© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/13 / 30. August 2013

„Uns droht ein Flächenbrand“
In seinem neuen Buch „Die Euro-Lügner“ schildert Hans-Olaf Henkel seinen verzweifelten Kampf gegen die Euro-Rettung, die Unwahrheiten der Politiker und die Ausgrenzung der Euro-Kritiker. Bilanz: Nicht nur der Euro, auch unsere demokratische Kultur steht vor dem Scheitern
Moritz Schwarz

Herr Professor Henkel, Sie sagen, Sie sind „frustriert, enttäuscht und erbost“.

Henkel: Weil ich erleben muß, wie mit Leuten umgegangen wird, die wagen, eine abweichende Meinung zu äußern.

Inwiefern?

Henkel: Ich habe lernen müssen, daß sich ganz schnell im Abseits wiederfindet, wer allzu sorglos sein demokratisches Recht in Anspruch nimmt, seine Meinung zu sagen. Man hat etwas geäußert und muß am nächsten Tag entdecken, daß man erledigt ist. Wie man früher Leute, die nicht ins Raster paßten, verschwinden ließ, entfernt man sie heute aus der Öffentlichkeit. Und die Meinung, mit der sie Anstoß erregen, findet sich nicht mehr in der Presse.

Moment, Sie erfahren doch noch immer viel Aufmerksamkeit in den Medien.

Henkel: Diese Erfahrung bezieht sich weniger auf mich selbst, als grundsätzlich auf jene, die gegen Mehrheitsmeinungen angehen. Im Englischen nennt man das „character assassination“, also „Charaktermord“: Statt sich mit den Inhalten seiner Position auseinanderzusetzen, zu versuchen diese zu widerlegen, erledigt man den Menschen persönlich. Man verleumdet ihn, dichtet ihm Schwächen an, gibt ihn der Lächerlichkeit preis.

Die „Bild“-Zeitung hat Sie zu einer der größten Nervensägen erklärt und öffentlich Ihre Entfernung vom Bildschirm gefordert.

Henkel: Wenn die so weitermachen, dann kommen sie mit der Bild-Auflage noch krachend im Keller an. Auch ich ließ mich als Bild-Kolumnist von 2001 bis 2007 von der Aussicht verführen, bei elf Millionen Lesern für meine liberalen Ideen zu werben, obwohl mich etwa meine Frau immer wieder warnte. Nach der Trennung von Bild herrschte allerdings jahrelang Funkstille. Erst als ich als Euro-Kritiker in die Öffentlichkeit trat, begann das Blatt sich regelrecht auf mich einzuschießen.

Warum?

Henkel: Weil meine Kritik natürlich auch einen dunklen Schatten auf den Euro, das Projekt von Diekmanns Spezi Helmut Kohl, wirft. Und das löst bei Bild wohl einen Pawlowschen Reflex aus. Konkret rief mich der Vizechefredakteur Nikolaus Blome an. Er redete sehr freundlich mit mir und befragte mich zu meinen Ansichten. „Netter Mann“, dachte ich noch beim Auflegen. Als ich aber am nächsten Tag seinen Beitrag las, wäre ich fast vom Stuhl gefallen! Nach seinem freundlichen Anruf hätte ich eine solche Rufvernichtung schlicht nicht für möglich gehalten! Überschrift: „Hans-Olaf Henkel: Ranschmeißer, Trittbrettfahrer, Wendehals. Keiner wechselt so schnell seine Überzeugung wie er“. Und so war auch der übrige Text.

Tatsache ist, daß Sie vom engagierten Euro-Befürworter zu dessen bekanntestem deutschen Kritiker geworden sind.

Henkel: Wie Sie wissen, mußte ich meine Meinung über den Euro ändern ...

Sie mußten?

Henkel: Ja! Weil die Politik über Nacht quasi die Geschäftsgrundlage des Euro gekippt hat. Und das, ohne daß es eine öffentliche Debatte über diesen fundamentalen Richtungswechsel gegeben hätte. Seitdem versuche ich, eine solche Diskussion in Gang zu bekommen. Vergeblich! Statt dessen werde ich von den Medien, vor allem von Springer, immer wieder attackiert, die nun auch die Welt gegen mich in Stellung gebracht haben.

Sie fühlen sich getroffen?

Henkel: In der Sache nicht, aber persönlich? Natürlich! Zwar habe ich meine Meinung geändert, das stimmt, aber wenn sich eine Situation verändert, ist dann ein Umdenken wirklich Anpassertum? Ist das dann Opportunismus?

Sie sagen, es sei ein Akt der Vernunft.

Henkel: Was denken Sie über einen Mann, der erkennt, daß er in eine Sackgasse gefahren ist und sich trotzdem weigert, den Wagen zu wenden? Zudem: Genaugenommen habe nicht ich meine Meinung geändert, sondern die Politik: Die Politik hat uns bei Einführung des Euro ein Versprechen gegeben, das sie 2010 gebrochen hat. Folglich bin nicht ich der Wendehals, sondern sämtliche Politiker, die eben jene Versprechen gebrochen haben. Ich bin der alte geblieben, der seine Meinung ändern mußte, um eben der alte zu bleiben.

