© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/13 / 27. September 2013

Merkels Matriarchat
Ohne bürgerliche Opposition zeigen alle Wege nach links
Paul Rosen

Am 22. September 2013 ist die alte Bonner Republik endgültig Geschichte geworden. Das Ausscheiden der FDP aus dem Berliner Reichstag stellt einen Einschnitt dar, der eines Tages vielleicht als historische Zäsur oder gar als Zeitenwende betrachtet werden wird. Die Berliner Republik ist nun da – aber anders als von vielen erhofft oder erwartet ist sie nicht der freieste Staat auf deutschem Boden geworden, sondern sie atmet den Geist von Obrigkeit, Regulierung und Bevormundung. Die geistige Freiheit wird eingeengt.

Politische Veränderungen in Deutschland geschehen schleichend. Wahltage sind wie Blitzlichtaufnahmen. Die FDP wand sich seit Jahren im Todeskampf. Die Scheinblüte mit fast 15 Prozent vor vier Jahren erscheint heute wie das letzte Aufbäumen eines Kranken. Lordsiegelbewahrer der Marktwirtschaft war die FDP schon lange nicht mehr, Bürgerrechte wurden einer neumodischen Beliebigkeit geopfert. Die Liberalen folgten dem allgemeinen Hang zur Staatsgläubigkeit, vergaßen das Prinzip der Eigenverantwortung und taten so, als sei das Subsidiaritätsprinzip ein unbekanntes Fremdwort.

Mit der FDP in der Regierung marschierte Deutschland in eine europäische Schuldenhaftung, die verantwortungsbewußte Politiker abgelehnt hätten, weil die in Rede stehenden Milliarden nie gezahlt werden, aber die Verpflichtungen das ganze europäische Haus zum Einsturz bringen können. Die Marktwirtschaft wurde und wird schrittweise durch eine Staatswirtschaft ersetzt, die einer Hydra ähnlich ist: Regulierung an einer Stelle löst Regulierungsbedarf an mehreren anderen Stellen aus. Deutlich sichtbar wird dies im Energiebereich. Der jetzt als liberaler Retter herbeigesehnte nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Christian Lindner ist ein gerngesehener Gast in Talkshows, aber auf dem politischen Gefechtsfeld unerfahren und nicht schußfest.

Seit dem Vorliegen des vorläufigen amtlichen Endergebnisses der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag ist klar, daß im Berliner Reichstag nur noch sozialdemokratische Fraktionen sitzen. Der Unterschied zwischen Union und SPD ist marginal. Da die SPD keinen eigenständigen Wahlkampf führen konnte oder wollte, kam sie mit dem zweitschlechtesten Ergebnis seit 1949 aus dem Wahlkampf. Umgekehrt konnten CDU und CSU durch die Ausweitung ihrer Positionen nach links in diesem Umfang nicht erwartete Stimmengewinne einheimsen.

Starke Germania gegen das kommende Erdbeben

Eine Rückkehr der Volksparteien aus Bonner Zeit ist das nicht, die sind ebenfalls bereits Geschichte. Sonst hätte auch die SPD mehr profitieren müssen. Vielmehr klammerten sich viele Bürger an die Figur der inzwischen zur „Kaiserin von Europa” (wie die niederländische Zeitung de Volkskrant schrieb) überhöhten Bundeskanzlerin Angela Merkel. Durchschnittliche Bundesbürger mögen wenig von Volkswirtschaft, Finanzpolitik und Demographie verstehen; aber daß etwas Unbekanntes, Unheimliches und Gefährliches auf sie zurast, spüren sie instinktiv wie Tiere das kommende Erdbeben. Und so werden Hoffnungen auf die vermeintlich starke Germania gesetzt, die dem Weltensturm trotzen soll.

Merkel versucht nun, das Wahlergebnis in eine handlungsfähige Regierung umzusetzen. Wenn sie sagt, „Deutschland braucht eine stabile Regierung”, dann ist das ihr voller Ernst. Empfehlungen von linker Seite, die Union möge angesichts ihrer knapp an die absolute Mehrheit heranreichenden Mandatszahl eine Minderheitsregierung bilden, sind Hirngespinste. Eine solche Regierung müßte im Bundestag immer wieder Mehrheiten suchen und im Bundesrat erst recht. Das ist alles andere als stabil.

