© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

„Ich tippe auf sieben Prozent“
Mit einer Kundgebung in Frankfurt am Main schwört sich die Alternative für Deutschland auf den Wahltag ein
Hinrich Rohbohm

Ganz unauffällig steht er da. Mit dem blauen Hemd und der AfD-Schirmmütze auf dem Kopf wirkt Bernd Lucke inmitten der rund 1.000 Teilnehmer der Abschlußkundgebung seiner Partei in Frankfurt am Main wie einer unter vielen. Erkannt wird der Sprecher der Alternative für Deutschland dennoch.

„Hallo, wie geht’s?, du auch hier, das freut mich“, begrüßt der 51 Jahre alte Wirtschaftsprofessor am vergangenen Sonnabend ständig neue Mitstreiter. Immer wieder schüttelt er die Hände von Anhängern, ehe Journalisten ihn in der Menge entdecken und sogleich umringen und fotografieren. Bernd Lucke mit Schirmmütze, Bernd Lucke ohne Schirmmütze. Entspannt und geduldig kommt der Volkswirtschaftsprofessor den Wünschen der Fotografen nach. Der Vater von fünf Kindern wirkt hoch motiviert. Kaum ein Zeichen von Erschöpfung angesichts eines beispiellosen Wahlkampfmarathons, den der Polit-Neuling in den vergangenen Wochen und Monaten zurückgelegt hat. Lediglich die Ringe unter den Augen zeugen davon, daß Lucke derzeit nur wenig Schlaf bekommt.

Mindestens ebenso motiviert ist die AfD-Basis, die trotz des kalt-regnerischen Wetters aus ganz Deutschland angereist ist, um in der Bankenmetropole Frankfurt Flagge gegen eine aus ihrer Sicht verfehlte Euro-Rettungspolitik zu zeigen. Viele von ihnen haben blaue Plakate mitgebracht und mit Sprüchen wie „Ja zu Europa. Nein zur Schuldenunion“ oder „Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen, die Banken kassieren“ versehen. Ein Demonstrant hat sich einen großen Hut aufgesetzt, auf dem zahlreiche Euro-Scheine kleben – als Anspielung auf eine drohende Inflation. Ein anderer AfD-Anhänger hat sich eine Trommel vor den Bauch geschnallt und sorgt damit für reichlich Stimmung.

Darauf haben es auch einige Linksextremisten abgesehen, allerdings ganz in ihrem Sinne. Aber das gerade einmal aus sieben Leuten bestehende Grüppchen, das sich unter die AfD-Demonstranten gemischt hat, fällt kaum auf, und ihre Buhrufe gehen in den Gesängen der Parteianhängerschaft unter. Ein einsamer AfD-Gegner, der sich unter einer braunen Schirmmütze und einer grauen Kapuzenjacke versteckt hat, erregt fast schon Mitleid bei seinem Versuch, Reden und Gesänge nach Luft japsend mit seiner Trillerpfeife zu übertönen.

„Mut zur Wahrheit, AfD“-Sprechchöre wechseln sich mit „Mut zur Freiheit, AfD“ und „Wir sind das Volk“-Sprüchen ab. Letzterer wird von Bernd Lucke in dessen Rede aufgegriffen. „In der Tat sind wir das Volk“, unterstreicht er noch einmal, nachdem er mit sportlichen Schritten, beinahe wie ein Jugendlicher wirkend, auf die Rednerbühne gelaufen ist und sich mit ausgestreckten Armen der jubelnden Menge präsentiert.

Daher solle auch eine Volksabstimmung darüber entscheiden, ob eine Bankenunion, bei der die Finanzkontrolle von Deutschland auf die europäische Ebene übertragen werde, überhaupt gewollt sei. „Wer sagt uns denn, daß die das besser machen“, äußert Lucke Zweifel an der Maßnahme.

Doch auch gegenüber der Merkel-Regierung hält sich sein Vertrauen in Grenzen. „Die Bundesregierung schlafwandelt in die Bankenunion, die noch eine viel größere Vergemeinschaftung von Schulden nach sich ziehen kann als die Euro-Krise “, kritisiert er. Dabei lägen die „großen Brocken noch vor uns“. So sei nach Griechenland die Verschärfung der Staatsschuldenkrisen in Spanien, Italien und Frankreich bereits absehbar.

Lucke ist sich sicher: „Die Griechenland-Hilfen hätte es nicht gegeben, wenn das Volk gefragt worden wäre. Auch den Euro hätte es dann in Deutschland nicht gegeben. „Doch das ist nun vergossene Milch. Am Sonntag hat das Volk die Wahl und kann zwei Stimmen der AfD geben.“ Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT stellt Lucke noch einmal klar, daß die AfD weder CDU/CSU noch der FDP ein Koalitionsangebot gemacht habe. „Das ist unglaublich. Da wurde meine Aussage, daß wir zur Zusammenarbeit mit allen demokratischen Parteien bereit sind, wenn sie sich vom jetzigen Euro-Rettungskurs abwenden, einfach in ein Koalitionsangebot uminterpretiert. Und ein Journalist hat es vom anderen übernommen“, empört sich Lucke. Er halte es für unwahrscheinlich, daß die Kanzlerin ihren Kurs in der Euro-Frage ändere. Aber: „Wir haben ja schon viele Kehrtwenden bei Frau Merkel erleben können.“ Erst bei einer grundsätzlichen Abkehr von der Euro-Rettungspolitik sei auch eine sogenannte Bahamas-Koalition diskutabel. Am Einzug der AfD in den Bundestag habe er keine Zweifel. „Ich tippe auf sieben Prozent“, sagt Lucke.

Sein Amtskollege Konrad Adam ist noch optimistischer: „Ich gehe davon aus, daß wir zwischen acht und zwölf Prozent holen“, sagt er der JF. Adam hatte während des Demonstrationszuges durch die Frankfurter Innenstadt vor der Europäischen Zentralbank eine Rede gehalten, in der er davor warnte, daß „durch die völlig verfehlte Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank unsere Kinder und Kindeskinder zwangsweise in Haftung genommen“ würden.

Als Stargast trat der ehemalige slowakische Parlamentspräsident Richard Sulík als Redner auf. Auch die „arme Slowakei“ müsse den Gürtel enger schnallen, damit Griechenland nicht pleite gehe. An dieser falsch verstandenen Solidarität könne Europa zerbrechen, warnt Sulík. Von den AfD-Anhängern erntete er kräftigen Beifall.

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