© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

Der Michael und der Werner
Nationalratswahl in Österreich: Die Großkoalitionäre von SPÖ und ÖVP ringen um die beste Startposition, wollen sich aber nicht weh tun
Reinhard Liesing

In den Fernsehauftritten der österreichischen Spitzenkandidaten, besonders jenen der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP, muß eine gewisse Aufgeregtheit quasi simuliert werden. Denn die Nationalratswahl am 29. September läßt das Publikum zwischen Neusiedlersee und Rheintalgraben noch merkwürdig unberührt.

Das mag daran liegen, daß die beiden Großkoalitionäre Werner Faymann (SPÖ) und Michael Spindelegger (ÖVP) einen Quasi-Nichtangriffpakt geschlossen haben. Allerdings liegt Kanzler Faymann immer einen Schritt vor Außenminister Michael Spindelegger – jedenfalls wenn es um die Umfragewerte geht.

Dabei versuchen sich Faymann und dessen SPÖ dank simpler Botschaften wie „Arbeitsplätze schaffen“ und „Pensionen sichern“ als stärkste politische Kraft im Parlament zu behaupten. Die ÖVP des Vizekanzlers Spindelegger, die im Frühjahr nach gewonnener Volksabstimmung über die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht sowie für sie erfreulich gelaufenen Landtagswahlen in Tirol und Salzburg noch gut im Rennen lag, hat ihren Wahlkampf dagegen vergeigt. Zusammen werden die beiden einstigen Großparteien eine knappe absolute Mehrheit erringen. Womit sie ihre Koalition fortsetzen können – was auch ihr erklärtes Ziel ist.

Den dahindümpelnden Wahlkampf brachte ein ausgewiesener Sozialpartnerschaftsspitzenmann ein wenig auf Touren. Unternehmer Christoph Leitl, der seit vielen Jahren der Bundeswirtschaftskammer als Präsident vorsteht, redete Klartext: Österreich sei seit 2007 „abgesandelt“ – noch 2006 sei es ein europäisches „Musterland“ gewesen.

In zahllosen Analysen und Artikeln wurden damals die Alpenrepublik und ihre politischen Erfolge insbesondere der rot-grünen deutschen Regierung als leuchtendes Vorbild vorgehalten. Diese damalige Stellung Österreichs war zweifellos Ergebnis der „schwarz-blauen Periode“, jener beiden ÖVP/FPÖ und ÖVP/BZÖ-Koalitionen unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel seit 2000.

Was Leitl (ÖVP) in heimatlichem Idiom mit „abgesandelt“ ausdrückte, heißt soviel wie: die ökonomischen Perspektiven des Landes seien als „stark beeinträchtigt“ zu betrachten. Womit er, zusammen mit der Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP), die für einige Beobachter der politischen Szenerie als „einziger Mann der Regierung“ gilt, dafür sorgte, daß selbst der konfliktscheue Spindelegger die Lage etwas offener anspricht, statt vorwiegend auf politische Weichmacherthemen zu setzen.

Dies ließ freilich die darob erzürnte SPÖ von „Österreich-Bashing“ sprechen. Die führende Regierungspartei will die signifikante Verschlechterung der langfristigen Zukunftsprognosen für Österreich (Demographie, implizite Staatsverschuldung, Verlust der Konkurrenzfähigkeit aufgrund der hohen Steuern) nicht zur Kenntnis nehmen und keinerlei Handlungsbedarf sehen. Dabei ist offenkundig, daß die SPÖ hauptverantwortlich ist für das, was – neben vielen anderen Studien – die EU-Kommission unlängst bilanzierte: Es gibt kein Mitgliedsland, das mit so wenig Reformen auf den Ausbruch der Krise reagierte wie Österreich.

Denn die SPÖ schmetterte praktisch jeden Reformvorschlag ab. Wegen der so peinlichen Kontrastwirkung verteufeln Sozialdemokraten ebenso wie Grüne, die sich nichts sehnlicher wünschen, als der künftigen österreichischen Regierung als (dritter) Koalitionär anzugehören, im Wahlkampf die „schwarz-blauen Jahre“.

Spindelegger ist angetreten, die ÖVP zur stärksten Kraft zu machen. Daher stellt er auch den Kanzleranspruch und würde der SPÖ gerne die Rolle des „Juniorpartners“ zukommen lassen, die seine Partei seit 2007 einnimmt. Der erhoffte Umschwung in der Wählergunst ist aber nicht in Sicht. Weit weg ist das Jahr 2002, als Wolfgang Schüssel 42 Stimmenprozente erzielte – danach führte der Weg der ÖVP stets bergab. Im Bund billigen ihr die Demoskopen beständig 25, der SPÖ hingegen 27 Prozent zu. Spindelegger kämpft gegen den Absturz an.

Weil die SPÖ die Wiedereinführung der von ihrem früheren Finanzminister Ferdinand Lacina abgeschafften Vermögenssteuer als „Millionärssteuer“ propagiert, spricht Spindelegger von „Faymann-Steuern“. Dabei weiß jedermann, daß die ÖVP nach der Wahl sie nicht verhindern können wird. Eine Zuspitzung ist daher kaum möglich und ohnedies Spindeleggers Sache nicht.

Überhaupt läuft die Wahlkampfinszenierung zwischen den beiden „Großen“ auf ein „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ hinaus. Selbst in ihrem TV-„Duell“ gaben sich Faymann und Spindelegger als nette Kerle von nebenan.

Ihr ostentatives Duzen fördert fürs Publikum zutage: Auch im und um das Kanzleramt herum werkeln nur Menschen aus Fleisch und Blut. An den Machthebeln sitzen keine abgehobenen Streber und schon gar keine „Helden“, sondern der Werner und der Michael. Damit wird jedermann vorgeführt, daß sie nach der Wahl weiter miteinander können: Wenn’s denn sein muß, und weil’s net anders geht.

Foto: Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP, l.) und Kanzler Werner Faymann (SPÖ): „Weil’s eh net anders geht“ auch nach dem 29. September ein unzertrennliches Koalitionsduo?

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