© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

Warten auf den nächsten Skandal
Einwanderung: Das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf wird zum Sinnbild für Versäumnisse in der Asylpolitik
Lion Edler

Auf der Straße zwischen den monotonen Plattenbauten sorgen einzig die Wahlplakate an den Laternenmasten für Abwechslung. Vor allem von vier Parteien findet man hier immer wieder Plakate: Linkspartei, NPD, Pro Deutschland und Piraten.

Ein paar hundert Meter davon entfernt stehen zwei Kameramänner vor dem alten Schulgebäude, aus dem nun ein Asylbewerberheim geworden ist und das seit Tagen Politik und Medien gleichermaßen beschäftigt. Ein gelangweilter Journalist lungert bei brütender Hitze mit Notizblock und Kopfhörer auf der Bordsteinkante. Hofft er auf einen verwertbaren ausländerfeindlichen Spruch? Darauf dürfte er lange warten müssen, denn fast niemand will hier mit der Presse reden. „Lieber nicht“, sagt eine ältere Dame mit traurigem Blick und wendet sich sofort ab, noch bevor der Reporter seine Bitte um Auskunft zu Ende gesprochen hat. An der nächsten Ecke prangt ein riesiges Schild mit der Aufschrift „Rassismus tötet!“ Daneben sitzt unter einem Sonnenschirm der bekannte Berliner Linksaktivist Dirk Stegemann mit drei Sympathisanten. Sie haben eine Fahne aufgestellt, auf der eine rote Faust und ein Stern zu sehen sind.

Anlaß der medialen und politischen Aufregung sind hauptsächlich eine Gruppe von rund 50 NPD-Sympathisanten, die in der vergangenen Woche gegen das Asylheim protestierten, sowie eine kleinere Gruppe von Pro-Deutschland-Anhängern und einige hundert Gegendemonstranten.

Nach Angaben der Polizei warfen die Linken „vereinzelt Eier, Holzlatten und Holzpflöcke in Richtung der anderen Kundgebung“. Auch die Polizei wurde mit Flaschen und Steinen attackiert. Dabei kam es zu einem brutalen Angriff auf einen Beamten in Zivil. Ein mutmaßlicher Linksextremist schlug dem Mann eine Glasflasche ins Gesicht. Der Angriff war so heftig, daß dem Polizisten Jochbein und Augenhöhlenbogen zertrümmert wurden. Der Beamte droht auf einem Auge zu erblinden. Der Täter konnte festgenommen werden, wurde nach Feststellung seiner Personalien allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt. Auf der anderen Seite soll eine Journalistin von einem Teilnehmer der NPD-Kundgebung zu Boden gestoßen worden sein. Der Journalistin wird wiederum vorgeworfen, die Lautsprecheranlage der NPD manipuliert zu haben. Für die mit Abstand größte Aufregung sorgte indes ein Mann, der dabei fotografiert wurde, wie er den Hitlergruß zeigte. Die Bilanz der Auseinandersetzungen: vier verletzte Polizisten, 25 Festnahmen, 34 Ermittlungsverfahren, „überwiegend wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Gefangenenbefreiung“, wie die Polizei mitteilt.

Indessen dreht sich die politische Diskussion jedoch fast nur um rechtsgerichtete Straftaten, wobei die politische Aufmerksamkeit deutlich größer ist, als bei den linksextremen Krawallen gegen die Alternative für Deutschland (siehe Seite 9). So sprach Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung von einem rechtsextremen Potential, „das fremdenfeindlich agiert und auch vor schlimmsten Taten nicht zurückschreckt“. Auch Bundes-innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) warnte davor, zuzulassen, daß die Anwohner „von Rechtsextremisten für ihre Haß-Propaganda instrumentalisiert werden“, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Friedrich sprach sich dafür aus, sich angesichts steigender Flüchtlingszahlen „auf die wirklich Hilfsbedürftigen“ zu konzentrieren. Sein Fraktionskollege, der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, forderte in der Saarbrücker Zeitung eine Beschleunigung von Asylverfahren, indem mehr Personal eingesetzt werden soll. Dagegen betonte die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, daß das Problem nicht in den steigenden Flüchtlingszahlen liege, sondern in den „gezielten Aktivitäten der Rechtsextremen“, die man „in ihre Schranken weisen“ müsse. Eine Idee, wie das geschehen sollte, hatte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte: Ein Verbot der Kundgebungen von NPD und Pro Deutschland müsse „schnellstmöglich“ geprüft worden, forderte Wolf. Es sei unverantwortlich, „eine rassistische und volksverhetzende Veranstaltung direkt vor der Tür von neu angekommenen Flüchtlingen stattfinden zu lassen“. Doch der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) lehnte das Ansinnen ab. Es sei nicht Aufgabe des Staates, zu bestimmen, wogegen man demonstrieren dürfe.

Die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) hat indessen auch für die linken Demonstranten nicht viel übrig. „Es ist diesen jungen Leuten nicht beizubringen, daß das, was sie da tun, nicht hilft! Die haben eine Dauerkundgebung angemeldet, das nervt alle hier“, sagte sie der Welt. Im übrigen hätten die derzeit zwölf bis 15 Flüchtlinge ganz andere Sorgen, zum Beispiel Behördengänge. Das sehen die linken Demonstranten jedoch ebensowenig als Grund für ein Ende der Aktionen an wie die NPD, die wegen der Flüchtlinge für die Berliner eine „aufgezwängte Veränderung ihrer Heimat“ erkennen will.

Foto: Polizisten trennen NPD-Anhänger und Gegendemon-stranten; Asylbewerberheim: Die Verantwortlichen sind mittlerweile genervt

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