© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Apotheke in der Kanalisation
Medikamente, die in der Toilette landen, schaden Mensch und Umwelt / Neue Filtertechnik kann Arzneimittel aus dem Abwasser lösen
Christian Schreiber

Fische, die durch Psychopharmaka ihr Wesen verändern? Hört sich wie eine Sequenz aus einem Hollywood-Film an. Dabei kommt dieses Szenario der Wahrheit beängstigend nahe. Es mehren sich Anzeichen, daß Rückstände von Medikamenten, die über die Kläranlagen in Gewässer gelangen, den dort lebenden Tieren extrem schaden. Derzeit wird erforscht, welche Auswirkungen dies auf den Menschen haben kann.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte kürzlich, die bis 2009 übliche freiwillige Rücknahme von ausgedienten Arzneimitteln in Apotheken bundesweit wieder einzuführen. Damit ließe sich zumindest das Problem bekämpfen, daß Arzneien über die Toilette entsorgt werden. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt, daß so jährlich mehrere Hundert Tonnen in der Kanalisation landen. Doch nicht nur das Wegwerfen von Medikamenten wird zum Problem. Auch natürliche Ausscheidungen spielen eine Rolle. 156 Arzneimittelwirkstoffe seien in Deutschland bereits in der Umwelt nachgewiesen worden, gut 130 davon in Oberflächengewässern, warnt das UBA. Der weit überwiegende Teil stamme direkt aus menschlichen Ausscheidungen: „Das Medikament, das vom Körper komplett zerlegt wird, gibt es noch nicht.“

Eine Studie hat festgestellt, daß Rückstände des Medikaments Diazepam beispielsweise Flußbarsche mutiger und weniger sozial macht. Wie sich der Arzneimittel-Cocktail auf Flora und Fauna auswirke, sei aufgrund der Komplexität der nötigen Studien derzeit noch nicht gut untersucht, heißt es vom UBA. Umweltexperten fordern, Abwasserbehandlungsverfahren einzusetzen, die Medikamentenrückstände entfernen. Denn über Seen, Flüsse und das Grundwasser gelangen die Stoffe auch ins Trinkwasser. Besonders problematisch seien zum Beispiel Hormone wegen ihrer starken Wirksamkeit und Schmerzmittel, die in großen Mengen eingenommen werden. Außerdem würden Krankheitserreger zunehmend resistent gegen Antibiotika.

Viele Arzneistoffe sind schwer abbaubar. Verfahren für große Kläranlagen, um Medikamentenreste herauszufiltern, gibt es schon. Das Bremer Zentrum für Umweltforschung (UFT) entwickelt derzeit Filter für Kleinkläranlagen auf dem Land. Aber an den Abwasserreinigungsanlagen allein ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen. Das UBA fordert daher, Arzneimittel schon vor der Zulassung genauer zu prüfen. „Eine Umweltbewertung fließt derzeit nicht in die Nutzen-Risiko-Bewertung ein, die für Zulassung neuer Medikamente verpflichtend ist“, sagte UBA-Experte Gerd Maack dem Focus.

Doch nicht nur aus dem Grundwasser drohen gesundheitliche Risiken. Auch im Mineralwasser wurden bereits in der Vergangenheit Schadstoffe in bedenklichem Ausmaß festgestellt. Es geht um Acetaldehyd (C2H4O), ein relativ kleines chemisches Molekül, welches von der Weltgesundheitsorganisation als krebserregend eingestuft wurde.

Schon vor einigen Jahren wurden Rückstände in Mineralwasserflaschen festgestellt. Nach eingehenden Untersuchungen stellte sich schließlich heraus, daß das Problem bei den Flaschen selbst lag. Die Stiftung Warentest hatte 30 Medium-Mineralwässer in PET-Flaschen getestet und in zehn Wässern zu hohe Mengen Acetaldehyd gefunden. Die Substanz stammt aus PET-Flaschen.

Mittlerweile ist man dieser Problematik durch neue Beschichtungsverfahren vordergründig Herr geworden, doch das Thema Acetaldehyd stellt sich nach wie vor. Vor allem am Feierabend oder am Wochenende, wenn die Deutschen Hochprozentigem zusprechen. Denn Acetaldehyd ist ein Abbauprodukt von Äthanol, sprich von Trinkalkohol. Es gilt als Auslöser vor Mund- oder Rachenkrebs und kommt nicht nur in Hochprozentigem vor. Es gibt Fruchtsäfte, Joghurtsorten und andere Nahrungsmittel, bei denen Acetaldehyd als Aromastoff eingesetzt wird, um ein fruchtiges Aroma zu generieren. Experten sprechen daher von einem „sträflich unterschätzten Krebsrisiko-Faktor“.

Gesundheitliche Bewertung von Acetaldehyd in alkoholischen Getränken: www.bfr.bund.de

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