© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Wolf im Schafspelz
Europäische Gendarmerietruppe: Noch erledigt die Sondereinheit unspektakuläre Aufgaben, Einsätze im Innern der EU sind jedoch nicht auszuschließen
Michael Wiesberg

Privatarmee der EU“ – „paramilitärische Geheimtruppe“ – „geheime EU-Sondereingreiftruppe“ mit „praktisch unbegrenzten Kompetenzen“ – „Moloch der EU“, der in Krisenfällen anstelle des Militärs gegen protestierende Bürger eingesetzt werden soll.

Geht es um die Europäische Gendarmerietruppe (Eurogendfor, EGF) ist das Urteil schnell gefällt. Die Kritik auf den Punkt bringt der österreichische EU-Abgeordnete Ewald Stadler. Der Politiker des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) kritisiert die Geheimhaltung um die „Spezialeinheit , die gegen Aufstände in den Ländern der Europäischen Union eingesetzt werden soll. Dies, so Stadler, sei eine „latente Bedrohung der bürgerlichen Freiheiten“.

Jenseits dieser Bewertung zeigen die Gründungsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Aufstellung der Gendarmerietruppe, wie rasch das Konzept EGF im wahrsten Sinne des Wortes an seine Grenzen stieß. Denn eine Reihe von EU-Staaten signalisierte eine deutliche Abneigung gegen das Gendarmeriekonzept – mit dem Effekt, daß die EGF unabhängig von der Europäischen Union aufgestellt wurde.

Die EGF ist also kein Organ der EU. Sie kann zwar unter das Kommando der EU, aber auch unter das Kommando anderer internationaler Organisationen wie der Nato, der OSZE oder der Vereinten Nationen gestellt werden.

Es war Frankreichs damalige gaullistische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, die im September 2003 den Vorschlag erstmals unterbreitete. Es kam nicht von ungefähr, daß Frankreich der Ausgangspunkt der EGF war: Bereits Napoleon wendete das Konzept militärisch organisierter Polizeieinheiten in der Zeit seiner Herrschaft über halb Europa an.

Möglicherweise stand Alliot-Marie bei der Entwicklung dieses Konzepts unter dem Eindruck der Straßenschlachten mit moslemischen Zuwanderern in den „banlieues“ – Aufstände dieser Art soll die Europäische Gendarmerie niederschlagen.

2004 wurde die Einrichtung der EGF in Nordwijk (Niederlande) beschlossen. Gründungsmitglieder der im Januar 2006 offiziell ins Leben gerufenen Gendarmerietruppe waren Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und die Niederlande. Im Jahr 2008 trat Rumänien als Vollmitglied bei. Zudem will Polen Mitglied werden, Litauen hat den Partnerstatus inne und die Türkei den Status eines beobachtenden Landes.

Entscheidungstragende Instanz der EGF ist das Hochrangige Interministerielle Komitee (Cimin), in dem jedes Mitgliedsland mit je einem Mitarbeiter des Außen- und Verteidigungsministeriums sowie einem Repräsentanten der der jeweiligen Gendarmerie vetreten ist.

Cimin ernennt den EGF-Kommandeur – seit Juni ist dies Oberst Francisco Esteban Perez von der spanischen Guardia Civil –, die Kommandeure der Einsätze sowie den Vorsitzenden des Finanzgremiums. Es entscheidet weiter, welche EGF-Mitglieder an Missionen teilnehmen, koordiniert diese und überwacht die Einhaltung der Vertragsstatuten. Die Cimin-Präsidentschaft erfolgt nach dem Rotationsprinzip – jeder Mitgliedstaat hat die Präsidentschaft ein Jahr inne. Die derzeitige Stärke der Gendarmerietruppe wird auf 800 Aktive und rund 2.300 Reservisten beziffert. Das Hauptquartier liegt im italienischen Vicenza. Das Motto, unter dem die Arbeit der EGF steht, lautet „Lex paciferat“ – Das Gesetz wird Frieden bringen.

Vergleichsweise unspektakuläre Einsätze der EGF gab es bisher in Bosnien-Herzegowina (November 2007 bis Oktober 2010) – hier war man koordinierend tätig –, in Afghanistan und auf Haiti. Während die EGF in Afghanistan vor allem dortige Polizeikräfte unterstützt, bestand das Missionsziel im Erdbebengebiet von Haiti in erster Linie darin, Unterkünfte bereitzustellen. Dera Einsatz erstreckte sich über das ganze Jahr 2010.

Von einem Einsatz innerhalb der EU war öffentlich bisher keine Rede. Dennoch ist ein derartiger Einsatz nicht gänzlich ausgeschlossen.

Hebel für einen potentiellen Einsatz der EGF innerhalb der EU könnte die „Solidaritätsklausel“ des Vertrags von Lissabon (Art. 222) werden, die EU-Staaten bei „außergewöhnlichen Umständen“ im Inneren Unterstützung in Aussicht stellt. Dieser Artikel war bei der Verabschiedung des Vertrags umstritten und blieb im vagen.

