© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Verbrauch kontra Abgasentgiftung
Aus Umweltschutzgründen werden die Daumenschrauben für die Automobilindustrie fester gezogen
Christian Bartsch / Jörg Fischer

Unser langfristiges Ziel ist es, Siemens mit Lösungen außerhalb und innerhalb der elektrischen Fahrzeuge als globalen Systemanbieter zu etablieren. Wir verstehen uns als umfassenden Wegbereiter der Elektromobilität“, verkündete Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm vor zwei Jahren anläßlich der 64. Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA). 2011 wurde erstmals eine Messehalle in Frankfurt am Main der Elektromobilität gewidmet. Bei der 65. IAA, die am Samstag fürs Publikum öffnet, stellt der deutsche Technologiekonzern nur im Bereich Verkehrsinformationssysteme aus.

Das paßt zur Ankündigung, Siemens wolle das Geschäft mit Ladesäulen für E-Autos aufgeben. Laut Welt hätten sich die „Marktannahmen zur Entwicklung des eCar-Marktes nicht bestätigt“. Das klang bislang – im Gleichschritt mit der Politik – ganz anders: Ein engmaschiges Netz von „Stromtankstellen“ sei „Grundvoraussetzung für die Mobilität von morgen“. Ziel sei „eine flächendeckende und modulare Ladeinfrastruktur, die einfaches und sicheres Stromtanken überall möglich macht“. Die eine Million E-Autos, die Angela Merkel in sieben Jahren auf deutschen Straßen sehen will, müssen nun bei der Konkurrenz nachladen. Fraglich ist, ob die einen längeren Atem hat, denn Siemens begründet den Ausstieg auch mit Verlusten im Segment „Electric Vehicle Infrastructure“.

Bei den Automobilherstellern ist die Euphorie längst Ernüchterung gewichen. BMW präsentiert zwar auf der IAA mit großem Tamtam seinen ohne Extras 34.950 Euro teuren Elektrokleinwagen i3 – doch die mit 130 bis 160 Kilometer kalkulierte Reichweite dürfte Illusion sein, wenn die Spritztour in die winterlichen Alpen geht. Wer ohne Stromtankstelle wieder bis zur BMW-Zentrale in München kommen will, muß 4.500 Euro zusätzlich für einen „Range Extender“ investieren. Dieser Reichweitenverlängerer ist aber ein 34-PS-Zweizylinder-Benzinmotor.

Sieht so der „revolutionäre Schritt hin zu nachhaltiger Mobilität“ aus? BMW schränkt ein, der i3 sei für „die Mobilitätsbedürfnisse von Kunden in Megacities konzipiert“ – doch davon gibt es in Deutschland keine einzige. Volkswagen ist daher viel vorsichtiger. Auf der IAA wird lediglich der 26.900 Euro teure E-Up präsentiert, die Elektrovariante der Konzernminis VW-Up/Škoda Citigo/Seat Mii. Theoretisch könnte der VW-Konzern dank seines Baukastensystems 40 Fahrzeugmodelle elektrifizieren – doch wer soll die ohne Milliardenhilfe des Steuerzahlers kaufen?

Wolfsburg setzt daher weiter auf neue Benzin- und Dieselmotoren. Neben der Verbrauchsreduzierung – heute Senkung des CO2-Ausstoßes genannt – ist dabei weiter die Abgasentgiftung im Visier. Die ersten Abgasvorschriften gab es seit den sechziger Jahren in Kalifornien. Ab 1974 wurde die Katalysatorpflicht schrittweise in allen US-Bundesstaaten eingeführt. In Europa war die Schweiz 1986 Vorreiter. In Deutschland waren Katalysatoren ab 1989 Pflicht.

Um Verbrennungsschadstoffe in ungiftiges CO2, Wasser und Stickstoff (N2) umzuwandeln, ist mehr als bleifreies Benzin nötig. 1976 gelang es der US-Firma Corning, stabile Keramikkörper herzustellen, die katalytisch beschichtet werden. Zehn Jahre später folgte der Metallträgerkat der von Siemens mitgegründeten Firma Emitec. Bosch entwickelte die Lambdasonde, die 1976 erstmals in Volvo-Modellen eingesetzt wurde. Nur so konnten die drei Schadstoffgruppen CO (Kohlenmonoxid), CH (Kohlenwasserstoffe) und NOX (Stickoxide) reduziert werden. Die erste Euro-Norm beschränkte nur CO und CH. Beim Diesel kamen NOX sowie die Rußpartikel hinzu. Inzwischen wurden die Grenzwerte in fünf Stufen verschärft, 2014 tritt die Euro-6 in Kraft.

Doch schärfere Abgasgrenzwerte sind der ärgste Feind der Verbrauchsreduzierung. Bei den Ottomotoren kam es nach Einführung des geregelten Katalysators – seit 1993 in Deutschland Pflicht – zu einem Mehrverbrauch von teilweise über zehn Prozent. Seither haben Automobil- und Zulieferindustrie ein enormes Wissen und ein Instrumentarium entwickelt, um trotz sinkender Schadstoffanteile den Verbrauch wieder zu senken.

Ein Beispiel ist der neue VW Golf Bluemotion, dessen 110-PS-Dieselmotor nach EU-Norm nur 3,2 Liter auf 100 Kilometer benötigt – weltweit ein Spitzenwert, der ganz ohne die schwere und platzfressende Hybridtechnik erzielt wird. Dazu spendierten die VW-Ingenieure dem für Euro-5 ausgelegten Motor den für Euro-6 entwickelten Stickoxidspeicherkat und konnten so den Einspritzbeginn ins Verbrauchsoptimum legen. Der Motor emittiert zwar wenig Partikel, aber viel Stickoxid. Das NOX wird daher im Speicherkat reduziert.

Der einstige Katalysatorvorreiter Volvo geht bei seinen neuen Zweiliter-Dieseln einen anderen Weg. Während der maximale Einspritzdruck beim Wettbewerb 1.800 bis 2.000 bar beträgt, erreicht er bei Volvo 2.500 bar. Volvo verwendet dazu erstmals die Einspritzausrüstung von Denso (Japan). Der erste Diesel einer ganzen Baureihe leistet 182 PS und entwickelt ein maximales Drehmoment von 400 Newtonmetern – was angesichts der aus Sicherheits- und Komfortgründen immer schwerer und größer gewordenen Autos nicht völlig abwegig ist.

Daß auch Ottomotoren zur direkten Einspritzung übergingen, brachte neue Probleme – im Gegensatz zur Saugrohreinspritzung entstehen hierbei Partikel. Mercedes braucht dennoch keinen zusätzlichen Partikelfilter, da die verwendeten Piezo-Injektoren von Bosch, bei denen sich die Düsennadel nach außen öffnet und einen glockenförmigen Kraftstoffstrahl ausstößt, dies vermeiden. Außerdem werden während eines Arbeitsspiels fünfmal kleine Benzinmengen eingespritzt. Es geht dabei um die Vermeidung von Wandanlagerungen von Benzin an Zylinderwänden und auf dem Kolbenboden.

Umweltsorgen bereiten auch verbrauchsreduzierende Start-Stop-Systeme, die Schubabschaltung und das „Segeln“, denn dabei wird der Motor abgeschaltet. Auch rein elektrische Fahrstrecken bei Hybridautos (Toyota Prius & Co.) und „Range Extendern“ (Opel Ampera) lassen die Abgassysteme erkalten. Dadurch steigt der Schadstoffausstoß beim erneuten Anschalten des Motors. Emitec entwickelte dafür den elektrisch beheizten Katalysator, mit dem das Abgas schnell wieder auf seine Arbeitstemperatur kommt.

Diese Beispiele zeigen, welch enormer Aufwand entsteht, um Verbrauch und Schadstoffe zu senken. Mit der Einführung der Euro-6 sollte die Suche nach dem letzten Schadstoffmolekül enden. Schon heute ist die Ansaugluft oft schmutziger als das Abgas – etwa wenn auf deutschen Autobahnbaustellen hinter russischen Lkws oder rumänischen Kleintransportern entlanggezuckelt wird.

Der IAA-Fachkongreß Elektromobilität findet am 17. September im Congress Center statt: www.iaa.de

Siemens-Bereich Elektromobilität: www.siemens.de/

Foto: Automobilmesse IAA in Frankfurt am Main: Revolutionäre Schritte hin zu nachhaltiger Mobilität sind vorerst nicht zu erwarten

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