© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Stets ein kritischer Geist
Ein deutsches Jahrhundertleben: Der Schriftsteller Erich Loest gehörte zu einer schwer verwundeten Generation, vorige Woche starb er mit 87 Jahren
Doris Neujahr

Mit einem Fenstersturz hat der Schriftsteller Erich Loest 87jährig seinem schweren, reichen Leben ein Ende gesetzt. Es war ein deutsches Jahrhundertleben, das die Narben und Signaturen der Zeit trug. Loest, geboren 1926 im sächsischen Mittweida, gehörte zu einer dezimierten, an Leib und Seele schwer verwundeten Generation.

Der Sohn eines Eisenwarenhändlers durchlief die üblichen Stationen von der Hitlerjugend bis zur Wehrmacht. 1944 wurde er Mitglied der NSDAP, 1945 war er kurz im Werwolf aktiv. In seinem allerersten Buch, „Jungen, die übrigblieben“, das 1950 erschien, hat er viele, wenn auch nicht sämtliche Erfahrungen dieser Jahren niedergeschrieben.

Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft wollte er alles radikal anders und besser machen. Er wurde Mitglied der SED und betätigte sich als Journalist und Schriftsteller – zunächst regimetreu, wie man heute leichthin sagt. 1952 veröffentlichte er den Berlin-Krimi „Die Westmark fällt weiter“, eine politische Kolportage, in der sich der glorreiche Ost- und der verderbte Westteil unversöhnlich gegenüberstehen. Darüber verfaßte er später eine herrliche Persiflage. Loest hatte eine ungewöhnliche Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbstironie.

Er hatte früh Erfolg, kam zu Ansehen und guten Einkünften. Doch darum ging es ihm in der Hauptsache nicht. Er nahm das Fortschritts- und Freiheitsversprechen, das von Partei und Staat intonierte Lied von einer besseren Welt beim Wort. Der Aufstand am 17. Juni 1953 stürzte ihn folgerichtig in eine Glaubenskrise. Mehr und mehr geriet er mit der Polit- und Kulturbürokratie in Konflikt. 1956 wurde er mit Harich, Janka, Günter Zehm und anderen verhaftet. Siebeneinhalb Jahre verbrachte im Zuchthaus Bautzen, das er als schwer Magenkranker verließ. Es war eine „gemordete Zeit“, über die er nie hinwegkam.

Ein kritischer Geist blieb er auch im Westen, wo der eingefleischte Leipziger seit 1981 lebte. Druck und Überwachung zu Hause waren unerträglich geworden. Empört konstatierte er, daß nicht wenige bundesdeutsche Intellektuelle den Unterdrückern in der DDR näherstanden als den Unterdrückten. Gleich nach der „Wende“ kehrte er nach Leipzig zurück. Von Linken zwar angefeindet, wurden seine Bücher aber nun endlich auch in der engeren Heimat so gewürdigt, wie sie es verdienten. „Es geht seinen Gang“, „Völkerschlachtdenkmal“ und „Nikolaikirche“ sind die bekanntesten. Sie spielen – natürlich – in Leipzig.

Sein wichtigstes Buch aber bleibt „Durch die Erde ein Riß“, der erste Teil seiner Autobiographie, der mit der Haftentlassung 1964 endet. Wer über die mentalen Voraussetzungen und Prägungen in der frühen DDR, über die Bekehrungen in der „Stunde Null“, über den Idealismus, die Illusionen und die Desillusionierung der Loest-Generation etwas Authentisches erfahren will, muß zu diesem Buch greifen. Es gibt kein besseres!

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