© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Wie die Politik uns um Wohlstand und Renten bringt
Krisenliteratur: Walter Krämer fügt seinem „Lexikon der populären Irrtümer“ ein Buch über die Mär von der „Friedenswährung“ Euro hinzu
Christian Dorn

Daß deutsche Wissenschaftler auch öffentlich deutsche Interessen vertreten, ist man hierzulande nicht gewöhnt, das ist für viele Redakteure bei ARD und ZDF, aber auch beim Spiegel und der Süddeutschen Zeitung ganz im Gegenteil schon fast ein Alarmsignal, so etwas tut man nicht.“ Und wenn doch, wie der Ökonom und Bestsellerautor Walter Krämer, der 2012 mit Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn einen Ökonomenprotest gegen die Euro-Rettung initiierte, springt notfalls der Finanzminister ein: „Ich finde das empörend. Ich finde das der Verantwortung eines Wissenschaftlers nicht entsprechend.“

Damit kritisierte Wolfgang Schäuble die 277 Wirtschaftsprofessoren, die den Appell letztlich unterschrieben. Zu den Unterzeichnern zählte dennoch auch Kai Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Chef des Wissenschaftlerbeirats von Finanzminister Schäuble. Krämer schildert in seinem neuesten Buch unter dem Titel „Kalte Enteignung. Wie die Euro-Rettung uns um Wohlstand und Renten bringt“ nicht nur die feindlichen Reaktionen auf den Ökonomenappell (JF 35/13). In insgesamt zwölf Kapiteln, die mit weiterführenden Literaturhinweisen unterfüttert sind und denen jeweils ein Zitat vorangestellt ist, will der Sozialstatistiker von der TU Dortmund nichts Geringeres als „eine Bringschuld der Wirtschaftswissenschaften“ abtragen.

Denn den Ökonomen sei es bis heute nicht gelungen, der Öffentlichkeit das Verhängnis der angeblich alternativlosen Euro-Rettung verständlich zu machen. So wird beispielsweise die „Target-Falle“ auf wenigen Seiten verständlich dargestellt. Schließlich will Krämer „auch Lesern ohne Diplom in Volkswirtschaftslehre“ zeigen, „wo wir mit unserer gemeinsamen Euro-Währung heute stehen, wie wir dahin gekommen sind, vor allem aber: Wo wir in wenigen Jahren stehen könnten“.

Hierzu entwickelt er drei Szenarien. Ein „Ende mit Schrecken“, also die externe Abwertung der betroffenen Krisenländer, würde ihren Euro-Austritt voraussetzen, was aber in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist. Am wahrscheinlichsten sei deshalb ein „Schrecken ohne Ende“ wie in Griechenland: scheiternde Reformbemühungen, endlose Hilfszusagen, permanente Regierungswechsel und die Schaffung neuen, ungedeckten Geldes durch die Europäische Zentralbank (EZB), das heißt „mit neu gedrucktem Geld“. Die Verstetigung dessen sei dann die Transferunion, welche schließlich in eine offenkundige Inflation münde. Die Geldentwertung sei bereits in dosierter Form spürbar.

Schon jetzt – so die Berechnungen des Hamburger Ökonomen Dirk Meyer (JF 36/12) – beliefen sich die Kosten Deutschlands für die Euro-Rettung auf jährlich 70 bis 150 Milliarden Euro. Insgesamt bürge Deutschland für 27 Prozent der Risiken. Solange Deutschland nur über zwei von 23 Stimmen im EZB-Rat verfügt, werde dieser Zustand andauern. Selbst mit den stabilitätsorientierten Nordländern der 17köpfigen Euro-Gruppe käme Deutschland nur auf 30 Prozent der EZB-Stimmen.

Eine dritte, weniger wahrscheinliche Zukunftsvariante sieht Krämer in der Kombination von interner Abwertung in den Krisenländern, mäßiger Inflation in den Kernländern bei gleichzeitiger Rückbesinnung der EZB auf ihr Kerngeschäft der Preisstabilität. Daß Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf nahezu verlorenem Posten gegen die „kalte Enteignung“ der deutschen Sparer kämpft, ist auch der deutschen Politik geschuldet. Was also tun? Als theoretisch probates Mittel zur Sanierung der Staatshaushalte in den Krisenländern verweist Krämer in tabellarischer Form auf die beeindruckenden Zahlen privater Geldvermögen in den Krisennationen sowie auf die Geldvermögen der betroffenen Gläubiger in diversen Steueroasen, mit denen bereits die Schulden zu begleichen wären.

Wie desolat die ganze Euro-Zone ist, zeigt indes allein eine von Krämer präsentierte Studie von 2012, welche die notwendigen Abwertungen der Krisenländer auflistet, die für deren Wettbewerbsfähigkeit nötig wären: Griechenland 30 Prozent, Portugal 35 Prozent, Spanien und Frankreich je 20 Prozent sowie Italien zwischen 10 und 15 Prozent. Verschärft wird diese Situation dadurch, daß „klinisch tote Geldinstitute mit Steuergeldern komatös ernährt“ würden.

Krämer verweist hier auf einen Debattenbeitrag des Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick, der zu jenen Grünen gehört, die Angela Merkel keine bedingungslose Gefolgschaft in Euro-Fragen leisten. Demnach würden Banken wie die französische CIF (Kredivolumen 33 Milliarden Euro), die griechische Alpha Bank (70 Milliarden) oder die spanische Banco de Valencia (20 Milliarden) „in den USA selbstverständlich abgewickelt“.

Der Mann, der das legendäre, mehrfach neu aufgelegte „Lexikon der populären Irrtümer“ verfaßt hat, legt hiermit gewissermaßen ein weiteres Werk aus dieser Reihe vor, das den wohl verhängnisvollsten Irrtum der europäischen Nachkriegsgeschichte allgemeinverständlich aufgreift: das Phantasma von der „Friedenswährung“.

Walter Krämer: Kalte Enteignung. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013, 232 Seiten, broschiert, 19,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen