Land unter.“ Doch kann man im Islam überhaupt Religion und Politik trennen? „Ja“, meint Hamsa und schiebt hinterher: „So lange, bis man den richtigen Weg eingeschlagen hat. Den von uns. Dem, was Imam Ali und seine Nachfolger vorgegeben haben.“

Dahiye wirkt nicht viel anders als andere moslemische Großsiedlungen dieser Welt: Es ist eng gebaut, zahlreiche Menschen wuseln auf den Straßen umher. Müll, Staub und Tristesse runden das Bild ab. Doch gibt es auch Überraschendes: zwei junge Frauen ohne Schleier.

Vor dem Hintergrund, daß der iranische „Revolutionsführer“ Ajatollah Chamenei hier als oberste geistliche Autorität betrachtet wird, verwundert das dann doch – schließlich gilt in der Islamischen Republik eine Verhüllungspflicht. „Der Iran ist sehr demokratisch“, meint mein Gegenüber am Verhörtisch im Gebäude der Sicherheitsbrigaden. „Anders als in allen sunnitischen Ländern Arabiens wird dort frei gewählt – und jeder Präsident zieht sich irgendwann zurück.“

Um die Situation zu entkrampfen, werden Falafel und Kaltgetränke gebracht. „Ganz ehrlich“, möchten die Männer wissen, „sehen wir wie Terroristen aus?“ Zu den Christen habe man ein aufgeschlossenes Verhältnis, einige von ihnen würden gar in Dahiye wohnen. In Syrien stünden sie ebenso wie die schiitische und alawitische Minderheit im Fadenkreuz von „Dschabat al-Nusra“ und anderen sunnitischen Dschihadisten.

Die Libanesische Armee schaut dem Treiben zu

In späteren Gesprächen wird sich herausstellen, daß viele sunnitische Libanesen ihre schiitischen Landsleute nicht als Muslime anerkennen. „Stelle dir vor“, meinen die Frömmler von der Straße aufgebracht, „die Schiiten behaupten allen Ernstes, daß der Erzengel Gabriel einen Fehler gemacht haben soll, indem er Mohammed statt seines Vetters und Schwiegersohns Ali zum Propheten erwählte.“ Schiiten weisen diese Darstellung zurück und bekennen, Ali sei schlicht der von Allah erwählte Nachfolger Mohammeds gewesen – nicht die Kalifen Abu Bakr, Omar und Osman.

Aus westlicher Sicht mag die Thematik abwegig erscheinen. Die alltägliche Gewalt im Irak, Syrien, Pakistan, Bah-rain, Jemen und eben im Libanon stellt unter Beweis, wie aktuell der über 1.300 Jahre alte Konflikt der beiden islamischen Konfessionen ist. Zum blutigen Anschlag in Süd-Beirut, bei dem am 15. August 2013 über 20 Menschen starben, bekannte sich eine ominöse „Brigade von Aischa“. Auch vier Wochen später sind die schweren Zerstörungen nicht zu übersehen. Der Ort des Geschehens, eine Flaniermeile, befindet sich um die Straßenecke herum – gute hundert Meter von der Sicherheitszentrale entfernt, in welcher ich nunmehr zwei Stunden lang gefilzt worden bin.

Die erhofften Gespräche mit Offiziellen finden nicht statt. Ich könne froh sein, anders als zwei ebenfalls anwesende Sunniten nicht ins Gefängnis gebracht zu werden, erklären die Schiitenvertreter. Daß die sporadisch anwesende Armee dem Treiben zuschaut, ist eine besondere Ironie der libanesischen Verhältnisse. Als einzige Bürgerkriegsfraktion wurde die Hisbollah nicht entwaffnet – und der politische Einfluß der „Schiat Ali“ nimmt zu.

Im Libanon ist das Verhältnis zu den Sunniten mit je 27 Prozent ausgeglichen. Gemeinsam mit den 41 Prozent Christen fühlen sich die sunnitischen Moslems auch hier an die Wand gedrängt. In ihrer Gemeinschaft wird hinter vorgehaltener Hand über Lösungen nachgedacht: Dschihad, Revolution oder Schicksalsergebenheit stehen zur Auswahl. Der Libanon hat mit allem Erfahrungen: Von 1975 bis 1990 tobte ein Bürgerkrieg mit bis zu 110.000 Toten. Die Zedernrevolution von 2005 zwang die syrischen Besatzer zum Abzug. Und die Lethargie, so sie nicht schon immer existierte, hat mit der Abdankung der Mikati-Regierung im März 2013 und der nunmehr brisanten Gesamtsituation neuen Raum erhalten.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen