© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Umsätze prächtig, Steuern denkste
Handel: Amazon macht in Deutschland kaum Gewinne
Markus Brandstetter

Amazon ist der international führende Online-Händler. Angefangen hat das Unternehmen 1994 als Internet-Buchhändler, aber inzwischen wird alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest ist und kein Dach drauf hat: Bücher, Musik, Filme, PC- und Videospiele werden ebenso angeboten wie Geräte für Küche, Haus und Garten, Spielwaren, Sport- und Freizeitartikel, Schuhe und Schmuck, Gesundheits- und Kosmetikprodukte, Kleidung, Autozubehör, Ersatzteile und Zeitschriften. Seit einigen Monaten gibt es sogar Lebensmittel.

Aus einer Internet-Klitsche, die jahrelang Verluste machte und ihre Investoren zur Verzweiflung brachte, ist ein weltumspannender Konzern geworden, der dem stationären Einzelhandel ebenso wie allen anderen Internethändlern Furcht und Schrecken einjagt. Amazon ist in Punkto Internethandel das Maß aller Dinge geworden und gerade dabei, das zu werden, was der US-Konzern Microsoft jahrzehntelang war: der unangefochtene Meister aller Klassen, der sprichwörtliche Hecht im Karpfenteich, der das Gewässer nach Belieben dominiert und kleine Konkurrenten reihenweise auf die Plätze verweist oder gleich in die Insolvenz treibt. Wie dünn durch Amazon die Luft beispielsweise für den klassischen Buchhandel geworden ist, zeigt der Abstieg der Buchhandelsketten Thalia und Hugendubel.

Allein in den Jahren 2012 und 2013 haben beide Buchhändler nach einem Bericht des Branchenblatts Buchreport ihre Verkaufsflächen um jeweils mehr als 10.000 beziehungsweise 14.000 Quadratmeter verringert. Die 1596 gegründete Traditionsbuchhandlung Osiander, die seit einigen Jahren vorsichtig, aber erfolgreich wieder expandiert, kann als Strategie nur noch den Versuch anbieten, die Stärken Amazons zu imitieren. Bei Osiander läuft es gut, aber besonders beruhigend wirkt diese Aussage nicht.

Jahrelang litt Amazon unter dem Mißtrauen der Investoren, miesen Börsenkursen und Unkenrufen aufgeregter Analysten, die dem Unternehmen attestierten, das falsche Geschäftsmodell zu haben und deshalb ewig unprofitabel zu bleiben. Diese Prophezeiungen haben sich als spektakulär falsch erwiesen, und der schrille Chor der Analysten ist verstummt. Der unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens spiegelt sich in seinen Zahlen deutlich wider. Von 2008 bis 2012 hat sich der weltweite Umsatz von 15 Milliarden Euro auf 46 Milliarden Euro verdreifacht und die Anzahl der Mitarbeiter weltweit von 13.900 auf 88.400 versechsfacht.

Der Gewinn konnte da nicht mithalten, der lag in diesen Jahren zwischen 455 Millionen und 800 Millionen Euro, im Jahr 2012 wurde sogar ein kleiner Verlust verbucht, aber Amazon war ja noch nie ein Unternehmen, das – zumindest in seinen ersten Jahrzehnten – große Gewinne einfahren wollte. Die Strategie ist eine ganz andere: weltweit den Markt dominieren, die Wettbewerber einen nach dem anderen ausschalten, um dann am Schluß, mit einer riesigen Marktmacht und einem ungeheuren Umsatz, die Preisschraube anzuziehen. Dann soll satt Geld verdient werden.

