© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/13 / 13. September 2013

Enteignung der Sparer
Euro-Krise: Die kapitalgedeckte deutsche Altersvorsorge gerät durch finanzielle Repression in Gefahr
Dirk Meyer

Ein beträchtlicher Teil der deutschen Altersvorsorge ist in kapitalgedeckten Lebensversicherungen, Riester-Verträgen, Pensionskassen, Betriebsrenten und Versorgungswerken angelegt. Aber wie sicher und rentabel sind diese – teilweise staatlich massiv geförderten – Säulen der deutschen Alterssicherung? Allgemein besteht die Vorstellung, daß eine auf Kapitalanlagen beruhende Vorsorge generell sicherer sei als die umlagefinanzierte gesetzliche Rente. Indem hier die laufenden Sozialabgaben sofort für Rentenzahlungen ausgegeben werden, entsteht aufgrund des demographischen Wandels entweder ein Beitrags- oder ein Leistungsproblem.

In Zeiten der Finanz- und der Staatsschuldenkrise gerät jedoch auch die kapitalgedeckte Rente in Gefahr. Zum einen können staatliche Schuldenschnitte und Börseneinbrüche das angelegte Vermögen über Nacht vernichten. Zum anderen entwertet bereits jetzt das subtile Instrument der finanziellen staatlichen Repression die Vorsorge breiter Bevölkerungsschichten.

Wie entsteht dieser schleichende Sparverlust, der einer staatlichen Enteignung gleichkommt? Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hält die Renditen künstlich niedrig, obgleich angesichts der wirtschaftlichen Lage Deutschlands ein höherer Zentralbankzins angemessen wäre. Sodann betreibt der Staat vielfältige Absatzförderungen seiner Papiere, die einen zinssenkenden Effekt haben.

Dies betrifft den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Auch begünstigen Anlagevorschriften die Berücksichtigung staatlicher Schuldtitel im Portefeuille der Lebensversicherungen. Für Banken gelten sie ebenfalls als attraktiv, da Staatspapiere offiziell immer noch als risikolos eingestuft werden und hierfür kein Eigenkapital hinterlegt werden muß. Schließlich führt die Inflation zu einer negativen Verzinsung, deren Nominalbetrag auch noch besteuert wird. Das Ergebnis: Die Altersvorsorgeleistungen werden immer weniger wert und schmelzen zwischen Euro-Notpolitik (EZB-Niedrigzins), einer Staatsentschuldung über Geldentwertung und fiskalischem Raubrittertum dahin.

Hierzu ein realistisches Beispiel: Ein lediger, konfessionsloser Handwerksmeister hat ein Vermögen für seine zusätzliche private Altersvorsorge von 100.000 Euro angespart. Die Streuung in Termingeld, Spareinlagen und Bundestitel ergibt bei einer jährlichen Durchschnittsverzinsung von 1,5 Prozent ein Zinseinkommen von nominal 1.500 Euro. Unter Berücksichtigung des Sparerpauschbetrages von 801 Euro und einem Steuersatz von 26,4 Prozent (Abgeltungssteuer plus Soli) entfallen hierauf 185 Euro an Steuern. Die Inflation von derzeit 1,9 Prozent mindert dieses Nettovermögen real um 1.925 Euro.

All dies offenbart den Charakter der Inflation als verdeckte Steuer auf Geldvermögen. Es verbleibt ein Betrag von real 99.390 Euro, was einem Kapitalverlust von 610 Euro entspricht. Damit mindert die Inflation in Verbindung mit dem Niedrigzins nicht nur den Wertzuwachs, sondern verkehrt ihn ins Gegenteil.

Da diese Verluste auch noch ertragswirksam besteuert werden, verstößt dieser Tatbestand im wirtschaftlichen Sinne gegen die Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz bzw. Artikel 17 Charta der Grundrechte der EU. Das Bundesverfassungsgericht hält jedoch nach einer Entscheidung aus dem Jahr 1978 am sogenannten Nominalwertprinzip fest. Demnach hätte eine Klage kaum Erfolg. Deshalb wäre der Gesetzgeber gefordert, eine entsprechende Änderung herbeizuführen.

Die Konsequenzen spüren nicht nur die privaten Haushalte, die bei einem Nettogeldvermögen von etwa 3.400 Milliarden Euro allein durch die um zwei Prozentpunkte gefallenen Niedrigzinsen im Vergleich zu 2009 einen Einkommensverlust von jährlich 68 Milliarden Euro erleiden. In akute Schwierigkeiten geraten die Lebensversicherer, die für ihre Altverträge bis zum Jahr 2000 noch einen Garantiezins von vier Prozent gewährleisten müssen.

Trotzdem der Garantiezins aktuell auf 1,75 Prozent reduziert wurde, liegt diese Zusicherung über alle Verträge gerechnet immer noch bei 3,2 Prozent. Eine halbwegs sichere Anlage wirft jedoch kaum mehr als zwei Prozent ab. Folglich laufen die Versicherer Gefahr, ihre Zusagen nicht dauerhaft halten zu können. Bereits jetzt hat das Bundesaufsichtsamt Anträge von mehreren Versicherungen vorliegen, die eine zeitweise Aussetzung dieser Ausschüttungspflichten verlangen. Zugleich werden die Betriebsrenten für die Unternehmen zu einer immensen Belastung. So wird berichtet, daß lediglich 62 Prozent der Anwartschaften der Pensionszusicherungen der 30 DAX-Unternehmen als abgesichert gelten.

Die finanzielle Repression betrifft augenscheinlich den Mittelstand und die Berufsgruppe der Selbständigen und Freiberufler, die eine kapitalgedeckte Vorsorge für ihr Alter vorsehen. Über die Betriebsrenten und die Zusatzaltersvorsorge über Riester, Rürup & Co. sind jedoch weitere große Bevölkerungsgruppen betroffen. Schließlich führt die abnehmende Attraktivität der Ersparnisbildung volkswirtschaftlich zu einer geringeren Investition, die langfristig das Wachstumspotential der deutschen Volkswirtschaft gefährdet.

 

Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität. In seinem Buch „Euro-Krise – Austritt als Lösung?“ (Lit Verlag 2012) analysiert er Alternativen zur Euro-Rettungspolitik.

Foto: Rentnerin mit Enkel: Einige private Versicherungen müssen schon eine zeitweise Aussetzung ihrer Ausschüttungspflichten beantragen

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