© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Ein Mensch ohne politischen Instinkt
Der Staatstheoretiker Carl Schmitt aus der Sicht des Realpolitikers Johannes Popitz
Niklas Goerdel

Der Herr Professor Schmitt war ein Mann, der nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen konnte. Die Organisation seiner zahlreichen Umzüge überforderte ihn, und wenn er tatsächlich einmal beim Gardinenaufhängen half, blieb er dabei in ein Buch vertieft. Unter Akademikern ist solche Untüchtigkeit weit verbreitet. Was der Auricher Bibliothekar Martin Tielke hier am Beispiel Carl Schmitts beschreibt (Sinn und Form, 3/2013), dessen Element halt die Theorie gewesen sei, „Schauen, Reflexion und Interpretation“, ist mithin nichts, was den Staatsrechtler von anderen Intellektuellen unterscheidet. Bemerkenswert ist allerdings, wie Tielke solche Trivialitäten als Indizien verwertet, um Schmitts politische Biographie im Dritten Reich neu zu beleuchten.

Als Kontrastfigur dient ihm dafür der preußische Finanzminister Johannes Popitz, der in die Verschwörung des „20. Juli“ verwickelt war und der seine führende Rolle im Widerstand gegen das NS-Regime noch im Februar 1945 mit dem Leben bezahlte. Popitz, die zentrale Gestalt deutscher Finanzpolitik schon während der Weimarer Republik, nach 1933 wichtigster Mitarbeiter des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, ohne den „der Dicke“ hilflos gewesen wäre, verkörpert für Tielke den politisch versierten Praktiker und geräuschlos funktionierenden Machertyp.

Den mit ihm eng befreundeten Schmitt hingegen hielt nicht nur Popitz für das „Bestehen realer Kämpfe ganz ungeeignet“. Deshalb ließ er Carl Schmitt 1933 in den Preußischen Staatsrat berufen, nicht um ihn im politischen Alltagsgeschäft einzusetzen, sondern als staatsrechtlichen Fachmann, der im Braintrust Görings mithelfen sollte, die „nationale Erhebung“ in juristische Form zu gießen. Als Akteur kam Schmitt nie Betracht, weil Popitz ihn als einen Menschen eingeschätzt habe, „der im tiefsten ohne politischen Instinkt ist und realpolitischen Fragen daher immer fremd gegenüberstehen würde“.

An dieser Einschätzung hielt er auch nach 1938 fest, als sich der Minister auf Oppositionskurs begab. Denn ungeachtet des vertraut-nachbarlichen Dialogs in „Hunderten von Gesprächen“, den Popitz mit Schmitt während der Kriegsjahre in Dahlem und Lichterfelde pflegte, deutete er ihm gegenüber mit keiner Silbe an, daß er mit nationalkonservativen Freunden und den Militärs um Stauffenberg und Tresckow den Staatsstreich zur Beseitigung der NS-Herrschaft vorbereitete.

Aus dem engen Kontakt zwischen dem Theoretiker Schmitt, der den zum Tode verurteilten Freund im Herbst 1944 regelmäßig im Gefängnis besuchte, und dem Realpolitiker Popitz folgert Tielke jedoch, daß dieser Austausch kaum denkbar gewesen wäre, wenn es sich bei Schmitt um einen „überzeugten Nationalsozialisten“ gehandelt hätte. Insofern dürfe man, gerade im Lichte dieses Verhältnisses zu einem Exponenten des Widerstands, Schmitts autobiographische Aussagen über seine Beziehung zum Nationalsozialismus nicht als pure Apologetik abtun. Wenn Tielke auch die für seine Interpretation reklamierte „konsequente Historisierung“ nur partiell durchhält, so überzeugt doch seine Argumentation, der zufolge sich Schmitt 1938, gleichzeitig mit Popitz, von den Hoffnungen, die beide im Frühjahr 1933 mit Adolf Hitlers Kanzlerschaft verbanden, endgültig verabschiedete.

Sein „Leviathan“-Buch sei daher als Scheidebrief zu lesen, der im Subtext die nationalsozialistische Gegenwart als Tyrannei diagnostiziere. Wie Popitz zwischen dem Anschluß Österreichs und der antijüdischen Eskalation am 9. November 1938 seine Illusionen von der „zivilisierenden Wirkung seiner konservativen Kollaboration“ begrub, so habe sich Schmitt in die „Innere Emigration“, ins „Asyl der Rechtswissenschaft“ zurückgezogen. Nur Popitz’ Weg in den aktiven Widerstand habe der so brillante wie ängstliche politische Theoretiker aufgrund seiner „karikaturreifen Weltfremdheit“ nicht mitgehen können.

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