© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Auf die Frage kommt es an
Bundestagswahl: Die Meinungsforschungsinstitute haben wieder Hochkonjunktur, doch an der Aussagekraft ihrer Zahlen bestehen Zweifel
Henning Hoffgaard

Eine Umfrage. Zwei Deutungen. „NSA-Skandal hilft den Piraten nicht“, titelt das Neue Deutschland. Der Tagesspiegel schreibt: „Als Folge des NSA-Skandals –Piraten holen auf.“ Beide Meldungen stammen vom vergangenen Wochenende und zeigen, wie unterschiedlich eine Wahlumfrage bewertet werden kann. Zwischen zwei bis vier Prozent erreicht die Piratenpartei derzeit. Zwei Prozentpunkte Unterschied können bei einer Formation, die mit der Fünfprozenthürde kämpft, eine ganze Menge ausmachen.

Ähnliches Bild bei der Alternative für Deutschland (AfD). Während die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest Dimap die Euro-Kritiker nicht einzeln auflisten, erreicht die Partei bei Forsa und Allensbach drei beziehungsweise 3,5 Prozent der Stimmen. Kein Wunder also, daß viele Politiker auf aktuelle Zahlen der Institute angesprochen abwinken. Das Motto lautet: Nicht Umfragen müssen gewonnen werden, sondern Wahlen. Trotzdem läuft das Geschäft mit den Umfragen blendend. Wer bei Google News „Umfrage Bundestagswahl“ eingibt, erhält mehr als 70.000 Treffer. An diesen Meldungen kommt keine Zeitung vorbei.

Nur, wie kommen die Zahlen, die regelmäßig für Schlagzeilen sorgen, eigentlich zustande? Bis in die neunziger Jahre dominierte vor allem das persönliche Gespräch in der Wohnung des Umfrageteilnehmers. Der war dann mit Name und Anschrift bekannt und entsprechend zurückhaltend. „Die Erfolgsquote lag höchstens bei fünf Prozent“, sagt ein ehemaliger freier Mitarbeiter von Infratest der JUNGEN FREIHEIT. „Irgendwann habe ich dann alle Umfragebögen allein zu Hause ausgefüllt.“ Umgerechnet zehn Euro pro abgegebener Umfrage erhielten die Mitarbeiter. „Es hat nie jemand überprüft“, sagt der Ex-Mitarbeiter. Abgesehen von Allensbach setzen die meisten Meinungsforschungsinstitute heute auf anonymisierte Telefonumfragen. Die Interviewer sind häufig Studenten und Rentner, die sich nebenher etwas Geld dazuverdienen. Zwischen sieben und acht Euro in der Stunde bekommen die Nebenberufler.

Die Umfrage umfaßt etwa bei Forsa weit mehr als nur die klassische Sonntagsfrage („Wen würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“). Da geht es dann auch schon mal um die Ausstrahlung von Heidi Klums Fernsehshow oder den Service der Deutschen Bahn. Allein von politischen Umfragen kann, abgesehen von der Forschungsgruppe Wahlen, die sich ausschließlich durch Gelder des ZDF finanziert, kein Institut existieren. Die Umfrageteilnehmer in dem angerufenen Haushalt werden nach einer Zufallsfrage ausgewählt: „Welche Person in ihrem Haushalt, die über 18 Jahre alt ist, hatte als letztes Geburtstag?“ Damit soll verhindert werden, daß überdurchschnittlich viele Männer, die statistisch häufiger als erstes ans Telefon gehen, teilnehmen. Klar ist auch, bestimmte Gesellschaftsgruppen sind in den Rohdaten der Umfragen deutlich unterrepräsentiert. Frauen, Zuwanderer, Arbeitslose und potentielle Erstwähler sind meist nur schwer davon zu überzeugen, an den teilweise dreißig Minuten langen Interviews teilzunehmen. Nur knapp fünf bis acht Prozent der Angerufenen nehmen im Durchschnitt überhaupt teil. Dieses Problem lösen die Institute, indem sie die Rohdaten nach einer bestimmten Formel gewichten. Sind etwa Gutverdienende im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt überrepräsentiert, wird ihr Anteil im Endergebnis heruntergerechnet. Was am Ende in der Zeitung steht, ist also nicht das direkt ermittelte Ergebnis. Die Formeln werden von den Instituten nicht veröffentlicht.

Dreh- und Angelpunkt jeder Umfrage ist die Fragestellung. 2009, auf dem Höhepunkt der Debatte um Netzsperren und kinderpornographische Inhalte im Internet, veröffentlichte Infratest Dimap innerhalb einer Woche zwei Umfragen zum Thema Netzsperren. In der ersten, beauftragt vom Verein Deutsche Kinderhilfe, befürworteten knapp 90 Prozent der Befragten die Sperren. Nur wenige Tage später sprachen sich 92 Prozent dagegen aus. Der Auftraggeber hier: „Mogis – Mißbrauchsopfer gegen Internetsperren“. Durch suggestive Fragestellungen war es den beiden Vereinen gelungen, völlig unterschiedliche Ergebnisse zu erhalten.

