© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

„Endlich einer, den man wählen kann!“
Wahlkampf an der Basis: Als Reporter unterwegs mit den „Euro-Rebellen“ Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP)
Hinrich Rohbohm

Der Blick auf die Uhr ist zur Gewohnheit geworden. „Ich bin schon wieder fünf Minuten im Verzug“, sagt Klaus-Peter Willsch. Gerade erst hat der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Rheingau-Taunus-Limburg der Kirmes in Niederzeuzheim einen Besuch abgestattet.

Der 52jährige gehört zu den wenigen Volksvertretern, die den EU-Rettungsschirm für den Euro abgelehnt haben. Innerhalb der CDU gilt er als Wortführer der sogenannten Euro-Rebellen. „Sie meinen, Euro-Realisten“, korrigiert der Vater von fünf Kindern gegenüber der JUNGEN FREIHEIT sofort. Längst ist ihm klargeworden, daß die Politik in der Staatsschuldenkrise jegliches Augenmaß verloren hat. „Es ist unglaublich, was da derzeit passiert“, sagt er. Gemeinsam mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten hatte er Merkels Kurs der Alternativlosigkeit kritisiert und die „Allianz gegen den ESM“ ins Leben gerufen, die vom Bund der Steuerzahler und der Chefin des Wirtschaftsverbands der Jungen Unternehmer, Marie-Christine Ostermann, unterstützt wird. Die Bundestagswahl ist auch ein Gradmesser dafür, inwiefern die „Euro-Realisten“ vom Volk gestärkt oder abgestraft werden. „In meinem Wahlkreis habe ich fast nur Zustimmung zu meiner Position erfahren“, sagt der gelernte Diplom-Volkswirt. Nur einmal habe es einen Bürger gegeben, der ihn für sein Abstimmungsverhalten in dieser Frage kritisiert habe.

So auch in Limburg an der Lahn, mit 34.000 Einwohnern einer der größten Orte in dem ländlich geprägten Wahlkreis. „Das ist schon richtig, daß er sich da in Berlin nicht verbiegen läßt“, meint etwa ein 54 Jahre alter Ingenieur über seinen Abgeordneten. „Endlich mal einen, den man wählen kann“, ist auch ein 42jähriger Elektrotechniker von Willsch und seinem Nein zum ESM überzeugt. Und auch eine 23 Jahre alte BWL-Studentin findet seine Haltung in der Schuldenkrise richtig. „Es müßten doch eigentlich viel mehr Abgeordnete auf die Barrikaden gehen. Die haben offenbar alle Angst um ihre Pöstchen. Hoffentlich läßt sich der Herr Willsch auch nach der Wahl nicht einschüchtern und sagt seine Meinung wie bisher.“

Auch auf der Kirmes in Niederzeuzheim ist die Stimmung für Willsch gut. Der Hauptmann der Reserve steuert mit einem Korb voller Biergläser auf einen der Tische zu, an denen mehrere Rentner sitzen. Er klopft auf den Tisch, verteilt das Bier, setzt sich zu ihnen. „Viel Glück, unsere Stimme haben Sie“, hört man die Leute nicht nur an diesem Tisch sagen.

Kurzes Pläuschchen, Bier austrinken, aufstehen, weiter zum nächsten Tisch. Für Willsch gilt es, so viele Leute wie möglich zu erreichen. Der Bürgermeister kommt auf ihn zu, ein CDU-Mann. „Da drüben, an den Tisch da mußt du unbedingt hin, da sitzt ein Vertreter der SPD und macht Werbung für die Konkurrenz.“ Willsch steht auf, ordert den nächsten Korb Bier und geht mit dem Bürgermeister im Schlepptau zum besagten Tisch.

