© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Zwei Schritt vor, einer zurück
Syrien-Konfl ikt: Während US-Präsident Obama an seiner Kriegsstrategie feilt, versucht Assad zu retten, was zu retten ist
Marc Zöllner

Es sei ein „feiger Angriff“ und eine „moralische Obszönität“, verkündete US-Außenminister John Kerry kürzlich. „Was wir letzte Woche in Syrien gesehen haben, hat das Gewissen der Welt erschüttert.“ Tatsächlich reagierte die Öffentlichkeit empört, als bekannt wurde, daß am 21. August in einem Damaszener Vorort chemische Waffen gegen Zivilisten eingesetzt worden sind.

Doch mit dem Chemiewaffenbeschuß, dessen Verursachung noch immer von Spezialteams der Uno untersucht wird, offenbart sich ebenso die desaströse diplomatische Lage, in welche sich allen voran die Vereinigten Staaten manövriert haben. „Der Westen geht mit der islamischen Welt wie ein Affe mit einer Granate um“, spottet der russische Vizepremier Dmitri Rogosin auf Twitter, und in London, Washington und Paris warnen Analysten bereits vor einer Destabilisierung der kompletten Nahostregion nach dem mahnenden Vorbild des Irak.

Ein direkter Militärschlag der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten scheint sich in der Tat immer undeutlicher abzuzeichnen. US-Präsident Barack Obama selbst, der seit Monaten bereits von jener „roten Linie“ sprach, die mit dem Einsatz chemischer Waffen überschritten und zu direkten Gegenmaßnahmen gegen die Regierung al-Assads führen würde, drängt noch immer auf eine bewaffnete Intervention seines Landes in den syrischen Konflikt. Doch der sich derzeit im Urlaub befindende Kongreß legte diese Pläne fürs erste auf Eis und will sich nicht vor dem 9. September mit dieser Frage beschäftigen. Unsicher ist jedoch, ob sich unter den Abgeordneten überhaupt eine Mehrheit für Obamas Pläne finden läßt. Sowohl bei den Demokraten als auch unter Republikanern ist der Anteil derjenigen Abgeordneten nicht gering, die nach dem langjährigen Krieg in Afghanistan sowie dem Fiasko im Irak eine weitere Front im Nahen Osten eher skeptisch betrachten.

Bezüglich der Interventionspläne der Obama-Regierung scheint der Kongreß damit in weiten Teilen auf Linie mit der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten zu sein. Eine von der Nachrichtenagentur Reuters in Auftrag gegebene Umfrage bestätigt, daß lediglich neun Prozent aller US-Amerikaner einen bedingungslosen Eingriff ihrer Armee in den syrischen Bürgerkrieg befürworteten. Ein Viertel der Bevölkerung stimmte für Vergeltungsschläge im Falle, daß der Einsatz von Chemiewaffen durch Assad verifiziert würde. Über 60 Prozent der Befragten lehnten militärische Aktionen gegen Damaskus jedoch kategorisch ab.

Unklar ist ebenfalls, ob sich international neben Frankreichs Präsidenten François Hollande noch weitere Verbündete in einem US-amerikanischen Waffengang gegen Syrien finden lassen. Nachdem Washingtons engster Partner, die konservative britische Regierung unter Premier David Cameron, mit ihrer Unterstützungskampagne im Londoner Unterhaus gescheitert ist, versicherte Großbritanniens Außenminister William Hague Anfang dieser Woche erneut, daß seine Regierung den USA lediglich auf diplomatischem Weg beistehen würde. „Ich denke nicht, daß es realistisch wäre zu glauben, wir könnten Woche für Woche mit derselben Frage ins Parlament zurückkehren, auf welche wir schon ein ‘Nein’ als Antwort bekamen.“

Diese Entscheidung stünde selbst, sollten „weitere schwere Angriffe mit chemischen Waffen stattfinden“, so Hague im Interview mit dem britischen Guardian. „Die Labour Party würde so oder so dagegen stimmen“, so Hague. „Dort spielt man diese Frage derzeit auf rein opportunistischem Wege aus.“

Zur Freude Assads. Der syrische Regierungschef erhielt eine Atempause. Diese nutzte er, um in einem Interview mit dem Figaro die Franzosen vor einem Angriff zu warnen. Der Nahe Osten sei schon ein „Pulverfaß“. Ein Militärschlag könnte dieses zum Explodieren bringen.

Wenn Assad seinem Volk etwas zu verkünden hat, greift er nur noch auf die hauseigene Nachrichtenagentur Sana zurück. So Ende August, als er sich die Frage stellen ließ, wie seine militärischen Bemühungen gegen die Rebellen vorankämen.

