© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Bilanztrick Biomasse
Kluge Strategien zur Rettung des Planeten sollen die Visionen der Klima-Apokalyptiker aufhellen
Steffen Prochnow

Abgesehen von der diesjährigen Flut und dem Jahrhundertsommer, die für besorgte Gemüter mehr als Wetterextreme waren, scheint die Klimawandeldebatte leiser zu werden. In der Wissenschaft mehren sich jedoch apokalyptische Stimmen. Dennis Meadows, Mitautor des Club-of-Rome-Reports über „Die Grenzen des Wachstums“, hat seine Hoffnungen auf Korrekturen bei Bevölkerungswachstum, Ressourcenverschwendung oder Klima­erwärmung bereits aufgegeben. Der US-Ökonom rät, sich mental auf unvermeidbare Katastrophen einzustellen.

Die deutsche Ausgabe von „Ten Billion“ schlägt in dieselbe Kerbe. Darin versammelt der britische Informatiker Stephen Emmott bekannte Fakten, vom Schmelzen der Polkappen bis zur ungebremsten Bodenversiegelung. Emmotts schwarzseherische Datencollage brachte es 2012 sogar zu einem veritablen Erfolg am Londoner Royal Court Theatre. Zwar ohne literarischen Ehrgeiz, aber ebenfalls mit deprimierenden Molltönen, eröffnet der Chemiker Hermann Pütter vergleichbar düstere Perspektiven (Chemie in unserer Zeit, 6/13). Er fragt „Wieviel Kohlenstoff braucht der Mensch?“ und fordert eine globale „Dekarbonisierung“. Das Konzept dazu liege seit den Klimakonferenzen von Rio (1992) und Kyoto (1997) vor. Doch der Dauerappell, unsere Lebens- und Produktionsweise zu ändern, um der Menschheit eine „weiche Landung“ zu bescheren, blieb ungehört.

Vor allem bei der westlichen Führungsmacht: Würden alle so leben wie die US-Bürger, so zitiert Pütter den Chemienobelpreisträger Yuan Tseh Lee, bräuchten wir demnächst 5,4 Erden. Auch Deutschland müsse sich beim „Unternehmen Weltrettung“ kräftiger anstrengen. Wenn es nämlich nicht nur darum gehe, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sondern auch darum, unsere Ansprüche auf pflanzlichen Kohlenstoff zu mäßigen, dann sei die forcierte deutsche Biomassenutzung „unbedacht“, so Pütter. Mit „klimaneutralem“ Kohlenstoff will die Bundesregierung die Atmosphäre um 36 Millionen Tonnen Kohlenstoff entlasten. Mehr als ein „Bilanztrick“ sei das nicht. Denn um Biomasse in verwertbare Energie zu verwandeln, ist ein erhöhter Verbrauch von Biokohlenstoff nötig. Pütter rät daher zu „wirklich kohlenstoffreien“ erneuerbaren Energien: Wind, Erdwärme, Photovoltaik, Wasserkraft.

An diesem Punkt unterscheidet sich der deutsche Nachhaltigkeitsexperte von Untergangspropheten wie Meadows und Emmott. Eine „Fülle von klugen Strategien“ könne die Fahrt in den Abgrund stoppen. Die Entwicklung von Energiespeichern für den unsteten Wind- und Sonnenstrom sei die „vordringlichste“ Kraftanstrengung. Er fordert mehr Grundlagenforschung, um Meerespflanzen als alternative Biomasse zu erschließen, sowie die Wiederaufforstung unfruchtbar gewordener Flächen – das Potential dieser Optionen sei „riesig“.

Schließlich stehe ein neuer Umgang mit Ländern der südlichen Hemisphäre an, mit denen Rohstoffe, Güter und technisches Wissen „fair“ zu teilen seien. Wenn Natur- gemeinsam mit Kulturwissenschaftlern, Medien und Politik zudem die „Herkulesaufgabe“ anpackten, die „Grenzen unseres Wirtschaftens“ aufzuzeigen, stelle sich der seit 1972 ausgebliebene Bewußtseinswandel vielleicht doch noch rechtzeitig ein.

Magazin „Chemie in unserer Zeit“ (6/13): onlinelibrary.wiley.com/

Stephen Emmott: Zehn Milliarden. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, gebunden, 206 Seiten, 14,95 Euro

Foto: Biogas-Anlage: Die Erzeugung von klimaneutralem Kohlenstoff taugt nicht fürs „Unternehmen Weltrettung“

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