© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

„Ich bin froh, auf der Welt zu sein"
Rekordbeteiligung: Die traditionelle Demonstration der Lebensschützer in Berlin zieht immer mehr Teilnehmer an
Thorsten Brückner

Weiße Holzkreuze soweit das Auge reicht. Und sogar das Wetter hat mitgespielt. Mehr als 4.500 Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin für den Schutz menschlichen Lebens: Ein Teilnehmerrekord für den „Marsch für das Leben“. Im vergangenen Jahr waren es noch knapp über 3.000, die in der Bundeshauptstadt Flagge zeigten. Auffällig war diesmal auch die hohe Zahl an jungen Frauen, die sich dem Zug, der vom Bundeskanzleramt zum Lustgarten führte, anschlossen. Die Behauptung der Gegendemonstranten, die Abtreibungsgegner seien zumeist Männer, konterkarierten sie durch ihre Anwesenheit.

Auch in diesem Jahr versuchte ein Bündnis linker Gruppen alles, um den Schweigemarsch zu stören. Die Parole „Nieder mit Jesus und für Feminismus“, gehörte 2013 zu den Favoriten der Aktivisten und ergänzte so die mittlerweile schon traditionellen Schmähungen wie „Hätt` Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben“ oder „Eure Kinder werden alle queer“. Selbst einige Femen-Aktivistinnen hatten sich entlang der Strecke postiert und reckten den mehrheitlich christlichen Teilnehmern ihre nackten Brüste entgegen. „Gott ist tot“ oder „Treibt den Papst ab“ stand auf ihren blanken Oberkörpern.

Selektion von Kindern mit Down-Syndrom

Am Brandenburger Tor fand die größte Gegenkundgebung statt, die von einem „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ ausgerichtet wurde. Diesem hatte sich die auch die Organisation Pro Familia angeschlossen, die zur Abtreibungslobby gerechnet wird. Es waren wohl keine 200 Gegendemonstranten, von denen eine kleine Gruppe versuchte, sich unter die Marschteilnehmer zu mischen, ihnen Kreuze entrissen und sie mit Kondomen und Konfetti bewarfen.

Während des Marsches kam es zu etwas weniger Störungen als im vergangenen Jahr. Es schien, als hätten die Aktivisten diesmal schon während der Auftaktkundgebung vor dem Bundeskanzleramt ihr Pulver verschossen. Eine sichtlich überforderte Polizei ließ dort ein Häufchen von etwa 50 Protestierern gewähren, die in unmittelbarer Nähe der Bühne mit Trillerpfeifen und Schmähgesängen die Reden von Martin Lohmann und Hedwig von Beverfoerde störten.

Lohmann, Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht, freute sich über die hohe Teilnehmerzahl: „Dieses Zeichen kann man nicht mehr übersehen.“

Die Vorsitzende der Initiative Familienschutz, Hedwig Freifrau von Beverfoerde, stellte die Initiative „Einer von uns“ vor, die sich europaweit für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzt. Sie ermunterte die Teilnehmer, trotz des erreichten Quorums von 75.000 Unterschriften weiterzusammeln. „Mit jeder Stimme wächst das Gewicht unseres Anliegens gegenüber der EU-Kommission.“

Nach ihr berichtete der Oberarzt der Erlanger Kinderklinik, Holm Schneider, über die Selektion von Kindern mit Down-Syndrom in anderen europäischen Ländern. In Dänemark, so Schneider, komme aufgrund der neuen pränatalen Untersuchungen praktisch kein Kind mehr mit Down-Syndrom zur Welt. Daß auch ein Leben mit Trisomie 21 „liebens- und lebenswert“ ist, wie es Lohmann zu Beginn ausgedrückt hatte, bewies der von Schneider aus Erlangen mitgebrachte Überraschungsgast. „Ich bin froh auf der Welt zu sein“, rief die junge Frau mit Down-Syndrom den Teilnehmern entgegen. Sie arbeitet mittlerweile als Sekretärin an der Erlanger Kinderklinik und berichtete stolz, auch einen Partner gefunden zu haben. Manche Teilnehmer bekamen da feuchte Augen.

Sichtlich gerührt waren auch zwei junge Frauen, die zum erstenmal am Marsch teilnahmen. „Diese Menschen hier wollen wenigstens etwas bewegen“, zeigten sich die Studentinnen, die beide Mitglied der CDU sind, beeindruckt. Kritik am konturlosen Kurs ihrer Partei in Fragen des Lebensschutzes schwang in ihrern Worten mit. Für eine 26 Jahre alte Berlinerin hat die Leichtfertigkeit, mit der in Deutschland unerwünschte Kinder getötet werden, auch eine ganz persönliche Bedeutung.

Polizei geht nur zögerlich gegen Störer vor

„Als ich 17 war, habe ich erfahren, daß mein Vater mich eigentlich nicht wollte und versuchte, meine Mutter zur Abtreibung zu überreden. Das war für mich ein Schock“. Seit kurzem zum Glauben gekommen, engagiert sie sich nun für den Lebensschutz: „Es ist das Schlimmste, was einem Volk passieren kann, wenn es anfängt, seine Kinder umzubringen“, klagt sie.

Der seit 2008 jährlich stattfindende Marsch endete in diesem Jahr erstmalig am Lustgarten mit einem großen Freiluftgottesdienst. Anders als 2012 stand die katholische St. Hedwigs-Kathedrale diesmal nicht zur Verfügung. Für Streit sorgte im Vorfeld die Weigerung des Kirchenkollegiums des am Lustgarten gelegenen Berliner Doms, den Lebensschützern das Gotteshaus zu überlassen. Es begründete seine Entscheidung damit, daß die Veranstaltung „höchst problematisch“ sei.

Bei der fröhlichen Feier unter sonnigem Himmel spielte das Thema aber keine Rolle mehr. Störer hatten auch hier zunächst den Beginn der Veranstaltung verzögert. Zwei Homosexuellen-Aktivisten durchbrachen die Absperrung und küßten sich demonstrativ vor der Bühne. Andere Störer wurden, nachdem die Polizei mit einem Anti-Konfliktteam zunächst scheiterte, von den Beamten gewaltsam weggeschafft.

In seinem Schlußwort nach dem Gottesdienst dankte Lohmann dann vor allem der Polizei für den Schutz der Demonstration und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, daß es irgendwann möglich sein werde, in Deutschland eine Lebensschutzkundgebung abzuhalten, ohne daß Polizeischutz nötig sei. Das Fazit zum Polizeieinsatz blieb auch unter den Teilnehmern gemischt. Häufig gelang es den Beamten nicht, zu verhindern, daß Lebensschützer bedrängt und mit Gegenständen beworfen, daß ihre Kreuze entwendet und geschändet wurden. Selbst auf Hinweis entfernten die Beamten oftmals nur zögerlich die linken Störer aus dem Strom. Böse Absicht kann man dabei wohl nicht unterstellen. Zwei Polizisten brachten die mangelnde Koordination des Einsatzes im Gespräch auf den Punkt: „Wir wissen überhaupt nicht, was genau wir tun sollen.“ Das hingegen wissen die Lebensschützer ganz genau. Auch im nächsten Jahr mindestens einen neuen Teilnehmer mitbringen, lautete die Aufforderung Lohmanns.

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