© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Krieg dem Finanzkrieg
Wolfgang Hetzer schaut mit angstfreier Radikalität den politischen Taschenspielern in Berlin und Brüssel auf die Finger
Sebastian Hennig

Wolfgang Hetzer kühlt seinen Furor immer wieder auf Temperaturen herunter, die ihm einen präzisen geistigen Zugriff ermöglichen. Da ist kein Zittern in der Stimme des alten Soldaten. Mit 18 Jahren leistete Hetzer seinen Wehrdienst als Fallschirmjäger und studierte im Anschluß Rechts- und Staatswissenschaften. Die Webart jenes Nessusgewandes, das die Finanzpolitik allerorten dem herkulischen Souverän übergeworfen hat, kennt er genau. In jeder Masche sieht er Scheinnotwendigkeit mit Entscheidungsangst verknüpft.

In seinen Büchern und Vorträgen faßt er diese Beobachtung unter schlagwortartigen Titeln: 2011 erschien „Finanzmafia“ im Frankfurter Westend-Verlag, und nun ist dort „Finanzkrieg“ herausgekommen. Er ist mit einer völlig angstfreien Radikalität zugange. Wenn er feststellt: „Rechtsradikale Programme (...) dringen in die gesellschaftliche Mitte vor“, meint er damit vor allem die nationalistischen, zumeist antideutschen Krawalle beispielsweise in Griechenland und findet das weniger beängstigend als vielmehr hoffnungsvoll: „Mann kann es auch anders sehen: Sollte die Lernkurve der Politik weiterhin so flach verlaufen wie bisher, dann könnte man zu dem Schluß kommen, daß eine Radikalisierung vieler Menschen eine Zukunft erst wieder möglich macht.“

Weit bedenklicher erscheint ihm die Einsetzung eines „perpetuierten Ausnahmezustands (...) in dem die Exekutive über existentielle Grundfragen der Bevölkerung und einer Nation eigenmächtig, wenn nicht selbstherrlich entscheidet“. Er fordert, daß „der angelsächsischen Herausforderung eine kontinentaleuropäische Antwort“ entgegenzusetzen sei, jenem unproduktiven „Achterbahnkapitalismus als Lebensart“, der die amerikanische und britische Finanzindustrie kennzeichnet. Das hieße, zur Not auch ohne angelsächsische Hilfe die Finanzmarktregulierung dahin zu führen, „daß Banken und Fonds tatsächlich als Diener der Wirtschaft agieren und nicht umgekehrt“.

Hetzer hatte 2001 im Fachblatt Der Kriminalist in einem Artikel über Freiheitsbeschränkungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung Hinweise auf die unebene akademische Laufbahn von Bundesinnenminister Otto Schily aus einer veröffentlichten Biographie zitiert. Diese Unliebenswürdigkeit gab den Vorwand, ihn flugs vom Dienst zu suspendieren. In die Bundesfinanzverwaltung war er bereits 1983 eingetreten und zum Zeitpunkt seiner Suspendierung Referatsleiter im Bundeskanzleramt für die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst und vorgesehen für eine leitende Stelle im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF/European Anti-Fraud Office).

Solche Hindernisse hat er mit Zähigkeit überwunden und war bis vor kurzem in Brüssel Abteilungsleiter für strategische Informationssammlung und Risikoabschätzung und Berater des Generaldirektors dieses Amtes. Seine Publikationen sind also Früchte grundlegender Einsichten. Er hat die „Klempner der Macht“ aus nächster Nähe werkeln gesehen. Der Autor ist kein Whistleblower. Er stößt ganz offen und unumwunden in die Posaunen von Jericho. Dabei entfahren ihm imperatorische Konjunktivsätze: „Eine Politik, die nicht mehr in der Lage ist, die anvertrauten Aufgaben selbst zu erfüllen, müßte eine Lektion bekommen, die nur vom wirklichen Souverän erteilt werden könnte, wenn nötig auch außerhalb von Wahllokalen.“

Der Kanzlerkandidat Steinbrück „erinnert an eine lose Kanone an Bord eines Piratenschiffs“. In einem ganzen Kapitel nimmt er ihn auseinander, indem er die gebotenen Mindestbedingungen für eine echte Alternative aufzählt und immer wieder die höhnische Feststellung einschiebt „und nun also Steinbrück“. Als jemand, der sich selbst mit großer Energie aus einfachen Verhältnisen emporgearbeitet hat, kann er es sich leisten, Skepsis zu äußern gegenüber den vermeintlichen Selbstheilungskräften des Kapitalismus und dem damit verbundenen Arbeitsethos.

Die Ideologie von den ordnenden Marktkräften ist letztlich gar nicht so verschieden von jener des Staatsozialismus. Hier wie dort besteht eine nie verwirklichte, möglicherweise nicht realisierbare Verheißung neben dem real existierenden Finanzkapitalismus, der so kläglich aus der vorgegebenen Art schlägt, wie seinerzeit der real existierende Sozialismus der DDR vom Arbeiterparadies entfernt war. Für Hetzer führt dieses Mißverhältnis geradewegs zur Grundfrage nach Krieg und Frieden.

Im Schlußkapitel „Friedenssicherung durch europäische Reformen“ trägt er auf vier Seiten Thesen zusammen, von denen er eingesteht, daß sie Taten nicht ersetzen können. Nach eigener Aussage mußte er sich in diesem Buch darauf beschränken, „die friedensgefährdende Kraft der geschilderten Entwicklungen“ deutlich zu machen. Seine rückhaltlose Entschiedenheit ist immerhin geeignet eine Angstlähmung zu durchbrechen, deren Vermeidungsabsicht das Schlimmste gerade erst herbeiführen könnte. „Der Weltuntergang ist zwar unvermeidlich. Das ist aber nicht nur schlimm.“

Wolfgang Hetzer: Finanzkrieg. Angriff auf den sozialen Frieden in Europa. Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2013, gebunden, 320 Seiten, 21,99 Euro

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