© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Suche nach der Lichtgestalt
Moskau: Der Blogger Alexej Nawalny macht die Bürgermeisterwahl spannend
Thomas Fasbender

Wer Moskau regiert, ist die gefühlte Nummer zwei im Land. Die größte Stadt Europas ist ein Schwergewicht: mit 11,5 Millionen Menschen größer als Belgien und mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung wie Holland. So sehr der Amtsinhaber Sergej Sobjanin auch vom Kreml protegiert wird, die Bürgermeisterwahlen am 8. September bergen Sprengstoff. Kann Sobjanin die absolute Mehrheit erreichen oder kommt es zur Stichwahl? Wird sein wichtigster Gegner, der oppositionelle Blogger Alexej Nawalny, vielleicht doch im letzten Moment nicht zur Wahl zugelassen?

Sergej Sobjanin, Ingenieur und Jurist aus dem Gebiet Tjumen in Westsibirien, wurde 2010 als Nachfolger des entlassenen Bürgermeisters Luschkow eingesetzt. Sein Ruf ist der eines zupackenden Technokraten ohne Charisma. Er ist, was man im Angelsächsischen einen No-frills-Politiker nennt. Einer, der Notwendiges durchzieht und Überflüssiges streicht. Das mußten auch deutsche Regionalpolitiker erfahren, die sich vor seiner Ernennung gerne bei aufwendig inszenierten Düsseldorfer und Bayerischen Wirtschaftstagen in Moskau zeigten. Seit 2011 ist damit Schluß.

Gleichzeitig kennt er die Stimmung im Volk. Besonders die Illegalen aus Asien und dem Kaukasus sind vielen Moskauern ein Dorn im Auge. Im Vorfeld der Wahl geht die Polizei daher mit harter Hand zur Sache, erst im Juli wurde eine unterirdische Textilfabrik mit Hunderten vietnamesischen Näherinnen ausgehoben. Die Reaktion in den westlichen Medien fällt dabei negativer aus als die der Menschen vor Ort.

Bis 2014 hätte Sobjanin regieren können, doch trat er Anfang Juni zurück, um sich noch in diesem Jahr ein neues Mandat zu sichern. Der Schachzug könnte sich als glücklich erweisen. Die politische Krise, die seit Ende 2011 schwelt, ist im laufenden Jahr in den Hintergrund getreten. Da ist die schwieriger gewordene wirtschaftliche Lage, und da ist die Tatsache, daß die Opposition immer noch keine einigende Lichtgestalt hervorgebracht hat. Ein erfahrener Mann wie Sobjanin, der Ergebnisse vorweisen kann und zudem den Eindruck erweckt, daß ihm demokratische Legitimation nicht gleichgültig ist, stößt bei den meisten Moskowitern auf Zustimmung.

Bemerkenswert ist, daß der Amtsinhaber sich in Distanz zur Kremlmacht positioniert, obwohl jeder weiß, daß er ein Mann der Mächtigen ist. So kandidiert er auch nicht im Namen der Regierungspartei „Einiges Rußland“, die sein Herausforderer Nawalny schon seit längerem als „Partei der Diebe und Betrüger“ tituliert.

Inwieweit die Distanzierung schon auf die Zeit nach Putin zielt, sei dahingestellt. Sobjanins Zeitplanung ist nicht ohne Bedeutung. Eine Wiederwahl 2017 könnte ihm zu einer starken Plattform im Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen verhelfen.

Jedenfalls ist er kein leichter Gegner, auch nicht für Nawalny. Der 37jährige hat sich als Blogger in Korruptionsfällen landesweit einen Namen gemacht. Ein gegen ihn angestrengtes Gerichtsverfahren wurde als Versuch gesehen, ihn als verurteilten Straftäter von der Wahl auszuschließen. Nawalny ist frei, wartet aber auf das Urteil der Berufungsinstanz. Kommt es vor der Wahl (oder einer möglichen Stichwahl) und fällt es zu seinen Ungunsten aus, kann das zum Auftakt einer handfesten Krise werden. Nicht auszuschließen, daß Nawalny heimlich auf die Märtyrerkrone spekuliert.

Vorerst arbeitet er daran, seine Wählerschaft über die „urbanen Mittelschichten“ hinaus zu erweitern. Täglich lädt er zu Bürgertreffen in die Hinterhöfe der Stadt. Dort punktet auch Nawalny mit populistischen Tönen. So unterstützte er in der Vergangenheit eine Politkampagne unter dem Motto „Aufhören, den Kaukasus zu füttern“. Zudem forderte er, den kaukasischen Volkstanz Lesginka als Ruhestörung zu bannen. Zwar sprach er sich im gleichen Atemzug für Schwulenparaden in Moskau aus, doch die Vorbehalte vieler Liberaler gegen ihn sind damit noch nicht aus der Welt.

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