© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Den Widerstand denunziert
Tschechei: Per fingierter Westgrenze wurden 1948 Hunderte Antikommunisten diskreditiert
Paul Leonhard

Um den bürgerlichen Widerstand gegen die kommunistische Regierung zu zerschlagen, hatte sich der tschechische Geheimdienst drei Jahre nach Kriegsende eine perfide, aber wirkungsvolle Methode einfallen lassen: Man errichtete nahe des sudetendeutschen Dorfes Neumark (Všeruby) an der Grenze zu Bayern einen fingierten amerikanischen Militärposten.

Zu diesem leiteten als Fluchthelfer getarnte Geheimpolizisten zur Flucht entschlossene Gegner der sich 1948 an die Macht geputschten Kommunisten. „Die Aktion war äußerst tückisch“, so Ludek Navara, Redakteur der Tageszeitung Mladá fronta Dnes (MfD), gegenüber Radio Prag: „Die Menschen, die in diese Falle gegangen sind, waren der Meinung, daß sie bereits im Westen angekommen seien. Nachdem sie die fingierte Grenze überschritten hatten, haben sie vor vermeintlichen US-Geheimdienstmitarbeitern alles über ihre Freunde und Mitarbeiter, über ihre eigene Tätigkeit und über den antikommunistischen Widerstand ausgesagt.“

Die in US-Uniformen steckenden Stasileute ließen ihre Opfer Protokolle unterschreiben und schickten die Menschen dann weiter zu einer angeblich nahe gelegenen bundesdeutschen Polizeistation. Bei dieser handelte es sich aber um einen tschechischen Polizeiposten, der die Flüchtlinge, die oft noch im Gefängnis glaubten, versehentlich in die falsche Richtung gelaufen und wieder in der Tschechei gelandet zu sein, festnahm.

Der Deckname der Aktion lautete „Kamen“ (Grenzstein). Ihr Erfolg war so groß, daß zwischen 1948 und 1950 weitere dieser vermeintlichen amerikanischen Armeeposten in dem von seiner angestammten sudetendeutschen Bevölkerung geräumten Grenzgebieten errichtet wurden: bei Eger (Cheb), Marienbad (Mariánské Lázně), Heiliges Kreuz (Svätý Kríž) und Taus (Domažlice).

Neben amerikanischen wurden deutsche, britische und französische Uniformen verwendet. Zwar protestierten die Amerikaner bereits Mitte Juni 1948 gegen den Mißbrauch ihrer Uniformen und Hoheitszeichen, aber Prag dementierte überzeugend: Die Amerikaner seien wohl paranoid geworden.

Erst Anfang 1950 wurde die Aktion beendet, nachdem die KP beschlossen hatte, die Grenze nach Westdeutschland und Österreich massiv zu sichern.

Der Trick mit der falschen Grenze sei das Teuflischste, was ihm in seiner Arbeit jemals untergekommen sei, sagte Pavel Bret, Abteilungsleiter für Aufklärung kommunistischer Verbrechen im tschechischen Innenministerium. Die Opfer hätten bisher aus Scham darüber geschwiegen, daß sie Freunde und Mitkämpfer unbeabsichtigt denunziert haben. Die Zahl der Betroffenen schätzt der Militärhistoriker Prokop Tomek auf einige hundert.

Daß dieser „absolut weiße Fleck“ (Bret) in der tschechischen Geschichtsbewältigung jetzt ans Licht der Öffentlichkeit gekommen ist, verdankt das Land dem in Boston lehrenden tschechisch-amerikanische Historiker Igor Lukés. Dieser hatte zufällig eines der damaligen Opfer kennengelernt, vor zwei Jahren auf die Aktion „Grenzstein“ aufmerksam gemacht und gegen zwei noch lebende ehemalige Offiziere Anzeige erstattet. So sollen der heute 92jährige Evžen Abrahamovič sowie der ein Jahr jüngere Emil Orovan die Geheimdienstoperation geleitet haben. Während Interpol nach Orovan fahndet, soll sich Abrahamovič, einst Kommandant einer Spezialeinheit der Geheimpolizei, demnächst vor Gericht verantworten. Verjährt sind die Taten nicht.

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