Ein Bündnis mit den geschwächten Postkommunisten von der Linkspartei schließt nicht nur die SPD aus, sondern erst recht die Union. Für die schwarz-grüne Option ist es, auch wenn die Zahl ihrer Befürworter in der CDU wächst, noch zu früh.

Die Grünen sind unerwartet in eine Sinnkrise gestürzt. Sie haben die ihnen widerfahrende mediale Zustimmung mit Wählerstimmen verwechselt. Ein Großteil potentieller Wähler ging jedoch auf Distanz wegen der grünen Umverteilungsvorstellungen, die denen der Kommunisten wenig nachstanden. Ihr Hang zu Verboten, deutlich geworden am geforderten Vegetarier-Tag in allen Kantinen, machte den Wählern klar, daß sie es bei den Grünen nicht mit den Blumenkindern von einst zu tun haben. Vielmehr feiert der gestrenge deutsche Oberlehrer der Kaiserzeit im grünen Gewand wenig fröhliche Urständ.

Zuletzt zog das pädophile Erbe die Partei wie einen Mahlstein in die Tiefe, so daß die grünen Führungsfiguren einschließlich Claudia Roth und Jürgen Trittin ihre Ämter feilbieten wie Berliner ihre alten Klamotten auf dem Flohmarkt am Boxhagener Platz in Friedrichshain – einer hippen Gegend, in der der grüne Greis Hans-Christian Ströbele seinen Wahlkreis gewann. Es war der einzige von einem Grünen gewonnene Wahlkreis. Geträumt hatten sie von einem Dutzend vor allem in Baden-Württemberg, wo aber die grünen Erwartungen wie Seifenblasen platzten und die CDU wie Phönix aus der Asche aufstieg. Die Krise der Grünen beeinträchtigt ihre Regierungsfähigkeit. Mit dem Spagat zwischen ihrem Programm und einem Koalitionsvertrag mit der Union wären sie überfordert.

Was bleibt, ist das, was man früher, als die SPD noch stark war, Große Koalition nannte. Auch wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel sich ziert, erfüllt nur diese Option Merkels Anspruch, eine stabile Regierung zu bilden. Die theoretisch noch vorhandene Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses hätte schon Probleme bei der Kanzlerwahl. Niemand kann drei Fraktionen so disziplinieren, um stets Mehrheiten von ein paar Stimmen gegen den großen christdemokratischen Block zu erreichen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will nicht an die Spitze dieses Bündnisses treten, und Gabriel kann sich der völligen Zustimmung seiner eigenen Partei nicht sicher sein.

Frühlingslüftchen gegen den Bevormundungsstaat

Die dritte Kanzlerschaft Merkel ist damit greifbar nah, vermutlich mit einem Juniorpartner SPD, der in diesem Bündnis sogar auf Augenhöhe operieren könnte. Denn nur mit SPD-Hilfe lassen sich die Widerstände im Bundesrat überwinden. Die Neuauflage der schwarz-roten Koalition hätte genauso wie die Regierung zwischen 2005 und 2009 mit der Finanz- und Schuldenkrise zu kämpfen und nur eine zentrale Aufgabe: die Rettung der Euro-Währung. Schwarz-Rot stünde für Steuererhöhungen, mehr Regulierung, weniger Wettbewerb. Eine solche Regierung würde versuchen, den Niedergang der Industrie mit Subventionen aufzuhalten, während sie parallel dazu im Energiebereich keine oder kaum Subventionen abbauen könnte.

Der mit einer Regierung Merkel und Gabriel unvermeidliche Anstieg von Staats-, Steuer- und Abgabenquoten, nicht zuletzt zugunsten südeuropäischer Länder, führt in der Konsequenz zur Einschränkung der Freiheit, da der Bürger über einen immer geringeren Teil seines Verdienstes verfügen kann. Das erledigt der Staat. Vermögens- und Kapitalsteuern werden für das Alter angesparte Vermögen schmälern. Selbst Gutverdiener würden von öffentlicher Fürsorge abhängig.

Der mit dem Matriarchat Merkels kommende Bevormundungsstaat, der den Bürgern ihre Selbstverantwortung brachial entreißt, ist die Chance für eine neue liberale Bewegung, wie sie die Alternative für Deutschland (AfD) werden kann. Ihr Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde ist keine Niederlage. Zwei Millionen Stimmen sind vielmehr ein Zeichen für den ungebrochenen Willen zur Freiheit in Deutschland und ein Frühlingslüftchen im tristen deutschen Herbst 2013.

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