Sie sprechen von der sogenannten No-Bailout-Klausel.

Henkel: Geschäftsgrundlage des Euro war diese Klausel: Pleitestaaten werden von anderen Euro-Ländern nicht gerettet. Es gibt im Besitz unserer Familie einen alten Film, der zeigt, wie 1943 unser Haus in Hamburg bei einem Luftangriff abgebrannt ist. Zu sehen ist aber auch, daß das Haus neben uns stehenbleibt. Der Grund: Man hatte eine Brandmauer eingezogen. Die No-Bailout-Klausel war die Brandmauer des Euro. Diese haben die Politiker eingerissen, nun droht uns ein Flächenbrand. Es ist doch kein Wunder, daß ich unter solchen Umständen vor diesem Euro nur noch warnen kann.

Nun ist Ihr neues Buch erschienen: „Die Euro-Lügner“ – klingt wie eine Abrechnung.

Henkel: Ich gebe zu, daß der Titel des Buches aggressiv ist. Aber ich glaube, das ist nötig.

Warum?

Henkel: Sehen Sie, viele meiner Gespräche über den Euro mit Leuten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und den Medien teilen sich inzwischen in ein Vorher und Nachher. Offen sagen sie nur das, was man sagen kann, ohne Anstoß zu erregen. Wenn der offizielle Teil beendet ist, fügen sie aber hinter vorgehaltener Hand an, was sie wirklich denken, was sie aber nicht offen sagen können, ohne ihre Stellung zu gefährden. Und während es früher so war, daß ich zuweilen noch etwas im Journalistenjargon „unter drei“, also unter uns, bei abgeschaltetem Mikrofon anfügte, passiert es inzwischen fast regelmäßig – und nur beim Thema Euro –, daß es die Journalisten und andere regelrecht drängt, mir hinterher im Vertrauen einzugestehen, daß sie der offiziellen Sichtweise nicht länger zu folgen vermögen. Daß sie das aber – da bitten sie um Verständnis – unmöglich offen sagen oder schreiben können. Das alles läuft darauf hinaus, daß wer umsichtig ist, seine Meinung nicht offen sagt, auch weiterhin „Meinungsfreiheit“ genießt. Wer diese dagegen in Anspruch nimmt, ist dieses demokratische Vorrecht bald los. Das ist absurd.

Diese Absurdität wollen Sie durchbrechen?

Henkel: Ich reise viel und daher weiß ich aus eigenem Erleben, daß es in den meisten anderen Ländern eine offene Debatte über den Euro gibt, nur bei uns nicht. Und warum nicht? Weil der Euro bei uns zu einem Dogma geworden ist, zu einem Glaubenssatz, an den man glauben muß, unbedingt, komme was da wolle. Das halte ich für schädlich und für eine freie und selbstbewußte Bürgergesellschaft für unwürdig.

Sie sagen: „In Sachen Euro sind die Deutschen schizophren.“

Henkel: Laut Umfragen ist die Mehrheit der Deutschen gegen die Euro-Rettung. Gleichzeitig ist die Mehrheit aber auch für seine Beibehaltung. Die Deutschen sind also für den Euro, aber dagegen ihn zu retten. Ist das nicht schizophren?

Haben die Deutschen den Euro vielleicht bis heute gar nicht begriffen?

Henkel: Die Deutschen werden nur langsam über die wahren Folgen der Euro-Rettungspolitik aufgeklärt. Wir erleben es ja gerade beim Thema Griechenland, wo die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht kommt.

Ihr Buch heißt zwar „Die Euro-Lügner“, beim Namen nennen Sie jedoch nur einen einzigen: Jean-Claude Juncker.

Henkel: Ja, der Grund ist, daß Juncker selbst zugegeben hat, gelogen zu haben, um wie er meinte den Euro zu retten, wörtlich: „Wenn es ernst wird, muß man lügen.“ Es ist für mich kein Zufall, daß ausgerechnet der langjährige „Mr. Euro“ sein Projekt nur noch mit Lügen zusammenhalten konnte. Darum geht es hier!

Inwiefern?

Henkel: Es gibt den Begriff der „unbequemen Wahrheit“. Es gibt aber auch die bequeme Unwahrheit. Diese ist es, die von vielen unserer Politiker und Journalisten gern benutzt wird, um die Diskussion über Alternativen zur Euro-Rettung unmöglich zu machen. Ich nenne mal eine dieser bequemen Unwahrheiten, etwa die ständige Gleichsetzung des Euro mit dem EU-Binnenmarkt, was suggerieren soll, daß wir den Euro brauchen, um im Binnenmarkt exportieren zu können. Was natürlich blanker Unsinn ist! Weiteres Beispiel: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Auch frei erfunden!

Der Satz stammt bekanntlich von Angela Merkel. Sie benennen sie in Ihrem Buch allerdings nicht als Lügnerin. Warum?

Henkel: Ich schildere meine Sicht der Dinge, aber ich überlasse es – außer im Fall Juncker – dem Leser, zu entscheiden, ob es sich bei den übrigen Verantwortlichen tatsächlich um Lügner oder vielleicht um Phantasten handelt. Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt, der Unterschied zwischen einem Lügner und einem Phantasten sei, daß der Lügner, andere belügt, der Phantast sich selbst.

