© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/13 / 20. September 2013

„Wie eine Art Krankheit“
Werden Euroskeptiker in den Medien gleichberechtigt behandelt? Eine junge Sozialwissenschaftlerin hat schwedische, finnische und estnische Zeitungen untersucht. Über ihre bestürzenden Ergebnisse spricht Katri Vallaste erstmals in der deutschen Presse.
Moritz Schwarz

Frau Dr. Vallaste, Eurokritiker, sind das Menschen mit Persönlichkeitsdefiziten?

Vallaste: Diesen Eindruck kann man leicht gewinnen, wenn man die führenden Zeitungen rezipiert.

Sie haben das genauer untersucht.

Vallaste: Ich habe für meine Doktorarbeit an der Universität Helsinki die jeweils führende Tageszeitung Schwedens, Finnlands und Estlands unter dem Gesichtspunkt, wie dort Eurokritiker dargestellt werden, wissenschaftlich ausgewertet. Ergebnis: Alle drei Blätter zeigen eine negative Haltung gegenüber euroskeptischen Positionen.

Inwiefern?

Vallaste: Etwa stellen sie Euroskepsis als ein seiner Lösung harrendes Problem dar.

Das heißt, diese wird nicht als eine andere Meinung respektiert?

Vallaste: Nein, sie wird nicht als gleichberechtigte, sondern als eine Art inferiore Ansicht dargestellt. Um genauer zu sein, die verwendete Terminologie zeichnet sie zum Beispiel als eine Art Krankheit. Allerdings werden auch andere metaphorische Bilder verwendet, um Euro-skepsis in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Sozialwissenschaft weiß übrigens, daß Krankheitsmetaphorik immer dann verwendet wird, wenn etwas als soziales Problem geschildert werden soll.

Es geht also um Stigmatisierung?

Vallaste: Ja, Euroskeptizismus etwa als Krankheit darzustellen macht klar, daß es sich hier nicht um rationale Argumentation handeln kann.

Wie genau wird dieser Eindruck vermittelt?

Vallaste: Abwertende Begriffe werden verwendet, Euroskeptiker herablassend als Menschen dargestellt, deren Ängste irrational sind. Alle drei untersuchten Medien fokussieren auf persönliche Eigenschaften der Euroskeptiker, die als ignorant, ungebildet, arm, radikal, irrational, störrisch, rückwärtsgewandt und unkooperativ gezeichnet werden. Europhile hingegen werden als informiert, aufgeklärt, wohlhabend, moderat, vernünftig, konstruktiv, aufgeschlossen, progressiv und kooperativ porträtiert.

Wer möchte sich also schon mit den euroskeptischen Einfaltspinseln identifizieren?

Vallaste: Vermutlich wohl die wenigsten Zeitungsleser.

In Deutschland wird die Euro-Kritik allerdings vor allem von Professoren, also Angehörigen der Bildungselite, getragen. Wie paßt das zu dem Bild der zurückgebliebenen Irrationalisten ohne Durchblick?

Vallaste: Die führenden euroskeptischen Köpfe in den drei Ländern, auf die ich mich beziehe, sind ebenfalls gebildet und politisch aktiv. Allerdings: Immerhin gibt es gewisse Anzeichen dafür, daß in den mittel- und osteuropäischen Ländern die „Verlierer“ der Übergangsphase nach dem Kalten Krieg statistisch eher zu einer euroskeptischen Haltung neigten. Zudem zeigt die Statistik, daß Menschen unterer sozioökonomischer Schichten eher eine eurokritische Haltung pflegen. In dieser Hinsicht ist euroskeptische Politik eine Kombination von linken ökonomischen und rechten patriotischen Positionen.

Und das wird dann einfach auf alle Kritiker hochgerechnet? Was ist denn bitte mit den Argumenten der Euroskeptiker?

