© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Leiser Abgesang
FDP: Der Absturz der Liberalen begann damit, daß sie ihre Versprechen nach der Bundestagswahl 2009 nicht eingehalten haben
Christian Schreiber

Am Ende spielte sich an verschiedenen Orten wohl immer das gleiche Drama ab. Am vergangenen Sonntag gegen 16.30 Uhr, so berichtet ein FDP-Landesgeschäftsführer, sei die niederschmetternde Nachricht aus Berlin in die Untergliederungen übermittelt worden. 4,5 Prozent lautete die Prognose. Aufgrund der relativ hohen Zahl der Briefwähler sollte der Anteil später noch auf 4,8 Prozent steigen. Auf den Wahlpartys in den Ländern herrschte lähmendes Entsetzen. Was kaum jemand für möglich gehalten hatte, ist eingetreten. Die FDP, die Partei des organisierten Liberalismus in der Bundesrepublik, gehört zum ersten Mal seit ihrem Bestehen nicht mehr dem Parlament an.

Krisen hatte die Partei in ihrer wechselvollen Geschichte immer wieder durchlebt. Mal spalteten sich Flügel ab, mal flog sie reihenweise aus Landesparlamenten. Aber der Rauswurf aus dem Bundestag erschien bis zum Wahltag undenkbar. Noch an den Tagen vor der Abstimmung hatten Parteifunktionäre hinter vorgehaltener Hand von mindestens sechs Prozent gesprochen. Die CDU, der bisherige Koalitionspartner, werde schon ein paar Leihstimmen verteilen, damit es für eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition reiche. Doch das Gegenteil ist eingetreten. Mit bemerkenswerter Brutalität zog Kanzlerin Angela Merkel ihr Motto „Beide Stimmen für die CDU“ durch und drückte die Liberalen damit unter die Fünfprozenthürde. Zudem verlor die FDP in hoher Anzahl Stimmen an die neugegründete Alternative für Deutschland, deren Wahlkampf sie zuvor noch mit hämischer Arroganz begleitet hatte. Ohnehin schien das Schlimmste für die Bundesspitze um Wirtschaftsminister Philipp Rösler überstanden. Anfang des Jahres schaffte es die FDP in Niedersachsen mit rund zehn Prozent in den Landtag, Ähnliches war ihr 2012 bereits in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein gelungen. Bei allen drei Landtagswahlen profitierte die FDP von Leihstimmen der Union, und dennoch oder gerade deswegen reichte es nirgends zu einer bürgerlichen Koalition.

Die Partei hatte es innerhalb der vergangenen Legislaturperiode schlicht verlernt, eigene Wählerpotentiale zu erschließen. Dabei waren die Liberalen im Herbst 2009 auf dem Höhepunkt angekommen. Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle führte die Partei mit einem spektakulären Steuersenkungswahlkampf auf 14,6 Prozent. In den Monaten vor und nach der Bundestagswahl wurde fast jede Abstimmung auf kommunaler Ebene zu einem Triumphzug für die Gelben.

Doch schon unmittelbar nach dem Wahlabend begann der schleichende Abstieg. Frontmann Westerwelle griff nach alter liberaler Tradition nach dem Außenministerium. Dabei vertrauten ihm die Wähler vor allem in Sachsen Innen- und Finanzpolitik. Sein Parteifreund Dirk Niebel bezog das Entwicklungshilfeministerium, welches er vor der Wahl noch vollmundig abschaffen wollte. Auch das Wirtschaftsministerium wurde mit dem hemdsärmeligen Pfälzer Rainer Brüderle eher dürftig besetzt. Nur der junge Niedersachse Philipp Rösler, ein Augenarzt, schien im Gesundheitsministerium gut aufgehoben zu sein.

Danach folgte ein Absturz, der seinesgleichen suchte. Für Westerwelle war das außenpolitische Parkett zu glatt, Brüderle blamierte sich vor Wirtschaftsbossen nach Kräften, und Birgit Homburger bekam die Fraktion nicht in den Griff. Inhaltlich entpuppte sich die auf knapp 15 Prozent aufgeblähte Mannschaft als Luftnummer. Von Steuersenkungen war keine Rede mehr, und in Sachen Energiepolitik vollzog sie eine Wende hin zum Atomausstieg, die an Peinlichkeit schwer zu überbieten war. Als die Umfragen in den Keller gingen und es Wahlniederlagen am Fließband hagelte, wurde das Personal ausgetauscht, Westerwelle aus dem Vorsitz gemobbt. Sein Nachfolger, Philipp Rösler, rotierte in Brüderles Wirtschaftsministerium, der wiederum Birgit Homburger vom Fraktionsvorsitz verdrängte.

Irgendwann warf auch Generalsekretär Christian Lindner entnervt hin, um sich in Nordrhein-Westfalen seine eigene innerparteiliche Opposition aufzubauen. Wolfgang Kubicki, ein charismatischer und notorischer Querulant, tat es ihm in Schleswig-Holstein gleich. Innerparteiliche Reformversuche, wie die des ostwestfälischen Euro-Rebellen Frank Schäffler wurden im Keim erstickt. Dieser kündigte unmittelbar nach dem Wahldesaster einen knallharten Richtungskampf um den künftigen Kurs der Partei an. Doch der scheint bereits entschieden. Rösler und Co. verabschiedeten sich noch am Tag nach der Wahl aus ihren Ämtern. Nun soll NRW-Landeschef Lindner die Partei in die außerparlamentarische Opposition führen. Ausgerechnet er, der Bestandteil der alten Führungsmannschaft war, die sich nach dem Triumph vor vier Jahren in Windeseile zerlegte.

An seiner Seite soll der Norddeutsche Kubicki agieren, auch nicht gerade ein Garant für einen Neuanfang. Doch die Riege der Hoffnungsträger ist ausgedünnt, in den Ländern gibt es kaum noch geeignetes Personal. Inhaltlich dürfte sich unter einem Parteivorsitzenden Lindner wenig ändern, steht doch auch er für einen weichgespülten Beliebigkeitsliberalismus mit Euro-Rettung und Mindestlohn. Spannend bleibt daher die Frage, wie sich der verbliebene rechte Parteiflügel verhalten wird, zu dem neben Schäffler auch der sächsische Landesvorsitzende Holger Zastrow zählt. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit, sieht jedenfalls das Ende der FDP gekommen: „Die AfD könnte sie im Parteienspektrum ersetzen.“

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