Bevor jedoch richtig Geld verdient wird, hat die Amazon-Führung anscheinend beschlossen, keine oder doch nur sehr wenig an Steuern zu bezahlen. Obwohl der Rohertrag des Unternehmens von drei Milliarden Euro (2008) auf elf Milliarden Euro (2012) gestiegen ist, hat sich, verursacht durch hohe Investitionen und parallel ansteigende Abschreibungen, beim Vorsteuereinkommen und den damit verknüpften Steuerzahlungen kaum etwas getan. Mickerige 412 Millionen Euro an Vorsteuergewinn wurden 2012 weltweit ausgewiesen, für die man dann allerdings 324 Millionen Euro an Steuern bezahlt hat. Immerhin!

Nur war das in den USA. Beim deutschen Fiskus ist davon so gut wie gar nichts angekommen. Laut Bundesanzeiger wies die in München registrierte Amazon.de GmbH einen Umsatz von 67 Millionen Euro und einen Vorsteuergewinn von zehn Millionen Euro aus. An Steuern wurden gerade einmal 3,2 Millionen Euro bezahlt. Wie kann das sein, hat Amazon im vergangenen Jahr doch in Deutschland mit 9.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 6,6 Milliarden Euro erwirtschaftet?

Des Rätsels Lösung liegt im benachbarten Luxemburg, in einem schönen Altbau im Stadtteil Grund nicht weit vom Flüßchen Alzig. Hier ist der Sitz der Europa-Zentrale des Konzerns, hier haben die Amazon Europe Holding Technologies und die Amazon EU SARL ihren Hauptsitz. Über diese Gesellschaften fließen die Umsätze mit den europäischen Kunden des Unternehmens, natürlich auch die mit den deutschen. Zwar werden Unternehmensgewinne in Luxemburg nominell mit 29 Prozent besteuert, aber bei Einkünften, die mit der Vermarktung von geistigem Eigentum erwirtschaftet wurden, sinkt dieser Steuersatz auf unter sieben Prozent. Einkünfte aus dem Verkauf von Büchern, Musik und Filmen, immer noch dem Hauptgeschäft von Amazon, entstehen aus der Vermarktung von geistigem Eigentum. Setzt man dann noch ein paar clevere Steuerexperten auf das Ganze an, dann kann die effektive Steuerlast auf unter sechs Prozent sinken.

Das ist die Masche von Amazon, und da sie legal ist, fällt es dem Unternehmen leicht, in Pressemitteilungen und gegenüber kritischen Journalisten immer wieder zu betonen, daß man sich vollumfänglich nach den örtlichen Steuergesetzen richte. Das trifft zu. Ob das allerdings gerecht ist, ist eine ganz andere Frage. Die im Bundesverband des Deutschen Versandhandels (BDV) organisierten mittelständischen Konkurrenten haben es daher doppelt schwer, gegen die Macht aus Übersee zu bestehen.

 

Gewinn- und Steuerverschiebung

Daß internationale Großkonzerne Besteuerungslücken und historisch gewachsene nationale Systemunterschiede nutzen, um außerhalb der USA weniger als fünf Prozent Steuern auf ihren Gewinn zahlen zu müssen, ist keine Mär von Attac, Linkspartei oder NPD, sondern Realität. Die Pariser Wirtschaftsorganisation OECD hat deshalb im Juli ihren „Action Plan on Base Erosion and Profit Shifting“ mit 15 Gegenmaßnahmen präsentiert. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sieht vier Ansätze gegen die Gewinnverlagerung in Steueroasen: Ausweitung der Wohnsitzbesteuerung, Ausweitung der Quellenbesteuerung, fundamentale Reformen der Körperschaftsteuer sowie strengere Berichts- und Transparenzanforderungen. Eine „international koordinierte Ausweitung“ von Quellensteuern bekämpfe „effektiv Gewinnverlagerung ohne eine Doppelbesteuerung auszulösen“, so das ZEW.

ZEW-Papier 44/13 „Profit Shifting and ’Aggressive‘ Tax Planning by Multinational Firms – Issues and Options for Reform“: ftp.zew.de

Foto: Leipziger Amazon-Zentrum: In Luxemburg werden Einkünfte, die aus der Vermarktung von geistigem Eigentum resultieren, niedriger besteuert

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