Gehören Merkel und Schäuble nach Ihrer persönlichen Ansicht nun zu den Phantasten oder zu den Lügnern?

Henkel: Ich glaube, daß beide in Wirklichkeit genau wissen, was los ist, daß beiden klar ist, daß die ganze Euro-Rettung so nicht funktionieren kann. Aber sie wissen eben nicht, wie sie da herauskommen sollen. Also machen sie weiter. Und es ist ja auch nicht so, daß meine Lösungsvorschläge – oder die anderer Euro-Rettungskritiker – problemlos wären. Nein, ganz im Gegenteil, der Euro ist zu einer Art griechischen Tragödie geworden, die in jedem Fall und für alle Beteiligten tragisch enden wird. Um noch unbeschadet aus dem Euro herauszukommen ist es, das sage ich ganz klar, längst zu spät. Aber ich sage voraus, daß es dennoch von großer Bedeutung ist, ob dieser Euro früher und etwas weniger tragisch, oder später und noch tragischer endet. Deshalb kann uns die Frage eines Erfolgs der Alternative für Deutschland bei der Bundestagswahl im September auch nicht gleichgültig sein.

Ist Ihr Buch als eine Art Wahlkampfhilfe für die AfD gedacht?

Henkel: Das können Sie meinetwegen so verstehen, wenn Sie wollen.

Warum sind Sie nicht Mitglied der AfD, wenn Sie sie doch offen unterstützen?

Henkel: Das operative Geschäft der Parteiarbeit liegt mir einfach nicht, ich sehe mich eher als Vordenker und Berater, und so habe ich die AfD, ebenso wie die eurorettungskritischen Freien Wähler, von Anfang an unterstützt.

Die AfD beklagt, ebenfalls unter dem Problem zu leiden, verunglimpft zu werden.

Henkel: Ja, ihnen passiert das gleiche wie mir. Man versucht sie in der Tat regelrecht fertigzumachen, indem man sie etwa in die rechte Ecke drückt. Was natürlich völlig lächerlich ist, schauen Sie sich etwa nur mal die Vorschläge der AfD zur Asylpolitik an, die deutlich links von denen der Grünen und Liberalen sind. Aber wenn nicht als „Rechte“, dann werden sie als „Professoren-Partei“ verspottet. Erstmals haben wir eine Partei, deren Führungspersonal wirklich etwas von der Sache versteht. Aber das scheint in Deutschland irgendwie ungehörig zu sein. Schließlich wird die AfD als „rückwärtsgewandt“ diffamiert. Da kann ich nur sagen, wer nach Hannover will und erkennt, daß er kurz vor Leipzig ist, der kann natürlich weiter nach Leipzig fahren, auch wenn er dort gar nicht hinwill, nur deshalb, weil er nun mal schon so weit gefahren ist. Oder er kann umkehren und zurück nach Hannover fahren, so schließlich doch noch ans Ziel zu kommen.

Laut Umfragen hat die AfD keine Chance, im Herbst in den Bundestag einzuziehen. Andererseits mehren sich in jüngster Zeit die Stimmen, die vor ihr warnen, was zeigt, daß man ihren Einzug doch zu fürchten scheint. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie für die Partei?

Henkel: Ich sage, auf jeden Fall lohnt es sich, die AfD zu wählen. Ich vermute, daß der größte Zulauf von der inzwischen größten Partei Deutschlands kommt: der Partei der Nichtwähler. Wenn die AfD dazu beiträgt, diese Leute wieder an die Wahlurne zu bekommen, dann hat sie der Demokratie einen großen Dienst erwiesen.

 

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, war von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und danach Vorsitzender der Leibniz-Gemeinschaft. Heute berät der ehemalige IBM-Manager, Jahrgang 1940, unter anderem die Bank of America, das größte Kreditinstitut der USA, und ist Mitbegründer und Vorstandschef der Reforminitiative „Konvent für Deutschland“. Er veröffentlichte etliche Bücher, etwa „Die Abwracker. Wie Zocker und Politiker unsere Zukunft verspielen“ (2009) oder „Rettet unser Geld! Wie der Euro-Betrug unseren Wohlstand gefährdet“ (2011), das Thilo Sarrazin mit den Worten empfahl: „Man möchte es zur Pflichtlektüre für jeden Bundestagsabgeordneten machen, damit der Regierung endlich die richtigen kritischen Fragen gestellt werden.“ Nun ist bei Heyne Henkels neuer Band erschienen: „Die Euro-Lügner. Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken. So werden wir getäuscht“, mit dem er, so der Tagesspiegel, „seinem Ruf als eisenharter Klartext-Redner alle Ehre macht“.

www.konvent-fuer-deutschland.de

Foto: Hans-Olaf Henkel im Fokus der Medien auf dem Gründungsparteitag der AfD (April 2013): „Ich habe lernen müssen, wie mit Leuten umgegangen wird, die wagen, eine abweichende Meinung zu äußern“

 

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