Vallaste: Die werden weitgehend ignoriert, sie werden in den Leitartikeln kaum diskutiert. Stattdessen wird dort eher auf die Ergebnisse von Meinungsumfragen – etwa zum sozioökonomischen Hintergrund von Euroskeptikern – oder wie gesagt auf persönliche Charaktereigenschaften der Euroskeptiker abgehoben.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Vallaste: Aber sicher, etwa aus der estnischen Tageszeitung Postimees: „In den Köpfen unserer Euroskeptiker – darunter Schlauberger und Genies, die sich in Online-Foren tummeln – ist offensichtlich kein Platz für mehr als ein einziges Phänomen, und auch das darf nicht mehr als ein paar Zeilen in Anspruch nehmen. Ein derart beschränktes Denkvermögen gepaart mit einer derartigen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten führt dazu, daß sie gegen den Beitritt zu jeder irgendwie gearteten Wirtschaftsgemeinschaft sind. Was passieren würde, wenn wir draußen vor den EU-Toren bleiben würden, das vermögen sich unsere Schlauberger mit ihrem planlosen Denken und ihrem unzureichenden Wissen im kulturellen, historischen, wirtschaftlichen, politischen Bereich anscheinend überhaupt nicht vorzustellen.“ Auch in der finnischen Helsingin Sanomat finden sich immer wieder solche Ad-hominem-Angriffe gegen Euroskeptiker. Die schwedische Dagens Nyheter verzichtet dagegen auf eine so harsche Sprache, macht aber ebenfalls klar, daß Euroskeptiker nicht satisfaktionsfähig sind und nicht ernst genommen werden müssen.

In Ihrer Studie schreiben Sie: „Obwohl die Zeitungen für eine größere öffentliche Debatte in der EU votieren, stigmatisieren sie Euroskeptiker als eine problematische Gruppe.“ Ist das nicht ein Widerspruch?

Vallaste: Natürlich. Man mag sich die Frage stellen, wie eine breitere öffentliche Debatte überhaupt zustande kommen soll, wenn eine Seite als problematisch dargestellt wird. Eine gesellschaftliche Debatte erfordert, daß beide Seiten mit Respekt behandelt werden.

Haben Sie Journalisten der Medien, die Sie ausgewertet haben, einmal mit diesen Widersprüchen konfrontiert?

Vallaste: Nein. Allerdings hat ein Leitartikler des Helsingin Sanomat eine Erwiderung gebracht, in der er Zweifel an der Wissenschaftlichkeit meiner Studie äußerte. Er konnte nicht glauben, daß seine Zeitung Euroskepsis in ein derart schlechtes Licht rückt.

Wie hat die Universität Ihre Arbeit denn benotet?

Vallaste: Mit „magna cum laude“.

Wissenschaftlich gibt es also kaum etwas daran auszusetzen.

Vallaste: Offensichtlich nicht.

Wie kommt es zu dieser negativen Darstellung der Euroskeptiker?

Vallaste: Ich glaube, darauf gibt es eine einfache Antwort: Die Verfasser der Artikel sind zumeist selbst Eurobefürworter. Um eine neutrale Position zu vertreten, müßten sie bewußte Entscheidungen treffen und entsprechende Änderungen an ihrer Darstellung vornehmen. Eine andere Sache – die in meiner Studie nur am Rande behandelt wird – ist, inwieweit euroskeptische Autoren in den Mainstream-Medien eine Stimme erhalten. Ich habe euroskeptische Autoren in den drei Ländern gebeten, mir ihre wichtigsten veröffentlichten Texte mit EU-Bezug aus den Jahren 2000 bis 2006 zuzusenden. Auffällig war, daß unter den schwedischen Texten vergleichsweise viele in einer der beiden großen Zeitungen erschienen waren, während die estnischen und finnischen Texte zumeist in eher randständigen Medien erschienen. Das reicht nicht aus, um eine wissenschaftlich haltbare These aufzustellen, nach der schwedische Mainstream-Medien eine größere Offenheit zeigen als die finnischen und estnischen – aber es deutet durchaus deutlich darauf hin.

Warum haben Sie keine deutschen Zeitungen ausgewertet? Immerhin sprechen Sie sehr gut Deutsch.

Vallaste: Nun, ich hatte bereits meine Magisterarbeit über den Widerstand gegen den EU-Beitritt Estlands geschrieben. Ich wunderte mich damals über die relative öffentliche Unsichtbarkeit der Euroskeptiker trotz der starken Vorbehalte in der Bevölkerung gegen den EU-Beitritt in den Meinungsumfragen. Ich hatte mich also zuvor schon mit der Euroskepsis in Estland befaßt, so bin ich zum Thema meiner Dissertation gekommen. Finnland nahm ich hinzu, weil ich an einer finnischen Uni geschrieben habe und Schweden, um die Studie breiter anzulegen und dennoch drei Länder zu haben, die sich gut vergleichen lassen.

Warum, glauben Sie, gibt es eine ähnliche Untersuchung nicht auch in Deutschland?

Vallaste: Diese Frage möchte ich für Europa insgesamt beantworten: Die bisherige Forschung zur Euroskepsis hat sich auf andere Fragen konzentriert. Dabei wurde vor allem gefragt: „Wieviel Euroskepsis gibt es?“ und „Wodurch wird sie verursacht?“ Wobei letzteres die Frage impliziert: „Was läßt sich dagegen tun?“ Mein Bauchgefühl sagt mir, daß es daran liegt, daß Politologen sich von Berufs wegen hauptsächlich mit Fragen beschäftigen, bei denen es um Quantität und Kausalität geht. Selbst wenn den Wissenschaftlern also bewußt ist, daß sie den Begriff Euroskepsis zur Bezeichnung ganz unterschiedlicher Phänomene verwenden, fehlen ihnen die Werkzeuge – und womöglich auch die Motivation –, um zu fragen: „Was ist eigentlich Euroskepsis?“ Ich hoffe aber, daß andere Forscher sich mein methodologisches Instrumentarium zu eigen machen und es auf weitere Länder anwenden.

Interessieren sich deutsche Journalisten für Ihre Ergebnisse?

Vallaste: Außer einem Bericht im European und Ihrer Interviewanfrage bis jetzt nicht, nicht soweit mir bekannt.

Warum nicht?

Vallaste: Gute Frage, aber auch die Medien in Estland und Schweden haben kein Interesse an meinen Ergebnissen gezeigt, und selbst in Finnland hielt sich das Interesse in Grenzen.

Wie stark, glauben Sie, schränkt diese verzerrte Darstellung die Chancen euroskeptischer Parteien im Wahlkampf ein?

Vallaste: Ich glaube, daß eurokritische Parteien sich durchaus des negativen Images bewußt sind, das die Euroskepsis genießt, und daß sie daher ihre Inhalte so vermarkten, möglichst nicht mit den negativen Konnotationen der Euroskepsis in Verbindung gebracht zu werden.

Der Euro-Kritiker Hans-Olaf Henkel sagt, ihm sei es unheimlich, daß jede Euro-Kritik in Deutschland mit der Versicherung eingeleitet werden müsse, man sei „überzeugter Europäer“.

Vallaste: Mir ist ebenfalls aufgefallen, wie oft eine eurokritische Argumentation mit dem Halbsatz „Ich bin kein Euroskeptiker, aber …“ eingeleitet wird. Ein eindeutiges Anzeichen dafür, daß den Betreffenden die Vorstellung unangenehm ist, mit „denen“ in einen Topf geworfen zu werden. In einem Land, wo die Euroskepsis stigmatisiert wird, gehört viel Rückgrat dazu, sich zu dieser Haltung zu bekennen. Wie ich in meiner Arbeit aufgezeigt habe, ist dieser Begriff unter anderem deshalb problematisch, weil er auf einzelne Menschen bezogen oder aber so verwendet wird, als ob es sich dabei um eine Ideologie handelt. Ein entsprechendes Verb gibt es hingegen nicht, man kann insofern keine Euroskepsis „betreiben“. Auch wird der Begriff in der Regel nicht zur Bezeichnung eines bestimmten Ideenguts verwendet. Ich glaube, daß viele Menschen gleichzeitig eine Reihe von euroskeptischen und eurobefürwortenden Ideen vertreten. Sie sind also weder Euroskeptiker noch Eurobefürworter im Sinne einer festen Identität. Die herkömmlichen Auffassungen über Euroskeptiker werden diesen also nicht gerecht.

 

Dr. Katri Vallaste, Die estnische Sozialwissenschaftlerin wurde im März 2013 an der Universität von Helsinki promoviert. Ihre Doktorarbeit trägt den Titel „Euroskepsis. Problem oder Lösung? – Erfassung der Euroskepsis in den führenden Medien und in Beiträgen von Euroskeptikern in Schweden, Finnland und Estland 2000 bis 2006“. Ziel der Studie war es vor allem zu klären, was unter dem Begriff Euroskepsis zu verstehen ist. Allerdings nicht als normative Definition, sondern als eine empirische Erfassung des Wortes, das heißt, was in der gesellschaftlichen Praxis tatsächlich darunter verstanden wird. Persönlich plädiert Katri Vallaste dafür, Menschen, die eine bestimmte Haltung in der Eurofrage haben, seien es Euroskeptiker oder Eurobefürworter, nicht per se bestimmte Charaktereigenschaften zuzuschreiben, sondern sich statt dessen mit den Argumenten und Überzeugungen beider Seiten zu befassen – zumindest wenn es darum gehen soll, eine breitere öffentliche Debatte über Eurofragen anzuregen. Geboren wurde Katri Vallaste 1979 in der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Foto: Euroskeptiker in Deutschland: „In den untersuchten Presseorganen werden sie als ignorant, ungebildet, arm, radikal, störrisch, rückwärtsgewandt und unkooperativ dargestellt“

 

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