© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Zu den unausrottbaren Vorstellungen über den Konservatismus (auch unter Konservativen) gehört, daß der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zu keiner Reflexion fähig gewesen sei. Ein Blick in das „Konservative Handbuch“ der wilhelminischen Ära genügt, um über das Gegenteil zu belehren: „Dem Konservativen ist das Überlieferte, geschichtlich Gewordene gewissermaßen der ‘Reinertrag’ der Arbeit tüchtiger Vorfahren; es hat Werth und bietet eine gewisse Gewähr schon deshalb, weil es uns von diesen überliefert ist und darf nicht leichtfertig über Bord geworfen werden, wenn es den unbewährten Einzelpersonen oder selbst einer mehr oder weniger zufälligen Mehrheit des gegenwärtigen Geschlechts nicht mehr zusagt. Konservative Thätigkeit ist darum aber nicht etwa nur auf die ‘Konservirung’ des Bestehenden gerichtet. ‘Konserviren’ will der deutsche Konservatismus vor Allem die Eigenart, Kraft und Tüchtigkeit des deutschen Volkes (…) Das eigentliche Wesen des Konservatismus liegt (…) nicht in der Erhaltung des Bestehenden, sondern in dem Bestreben, aus dem Bestehenden heraus organisch zu entwickeln und nicht von abstrakten Prinzipien heraus mechanisch in die Dinge einzugreifen.“ (Art. „Konservativ“)

Zu den deprimierenden Lehren der Geschichte gehört, daß das Verhältnis zur Freiheit ein weitgehend instrumentelles ist. Man durfte daran zweifeln, solange Linke und Liberale im Stande der Unschuld, das heißt der Macht fern waren. Seitdem die Macht in ihrem Zugriff liegt, beobachtet man, wie hemmungslos sie Freiheit beschneiden und entziehen oder umetikettieren. Einen eklen Beigeschmack bekommt die Sache dadurch, daß man sich weiter als Verteidiger der Freiheit aufspielt. Zynismus ist der Mindestpreis, zu zahlen für eine abwegige Weltanschauung.

„Das ist heute eine gerade antiautoritäre Haltung inmitten einer Gesellschaft, die von Gleichstellungsbeauftragten und Quotenpriestern dominiert wird, in der das Bekenntnis zur Klimakatastrophe den Glauben an Gott ersetzt hat, in der eine vom Staat garantierte und subventionierte Gleichheit höher geschätzt wird als eine risikobelastete individuelle Freiheit.“ (Henryk M. Broder über Konservative)

Die anhaltende Debatte über die Äußerungen des Kameruner Filmemachers Jean-Pierre Bekolo, der eine Rekolonialisierung Afrikas durch die Weißen („Wir schaffen es nicht“) fordert, wird durch so viele Denkverbote und Sprachtabus behindert, daß es keinen Fortschritt in der Sache geben kann. Davon abgesehen: Welcher Europäer wollte, bei so viel Undankbarkeit „the white man’s burden“ noch einmal schultern?

„Konservativ sein bedeutet für uns nicht die Betonung einer äußeren Haltung, sondern eine ethische Einstellung zu den Grundprinzipien des Lebens überhaupt. Der konservative Mensch überträgt durch eine ethische Veranlagung das auf ihn von seinen Vätern Überkommene, seien es Glaubens-, Rechts- oder Sittenanschauungen, die in jahrhundertelanger Erfahrung bewährt sind …“ („Der konservative Bote. Mitteilungen für die Deutsche Konservative Partei – DKP“, Nr. 1 vom 9. Februar 1947)

Die Linke hat eine Tendenz zur Amnesie, die Rechte eine Tendenz zur Hypermnesie. Die Linke vergißt jede historische Erfahrung, die Rechte kann nicht vergessen. Was Amnesie ist, weiß praktisch jeder, was Hypermnesie ist, fast keiner.

„Wir müssen die Ursprünge und Quellen bewahren, aus denen wir leben. Diese Quellen zu pflegen, sie von allen Entstellungen zu reinigen und hieraus auch die Antworten zu finden, um die Probleme von Gegenwart und Zukunft zu lösen – in diesem Sinne würde ich mich als einen Konservativen bezeichnen. Als einen, der um die Ursprünge weiß und der aus diesen Ursprüngen leben will.“ (Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Berlin)

Der Konservative glaubt an eine Bringschuld gegenüber den Beständen.

Die Entwicklung in Ägypten zeigt vor allem, daß man die sogenannten „Gesetze der Revolution“, die aus den europäischen Revolutionen abgeleitet wurden, nicht oder nicht mehr auf die außereuropäische Welt übertragen kann. Die Statik orientalischer Gesellschaften verhindert offenbar jede tiefgreifende Veränderung auf politischem Weg.

„Ich wurde als Tory geboren. Per definitionem ist ein Tory jemand, der Autorität als einer Institution immanent betrachtet.“ (Enoch Powell, 1990)

Dem, der Schwierigkeiten hat, die Linke, die Mitte und die Rechte zu unterscheiden, hier eine Faustformel zur allfälligen Nutzung: Die Linke steht für die Ununterscheidbarkeit aller, die Mitte für die Freiheit des Einzelnen, die Rechte für die Ordnung des Ganzen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. September in der JF-Ausgabe 38/13.

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