20 Minuten später sitzt das Landesvorstandmitglied der Hessen-CDU bereits wieder im blauen Mazda, den er als Wahlkampfauto gemietet hat. „Wir haben ein Problem mit dem Motor“, sagt sein Fahrer. Der Anhänger, in dem sich die Wahlkampfmaterialien befinden, ist offenbar zu schwer für das Fahrzeug. Nur mühsam schleppt sich der Wagen durch die bergige Landschaft des Wahlkreises in Richtung Lindenholzhausen, der nächsten Wahlkampfstation von Klaus-Peter Willsch. „Mist, wir verlieren zuviel Zeit“, flucht der Abgeordnete. Schon klingelt sein Mobiltelefon. „Ja, wir sind schon unterwegs, dauert nicht mehr lange, der Motor macht Probleme“, erklärt er, während sich der Mazda samt Anhänger im Schrittempo über eine Bergkuppe quält. Willsch sitzt auf der Rückbank. Neben ihm liegt eine dicke Aktenmappe, in der sich Dutzende Zettel auftürmen. Der Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Rheingau-Taunus nutzt die Fahrzeit, um ihn abzuarbeiten, zu telefonieren, am besten beides gleichzeitig.

Schließlich hat sich der Wagen bis Lindenholzhausen gekämpft. Auch hier ist Kirmes. Blasmusik spielt in einem Festzelt. Für Willsch geht die Tour der tausend Tische weiter. Grüßen, eine Runde Bier spendieren, setzen, kurze Gespräche, aufstehen, Hände schütteln, nächstes Gespräch. „Sich zu lange aufhalten ist fatal, dann kommt der Terminplan völlig durcheinander“, erklärt Willsch. Schließlich steht für den Nachmittag bereits eine Betriebsbesichtigung an. Doch daraus wird nichts. „Der Wagen macht’s nicht mehr, das schaffen wir nicht rechtzeitig“, sagt Willsch. Sein Fahrer wird ihn mit einem neuen Wagen nach Hause fahren. „Da muß ich dann selbst Zeitung machen“, verrät der Abgeordnete. Denn Willsch ist neben seiner Politiker-Tätigkeit auch Herausgeber des Rheingau-Taunus Monatsanzeigers.

„Jetzt in der Wahlkampfzeit ist der Streß natürlich enorm“, sagt seine Frau. Ein 18-Stunden-Tag sei für ihren Mann derzeit Normalität. Abends eine Großveranstaltung mit Ministerpräsident Volker Bouffier in der Joseph-Kohlmaier-Halle von Limburg. Danach zum Abschluß noch auf ein Bier in ein Restaurant, kurze Lagebesprechung mit Parteifreunden und Mitarbeitern. Es ist 23 Uhr, als Klaus-Peter Willsch beschließt, aufzubrechen und nach Haus zu fahren. Die Nacht wird kurz sein. Für 5 Uhr morgens steht eine Verteilaktion am Bahnhof von Niederwalluf auf dem Programm.

Die CDU hat dort einen Infostand aufgebaut, verteilt Croissants an die Pendler. Sie ist mit zehn Leuten präsent. Darunter zwei Staatssekretäre, die Landtagskandidatin und der Bundestagskandidat. Willsch nimmt sich ein Bündel CDU-Kugelschreiber und Wahlbroschüren unter den Arm, geht damit auf die Leute zu, führt Gespräche. Das Bürger-Echo ist positiv an diesem Tag. „Wir drücken die Daumen.“ – „Ich habe Sie schon per Briefwahl gewählt.“ – „Macht weiter so.“

Um 9 Uhr der nächste Termin. Unternehmerfrühstück bei einer Bäckerei in der nördlich von Wiesbaden gelegenen Kleinstadt Idstein. Kurz sehen lassen, ein paar Fragen beantworten, weiter. In Lorch, einem von Wein und Tourismus geprägten Ort im Rheingau hat Klaus-Peter Willsch den Volkswirtschaftsprofessor Max Otte zu einem Vortrag über die Euro-Rettungspolitik eingeladen. Gut 50 Gäste sind in das Freilichtmuseum des Ortsteils Ransel geladen. Politiker, Parteifreunde, mittelständische Unternehmer.

In seinem Vortrag warnt Otte vor der gegenwärtigen Politik in der EU, sieht die Demokratie bereits „in Teilen“ ausgehebelt. Es sei schön, daß es inzwischen die Alternative für Deutschland gebe. Aber: „In diesem Wahlkreis sollten Sie Herrn Willsch unterstützen. Wenn ich hier wohnte, würde ich es tun“, betont der 48jährige, der davon überzeugt ist, daß Wahlergebnisse für ESM-kritische Abgeordnete eine Signalwirkung auslösen könnten, und der sowohl Willsch als auch den FDP-Mann Frank Schäffler als „aufrechte Abgeordnete“ lobt.

Seit 1998 sitzt Klaus-Peter Willsch im Bundestag. Stets ist er als direkt gewählter Abgeordneter ins Parlament eingezogen. Bei der Wahl 2009 erzielte er ein Erststimmenergebnis von 46,1 Prozent, holte damit fast 20 Prozent mehr als sein Kontrahent von der SPD. Für ihn ist es daher weniger die Frage ob, sondern wie er seinen Wahlkreis gewinnen wird. Sein Wahlziel: 46 plus X.

Von einer solchen Unabhängigkeit von der Parteiführung per Direktmandat kann Frank Schäffler nur träumen. Als Vertreter einer kleinen Partei ist der Gewinn eines Wahlkreises für den FDP-Mann praktisch ausgeschlossen. Der Listenplatz entscheidet, welcher Liberale in den Bundestag einziehen wird. Als FDP-Bezirksvorsitzender von Ostwestfalen-Lippe zählt Schäffler jedoch zu jenen Abgeordneten, die auf der Liste weit oben stehen. Sollte die FDP wieder in den Bundestag einziehen, gilt seine Wahl als sicher.

Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich gilt der Diplom-Betriebswirt innerhalb der Liberalen als das Aushängeschild der Euro-Kritiker. „Aber die Parteiführung hat wohl erkannt, daß sie auch ESM-kritische Abgeordnete in ihren Reihen braucht“, meint Joshua Hruzik, Mitglied des liberalen Unterstützercamps, das mit 50 Leuten in den Wahlkreis Herford-Minden-Lübbecke II gekommen ist, um Frank Schäffler zu unterstützen. „Wir sind aus ganz Deutschland angereist. Unser Ziel ist es, für Schäffler ein gutes Ergebnis zu erzielen, um seine eurokritische Position zu stärken“, erklärt der 24jährige. Gemeinsam mit dem 29 Jahre alten Regensburger Philosophiestudenten Michael Feil verteilt er FDP-Wahlzettel vor einem Einkaufsmarkt in Bad Oeynhausen. „Derzeit versuchen wir uns weiter zu vernetzen, um in der Partei zukünftig ein stärkeres Gewicht zu bekommen“, verrät Feil.

Auch Frank Schäffler selbst besucht die Infostände. In der westfälischen Kleinstadt Bünde verteilt er gelbe Rosen an die Bürger, legt noch einen Kandidatenprospekt von sich dabei. Von Unmut über die FDP ist hier wenig zu spüren, nicht wenige stehen dem Kandidaten positiv gegenüber. „Meine Erststimme bekommen Sie, aber die Zweitstimme bekommt die AfD“, sagt ein älterer Mann zum Kandidaten. Der lächelt ein wenig gequält. Gern hätte er schließlich auch die Zweitstimme bekommen. In Schäfflers Unterstützer-Umfeld erhofft man sich einen knappen Wahlsieg von Schwarz-Gelb. „Dann wäre das Wort von Frank Schäffler von großer Bedeutung, das wäre optimal“, meint Joshua Hruzik.

An prominenter Unterstützung mangelt es dem 44 Jahre alten Diplom-Betriebswirt schon jetzt nicht. Als Redner sind politische Schwergewichte wie Rainer Brüderle, Wolfgang Kubicki und Hermann Otto Solms gekommen. Sogar der ehemalige slowakische Parlamentspräsident Richard Sulik und auch Max Otte haben ihn im Wahlkampf mit Gastauftritten unterstützt.