Grundsätzlich geht es darum, daß die Organe der Europäischen Union und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet werden, einander im Krisenfall zu helfen. Diese Unterstützung schließt den Einsatz polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Mittel ein.

Im „Beschluß des Rates über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union“ vom 21. Dezember 2012 finden sich hierzu Konkretionen: „Die Klausel gilt für Katastrophen und Terroranschläge auf dem Gebiet der EU, egal ob zu Lande, in den Hoheitsgewässern oder im Luftraum. Sie gilt unabhängig davon, ob der Ursprung der Krise innerhalb oder außerhalb der EU liegt.“ „Ferner“, so steht in diesem Beschluß weiter zu lesen, „findet sie Anwendung auf Schiffe, die sich in internationalen Gewässern, und auf Flugzeuge, die sich im internationalen Luftraum aufhalten, ferner auf kritische Infrastrukturen, beispielsweise Offshore-Öl- und Gas-Förderanlagen, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen.“

Die Klausel bezieht sich auf alle „Krisenbewältigungsstrukturen auf EU-Ebene“. Sie wird „nur in außergewöhnlichen Umständen und auf Antrag der Regierung eines Mitgliedstaats“ schlagend.

Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus denkbar, daß die EFG – bei einer entsprechenden Kostenübernahme durch die Europäische Union – im Krisenfall zum Einsatz kommt. Damit stellt sich auch die Frage, wie Deutschland sich zu dieser Gendarmerietruppe stellt.

Daß Deutschland nicht Mitglied dieser Truppe ist, ist vor allem verfassungsrechtlichen Hürden geschuldet, die aufgrund der Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus errichtet wurden. Die Trennung von Militär und Polizei kommt einem Verfassungsgebot nahe. Vor diesem Hintergrund unterblieb bisher der Aufbau deutscher Gendarmerieeinheiten. Dieser Zustand sollte nach Meinung der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der nachgesagt wird, der Bundesregierung beratend zur Seite zu stehen, beendet werden.

Deutschland könnte sich „mit einer Gendarmerie ein wichtiges Instrument für Stabilisierungsoperationen verschaffen“, konstatiert zum Beispiel die SWP-Studie „Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsoperationen“ (März 2010). Zwar dürften, so die Autoren der Studie, derartige „robuste Polizeieinheiten“ nicht im Inland zum Einsatz kommen, es spreche aber nichts gegen Auslandseinsätze.

Die Autoren verweisen unter anderem auch darauf, daß der Bundesgrenzschutz „mindestens bis 1972 eine paramilitärische Polizei par excellence“ war, die in Kasernen untergebracht war und aufgrund von Ausbildung und Bewaffnung „Kombattantenstatus“ hatte.

Schließlich wird das Argument angeführt, das in derartigen Fragen nie fehlen darf: „Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sollte sich auch in der staatsrechtlichen Bewertung [deutscher paramilitärischer Einheiten] niederschlagen, damit Deutschland seiner internationalen Verantwortung besser gerecht werden kann und nicht durch innerstaatliche Formzwänge ohne Analogie im internationalen Recht daran gehindert wird.“

Gegen eine deutsche Beteiligung bringen Kritiker, neben dem Quasi-Verfassungsgebot der Trennung von Militär und Polizei, vor allem drei Haupteinwände ins Spiel: Einmal die Gefahr, daß deutsche Gendarmerieeinheiten auch im Inland eingesetzt werden könnten.

Zweitens drohe, so monieren Kritiker, eine Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle und Beteiligung an der deutschen Außenpolitik, da die Entsendung von Polizeikräften ins Ausland vom Bundestag nicht gebilligt werden muß. Ein Parlamentsvorbehalt gegen den Einsatz von Militär könnte so unterlaufen werden.

Drittens könnte der Einsatz paramilitärischer Polizeikräfte im Ausland eskalierend wirken; so könnte die Entwicklung demokratischer Strukturen erst gar nicht in Gang kommen.

Alle diese Argumente sprechen aus Sicht der SWP nicht zwingend gegen deutsche Gendarmeriekräfte. Bundesregierung und Bundestag würden darüber wachen, daß ein Inlandseinsatz unterbleibe. Dem zweiten Kritikpunkt könne begegnet werden, indem man dem Parlament die Entscheidung übertrage, deutsche Gendarmen ins Ausland zu senden.

Im Hinblick auf den letzten Kritikpunkt wird zugestanden, daß Zivilpolizisten besser als Gendarmerieeinheiten eine „demokratische Sicherheitsarchitektur“ garantieren könnten. Es könne aber instabile Situationen geben, verursacht durch organisierte Kriminalität und Aufstände, in denen die Polizei „größere Fähigkeiten“ benötige.

Foto: Übung der Eurogendfor im spanischen Logroño: Einsätze in Bosnien, Afghanistan und auf Haiti

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