© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/13 / 06. September 2013

Im Kaffeesatz gelesen
Bundestagswahl: Bei den Umfragewerten der Parteien ist Skepsis angebracht
Paul Rosen

Demoskopen sind die modernen Nachfolger des Orakels von Delphi im alten Griechenland. Sie haben Macht. Ihre Voraussagen können die Wirkung von sich selbst erfüllenden Prophezeiungen haben. Rechnen sie jemanden herunter, kann er verlieren, werten die Meinungsforscher jemanden auf, kann daraus ein Wahlgewinner werden. Meinungsumfragen sind heutzutage die Währung der Berliner Politik. Unfähig, die Stimmung im Volk noch zu erkennen, klammern sich Politiker an die Ergebnisse von Umfragen. Und genauo schwankend wie die Prognosen ist im Ergebnis auch die Politik.

Die Irrtümer der Demoskopen nehmen zu. Infratest dimap, Forschungsgruppe Wahlen, Forsa, Emnid und Allensbach treffen Meinungen, Stimmungen und Zeitgeist nicht mehr. Natürlich trägt der Bürger die Schuld, daß die Prognosen nicht mehr stimmen: „Mit der geringeren Bindung der Wähler an bestimmte Parteien haben die Schwankungen zugenommen“, wurde Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen im Berliner Tagesspiegel zitiert. Auch Politiker sind angeblich nicht unschuldig. „Die Parteien werden sich immer ähnlicher“, jammerte Parteienforscher Peter Lösche.

Der Wähler läßt die Demoskopen inzwischen alt aussehen. Statt ihren Zahlen zu vertrauen, könnte man genausogut die altrömische Methode der Vogelflugbeobachtung heranziehen. Im Januar 2013 schaffte es kein Institut, den Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen einigermaßen vorauszusagen. Die FDP bekam knapp zehn Prozent, war aber von allen Forschern unter fünf Prozent gesehen worden. Die wie Halbgötter im Anzug auftretenden Wahlforscher waren im Fernsehen nicht in der Lage, die Sitzverteilung darzustellen. Heute gilt diese Niedersachsen-Wahl als schwerste Schlappe der deutschen Demoskopie.

Andere Schlappen sind schon fast wieder in Vergessenheit geraten. So taxierte das ZDF-Politbaromater Anfang 2011 die Grünen für die Hamburger Bürgerschaftswahl bei 21 Prozent. Sie erhielten 9,8 Prozentpunkte weniger. Auch bei der Saarland-Wahl 2012 lagen die Meinungsforscher schwer daneben. Das vorhergesagte Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD endete mit einem klaren Sieg der CDU (35,2 Prozent) vor der SPD, die auf 30,6 Prozent kam.

Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß die deutschen Meinungsforscher sich standhaft weigern, das veränderte Abstimmungsverhalten im Volk zur Kenntnis zu nehmen. Bei Bundestagswahlen ist inzwischen weit verbreitet, die Erststimme einer anderen Partei zu geben als die Zweitstimme. Früher hieß es, die Erststimme sei für die Zusammensetzung der Parlamente bedeutungslos. Das war nur solange richtig, wie sich das Stimmensplitting in Grenzen hielt. Das hat sich geändert. Die Folge sind größere Mengen an Überhang- und Ausgleichsmandaten, die Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse haben.

Dies alles wird von den modernen Vogelflugschauern gar nicht zur Kenntnis genommen. Sie fragen überwiegend am Telefon weiter nur nach den politischen Präferenzen und erfahren nur einen Teil der Wahrheit. Sie erreichen auch nur noch einen Teil der Wähler, weil viele Bürger gar kein Festnetz-, sondern nur noch ein Mobiltelefon haben. Dort ruft aber kaum ein Wahlforscher an.

Die gesammelten Daten haben also eine unzureichende Datenbasis, und es werden unvollständige Fragen gestellt. Diese als „Rohdaten“ bezeichneten Antworten werden dann noch „behandelt“. So glauben die Forscher zu wissen, daß männliche Befragte unterdurchschnittlich die Grünen wählen. Also wird entsprechend dem Frauenanteil in der Bevölkerung heraufgerechnet, bis das grüne Ergebnis wieder paßt. Genauso werden die anderen Daten den Wunschvorstellungen des jeweiligen Instituts angeglichen. Die von den Aufträgen der etablierten Parteien stark abhängigen Firmen haben ihre Methoden weitgehend angenähert. Nur Forsa erlaubt sich gelegentlich Ausreißer aus dem Daten-Mainstream.

Daß eine neue politische Kraft das schöne Geflecht stören könnte, ist nicht von der Hand zu weisen. Eigenartigerweise tauchte die Alternative für Deutschland (AfD) erst mit Werten weit unter fünf Prozent in den Umfragen auf, dann verschwand sie eine Zeitlang ganz, um jetzt wieder mit drei bis 3,5 Prozent gemessen zu werden. AfD-Chef Bernd Lucke beschwerte sich via Handelsblatt: „Das Potential der AfD ist deutlich größer. Die Forschungsinstitute nutzen den Spielraum der statistischen Analyse, um uns kleinzurechnen ... In den Rohdaten von Allensbach und Forsa liegen wir deutlich über fünf Prozent.“

Nicht nur dort. Im „Wahl-Radar“ der Düsseldorfer Kommunikations-Agentur Osicom werden klassische Umfragen, Wahlbörsen im Internet und große Umfragen wie auf Bild Online zu einem Trend verdichtet. Dort liegt die AfD stabil bei 7,6 Prozent, während der CDU/CSU-Wert niedriger ist als bei Infratest und Co. Der Auftrieb für die AfD spricht sich in Internetforen und in unabhängigen Medien herum. Umgekehrt beschleicht die Institute die Angst, daß ein AfD-Erfolg ihre Vorhersagen als Kaffeesatzleserei entlarven könnte: „Inzwischen habe ich Bammel davor“, ließ Forsa-Chef Manfred Güllner im Stern zum wachsenden Zulauf für die AfD wissen.

Die traditionellen Institute müssen Transparenz herstellen und die Rohdaten veröffentlichen. Nur so können sie dem Vorwurf des großen Betruges entgehen.

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