„In der Analyse sind wir uns einig, nur in der Konsequenz aus der Euro-Krise haben wir unterschiedliche Auffassungen“, erklärt Kubicki vor rund 250 Gästen in der Wandelhalle des Kurparks Bad Oeynhausen. Auch zum von Frank Schäffler maßgeblich initiierten Mitgliederentscheid räumt er ein: „Einiges, was da gelaufen ist, war nicht in Ordnung.“ Und Schäffler betont gegenüber den Zuhörern: „Wir waren die einzige Partei, die so etwas gemacht hat.“

Ähnlich wie Kubicki äußert sich zur Euro-Krise auch Hermann Otto Solms bei einem Wahlkampfauftritt mit Frank Schäffler in Vlotho. Solms hatte einst gegen die Euro-Einführung gestimmt, auch den Beschluß zum EFSF hatte er nicht mitgetragen. Jetzt hingegen trage er die Rettungspolitik mit, „weil der Weg nun einmal eingeschlagen worden ist“, wie er sagt. Daß die AfD den Sprung in den Bundestag schaffen wird, glaubt der ehemalige Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion nicht. „Die unentschlossenen Wähler werden am Ende auf Nummer Sicher gehen und die etablierten Parteien wählen“, gibt sich Solms gegenüber der JF überzeugt.

Aus Schäfflers Unterstützerteam wird gar die Befürchtung laut, ein Einzug der AfD könne den Einfluß ihrer Galionsfigur schmälern. Ihre Argumentation: Ein Einzug der AfD führe zur großen Koalition. Und dann würden die Rettungspakete mit breiter Mehrheit durch das Parlament gewinkt. Bei einer knappen schwarz-gelben Mehrheit hingegen hätten die Argumente Schäfflers erheblich mehr Gewicht.

Unterdessen geht der Wahlkampfstreß auch an Frank Schäffler nicht spurlos vorbei. Auf der gemeinsamen Veranstaltung mit Solms in Vlotho versagt ihm die Stimme. Seit Tagen schleppt er einen Reizhusten mit sich herum, lutscht den ganzen Tag Halsbonbons, um die zahlreichen Wahlkampfreden noch meistern zu können.

Wie schwer das Ausmaß der Euro-Krise für die Bürger zu vermitteln ist, wird auf einer Podiumsdiskussion in Bad Oeynhausen deutlich. Schäffler spricht sich auch hier gegen die Euro-Rettungspolitik aus, warnt vor weiteren Hilfen für Griechenland und vor Überschuldung. Der Beifall fällt nur bescheiden aus. „Der redet immer nur von Europa“, meint ein Rentner. „Aber uns interessiert, was hier bei uns in Bad Oeynhausen passiert.“ Da sei beispielsweise dieser Bürgersteig im Zentrum, der in einem erbärmlichen Zustand sei. Oder die Diskussion um den Bau der Bundesstraße. „Uns geht es doch gut, wir profitieren doch vom Euro“, meint eine Frau um die Fünfzig. Sie ist nicht die einzige, die das sagt. Ähnliche Reaktionen gibt es auch im Wahlkreis von Klaus-Peter Willsch. „Das ist ja in Ordnung, wenn unser Abgeordneter da eine eigene Meinung hat, aber was bringt das alles für unsere Region?“

Aussagen, die aufzeigen, daß vielen Bürgern die Dimension der Schuldenkrise noch nicht klargeworden ist und sie nicht wissen, welchen Preis jeder einzelne wird zahlen müssen. Bei der Podiumsdiskussion kennt Schäffler darauf zum Erstaunen seiner Konkurrenten jedoch bereits die Antwort. „Ich kann Ihnen ganz genau sagen, was uns das Ganze kosten wird. Nämlich das Sparvermögen von uns allen.“

www.klaus-peter-willsch.de

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Der Abgeordnete legt wert auf die Feststellung, daß seinen örtlichen Mazda- Händler daran keine Schuld treffe. „Wir hatten einen Marder zu Besuch“, klärte Willsch gegenüber der JF den Grund für die Panne auf. Das Tier hatte sich an Kabeln und Schläuchen im Motorraum zu schaffen gemacht und das Fahrzeug auf diese Weise in Mitleidenschaft gezogen. Mit dem Wagen selbst sei er zufrieden gewesen.

Foto: Wahlkämpfer: Während Frank Schäffler (links) mit gelben Rosen Sympathiepunkte sammeln will, versucht Klaus-Peter Willsch (rechts) die Wähler im Gespräch bei frisch gezapftem Bier zu überzeugen

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