Die Fragestellung im Auftrag der Kinderhilfe lautete: „Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur Sperrung von kinderpornographischen Seiten im Internet. Kritiker befürchten eine Zensur und bezweifeln die Wirksamkeit solcher Sperren. Befürworter betonen dagegen, daß solche Sperren eine sinnvolle und wirksame Maßnahme gegen die Verbreitung solcher Bilder sind. Wie sehen Sie das: Sind Sie für ein Gesetz zur Sperrung kinderpornographischer Seiten im Internet oder dagegen?“ Neun von zehn Teilnehmern stimmten für Internetsperren. Die Frage für die Mogis-Umfrage lautete: „Der Zugang zu Internetseiten mit Kinderpornographie sollte durch eine Sperre erschwert werden, das reicht aus, auch wenn die Seiten selbst dann noch vorhanden und für jedermann erreichbar sind.“ Plötzlich waren 90 Prozent gegen Internetsperren. Die letzte Fragestellung suggerierte ganz bewußt, daß die Seiten gar nicht völlig gelöscht würden und die Sperren damit nutzlos seien.

Ob ein Ergebnis überhaupt veröffentlicht wird, liegt ganz beim Auftraggeber. Und die haben meist handfeste Interessen. 2003 kam eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und des Centrums für Hochschulentwicklung zu dem Schluß: Die Mehrheit der Deutschen und der Studenten sind für Studiengebühren. Das Problem, die Antworten ließen nur die Möglichkeit zwischen zwei unterschiedlichen Modellen für Studiengebühren zu. Eine Ablehnung war den Befragten gar nicht möglich.

Als besonders problematisch hat sich in der Vergangenheit die politische Positionierung der Umfrageinstitute herausgestellt. So kam es 2010 zu einem kuriosen Streit zwischen Forsa-Chef Manfred Güllner und der Konkurrenz von TNS Infratest. Am Ende mußte ein Gericht urteilen und erlaubte Güllner, Infratest als „Hausinstitut der SPD“ zu bezeichnen. Dabei stand der Forsa-Chef, seit 1964 in der SPD, selbst lange im Verdacht, den Sozialdemokraten nahezustehen. Nachdem sein Institut der Partei jedoch zunehmend schlechtere Werte attestierte, schlug die Stimmung um. „Hochgradig unseriös“ seien einige Forsa-Werte, sagte der brandenburgische SPD-Generalsekretär Klaus Ness 2008. Der damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck weigerte sich sogar, Ergebnisse des Institutes überhaupt noch zu kommentieren. Heikel: Güllner gilt als Intimus von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Den Kurs seiner Nachfolger in der SPD-Spitze sah er dagegen eher kritisch. Überhaupt lassen Güllners Aussagen zur Tagespolitik an seiner parteipolitischen Unabhängigkeit zweifeln. Gegenüber dem Stern zeigte er sich vergangene Woche besorgt, die Alternative für Deutschland könne in den Bundestag einziehen. „Ich habe ein ungutes Gefühl.“ Bisher sei er überzeugt gewesen, daß die Euro-Kritiker bei der Wahl keine Chancen hätten. Und weiter: „Inzwischen habe ich Bammel davor.“ Klingt so ein neutraler Beobachter?

Noch einen Schritt weiter ging das Allensbach-Institut. 1996 veröffentlichten die Meinungsforscher eine Umfrage, nach der die Republikaner den Einzug in den Landtag von Baden-Württemberg verpassen würden. Später mußte Allensbach eingestehen, deutlich höhere Werte für die Partei, die am Ende 9,1 Prozent erhielt, unterdrückt zu haben. Begründung: Das Institut habe der Partei keine „Plattform“ bieten wollen. Die Wahl wird am Ende also doch an der Urne entschieden.

Der Autor hat ein Jahr für Forsa gearbeitet

 

Die wichtigsten Institute im Überblick

Allensbach ist das älteste Umfrage-insitiut Deutschlands. Es wurde 1947 gegründet und beschäftigt etwa 2.000 nebenberufliche Interviewer. Kritiker werfen dem Institut eine Nähe zur CDU vor. Emnid gehört zu einem der größten weltweit agierenden Marktforschungsunternehmen und arbeitet in Deutschland vor allem mit RTL und n-tv zusammen. Das Forsa-Institut beschäftigt 60 festangestellte Mitarbeiter. Es kann jedoch auf mehrere hundert freiberufliche Interviewer zurückgreifen. In der Vergangenheit sorgte das Unternehmen mit einigen als manipulativ kritisierten Umfragen für Aufsehen. Die Forschungsgruppe Wahlen finanziert sich fast ausschließlich über Gelder des ZDF. Der Verein arbeitet zudem eng mit der Universität Köln zusammen und stellt alle Umfragedaten der Öffentlichkeit zur Verfügung. Infratest Dimap setzt bis zu 1.200 nebenberufliche Interviewer ein und hat knapp 20 festangestellte Mitarbeiter. Derzeit übernimmt das Institut die Wahlanalyse für die ARD. Zudem arbeitet Dimap mit Nachrichtenagenturen und Zeitungen zusammen.

Foto: Arbeitsplätze von Wahlforschern bei der Bundestagswahl 2009: Anonymisierte Telefonumfragen als Quelle

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