„Die Mainstreammedien behaupten, daß die Terroristen 40 bis 70 Prozent des syrischen Gebiets kontrollieren würden“, ließ er sich von seinem persönlichen Referenten erzählen. Doch wußte Assad abzuwiegeln. „Es gibt keine Armee in der Welt, die in jeder Ecke ihres Landes Präsenz zeigen könnte“, erklärt er. Seinen eigenen Soldaten bescheinigt er „hervorragende Glanzleistungen“. Auf Zahlenspiele wie obiges wollte Assad jedoch nicht eingehen. Das hat seinen Grund.

Kurz nach seinem Interview veröffentlichte die Washington Post umfangreiches Kartenmaterial zum Frontverlauf in Syrien. Insbesondere im Norden des Landes, so bestätigte sich, wurden weite Gebiete von Regierungstruppen gesäubert. Bis auf wenige Grenzposten zur Türkei sowie die Millionenmetropole Aleppo kontrollieren die Rebellen dort bereits den kompletten Euphrat, den wichtigsten Fluß Syriens. Hinzu kommen weite Landstriche östlich der Hauptstadt Damaskus sowie die südwestliche Grenze zu Jordanien und Israel.

Auch militärlogistisch sieht sich Assad in der Defensive. Zwar verkündete Syriens Premierminister Wael al-Halqi angesichts der drohenden Eskalation, die strategischen Reserven seines Landes an Öl und Lebensmitteln würden für etwa ein Jahr reichen. Auch in der Mobilmachung von Rekruten, so al-Halqi weiter, erziele man große Fortschritte.

Das renommierte Internationale Institut für strategische Studien (IISS) kommt in seiner Syrien-Analyse jedoch zu ganz anderen Ergebnissen. „Die Vorkriegsstärke der syrischen Armee ist um etwa die Hälfte gesunken“, erklärte IISS-Sprecher Philippe Migault der Huffington Post. Die syrische Regierung blicke auf „das Ergebnis der Kombination von Überläufen, Desertionen sowie kriegsbedingten Verlusten“. Auch das Vorkriegsarsenal der 4.950 syrischen Panzer sei „erheblich geschrumpft“.

Hinzu kommt die wohl höchste Inflation in Syriens moderner Geschichte. Seit den Wirtschaftssanktionen vom Mai wird das syrische Pfund nicht mehr frei gehandelt. Lag die Entwertungsrate im Februar noch bei knappen 15 Punkten, kratzte sie im Juni bereits an der 400-Prozent-Marke. Erst Ende August pendelte sie sich auf 292 Punkte ein. Grund sind fehlende Devisen aufgrund des Embargos sowie die immensen Ausgaben der Regierung Assad insbesondere für die Gehälter im militärischen Sektor. Die derzeitige Hyperinflation in Syrien sei somit keine Frage einer Regierung, „die zuviel Geld druckt, um schwere Wahlmöglichkeiten zu vermeiden“, konstatiert auch das Nachrichtenmagazin The Atlantic. „Hier geht es um eine Regierung, die viel zuviel Geld druckt, weil gerade das ihre einzige verbleibende Wahlmöglichkeit ist.“

Gelder, die sonst nicht nur an Syriens Heimatfront fehlten. Auch im mit Assad verbündeten Ausland macht man sich bereits Sorgen um den Ist-Zustand der Damaszener Zahlungsliquidität. So legte Rußland Ende August einen bereits 2007 verhandelten und für diesen Herbst vorgesehenen Waffendeal über die Lieferung von zwölf Mig-29-Kampfjets auf Eis. Der Grund: Damaskus hätte erst 30 Prozent des Kaufpreises überweisen können.

Vor 2016 bis 2017, so Moskau, würde Syrien die Flugzeuge von daher nicht erhalten. Auch die Aushändigung von im Jahre 2010 bestellten Raketenabwehrsystemen, die Baschar al-Assad angesichts des drohenden Vergeltungsschlags der Vereinigten Staaten nun dringender denn je benötigt, wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. „Die Bereitstellung der S-300-Raketensysteme kommt nicht in Betracht, bis wir echtes Geld sehen“, zitierte die russische Tageszeitung Kommersant einen Sprecher des in Moskau ansässigen staatlichen Rüstungsexporteurs Rosoboronexport. „Um von Moskau als Partner wieder ernst genommen werden zu können“, bestätigte auch der Chefredakteur des Magazins Russia in Global Affairs, Fyodor Lukyanov, täte Syrien gut daran, „endlich irgendwas zu bezahlen“.

Foto: Protest gegen einen Militärschlag in Los Angeles: Sechzig Prozent der Amerikaner gegen US-Kriegseinsatz

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen