© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Auf dem Weg zaghafter Genesung
Die ökologischen Schutzmaßnahmen sind umstritten, aber die Ostsee ist nicht mehr Europas Mülldeponie
Steffen Prochnow

Robert Habeck gilt als undogmatischer Grüner, bereit zum Dialog mit Bauern und Fischern. Doch gerade die Fischer des Agrarlandes zwischen Nord- und Ostsee erleben seit Monaten einen schleswig-holsteinischen Umweltminister, bei dem Reden und Handeln himmelweit auseinanderklaffen. Während Habeck rhetorische Feuerwerke abbrennt, um sich medienwirksam als idealen Vermittler zwischen Ökologie und Ökonomie zu inszenieren, nehmen ihn immer mehr Betroffene als beinharten Vollstrecker umweltpolitischer Maximalforderungen wahr.

Jüngstes Beispiel für diese Doppelbödigkeit ist eine Fischereiverordnung, die im Herbst in Kraft treten soll. Der promovierte Philosoph verkauft sie als „Kompromiß“, Fischereivertreter sprechen hingegen von einem „Berufsverbot“, das mit dieser Verordnung verhängt werde. Wenn die Neuregelung überhaupt den Namen „Kompromiß“ verdiene, dann nur, weil sie noch Schlimmeres, das geforderte Totalverbot der Stellnetzfischerei, verhindern konnten. Habecks Ausweisung von Sperrgebieten in der Flensburger Außenförde sowie nördlich und westlich von Fehmarn, wo für acht Monate im Jahr keine Stellnetze gesetzt werden dürfen, nehme sie trotzdem in den „existentiellen Würgegriff“, wie Schlei- und Ostseefischer jüngst bei einem Treffen in Schleswig klagten.

Profitieren sollen von Habecks Engagement Tauchvögel und Schweinswale. Ihren Beständen würden durch Stellnetze empfindliche Verluste beigebracht. 20.000 Seevögel, so kolportiert die Meeresschutzexpertin Bettina Kelm Erhebungen des Bundesamtes für Naturschutz, würden allein östlich von Rügen jährlich in Stellnetzen verenden. Vor allem der Nachwuchs der Schweinswale findet oft ein tödliches Ende als „Beifang“ in Fischernetzen (JF 30/12). Doch, wissenschaftlich ebenso gesichert, halten die Fischer dem Minister entgegen, daß die Populationen in Nord- und Ostsee unter zunehmender Lärmbelästigung durch den Schiffsverkehr litten. Auch der von Habeck im Zeichen der „Energiewende“ enthusiastisch unterstützte Bau von Fundamenten für Offshore-Windparks sowie regelmäßige Munitionssprengungen, um die Altlasten des Zweiten Weltkrieges beseitigen, setzen Deutschlands einziger Walart zu.

Die Schadstoffbelastung der Ostsee ist ebenso längst nicht im grünen Bereich. Hierbei zeigt sich ein markantes West-Ost-Gefälle. Zwischen dem Kattegat, Bornholm und Gotland soll es laut – allerdings nicht sehr zuverlässigen – Zählungen 18.000 Tiere geben, östlich dieses Gebietes jedoch nur 600. Das deutet darauf hin, daß die Verschmutzung der Ostsee an den zum einstigen Ostblock zählenden Küsten nach wie vor hoch ist. Zu fragen sei angesichts solcher Zahlen, ob dem Schweinswal durch die Stellnetzfischerei an der Deutschland nach 1945 verbliebenen kurzen Ostseeküste und mit seinem kümmerlichen Zwei-Prozent-Anteil an 390.000 Quadratkilometer Wasserfläche wirklich die größte Gefahr drohe.

Die von Habeck erhoffte Übernahme seiner Verordnung durch Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen würde dann nämlich beim Walschutz den Hebel an der falschen Stelle ansetzen. Der „Ostseereport“ des Journalisten Andreas Unger (Natur, 8/13) liefert eine Reihe von Anhaltspunkten, um diesen Verdacht zu schüren. Obwohl Unger es vermeidet, den ehemals realsozialistisch geführten Ostseeanrainern ein ökologisches Nachhinken gegenüber Deutschen und Skandinaviern anzukreiden, lassen sich unschöne Details nicht ganz verschweigen.

So darf etwa Fisch, der im Bottnischen Meerbusen, dem „Auffangbecken“ für die Abwässer der Metropole Sankt Petersburg, gefangen wird, wegen seiner hohen Belastung mit Schadstoffen nicht auf den Märkten der EU verkauft werden. Wenn die Beutetiere des Schweinswals – Dorsch, Hering oder Sprotte – in diesen östlichen Gewässern aber derart „vergiftet“ sind, scheint jedenfalls die Fischerei an dessen Bestandsdezimierung nur den geringsten Anteil zu haben.

Überhaupt legt Ungers umweltpolitische Zwischenbilanz nahe, daß zumindest die deutsche Fischereiflotte, die nach 40 Jahren einer von Brüssel verordneten „Gesundschrumpfung“ selbst vom „Aussterben“ bedroht ist, kaum fähig sein dürfte, die ehrgeizige EU-Vorgabe zu torpedieren, das Ökosystem Ostsee bis 2021 in einen „guten Zustand“ zu versetzen. Wie bisher sei es daher entscheidend, den Phosphat- und Stickstoffzustrom zu reduzieren. Nur weil auf diesem Feld seit der 1974 unterzeichneten „Helsinki-Konvention“ zum Schutz des Mare Balticum bedeutende Fortschritte erzielt wurden, gehört der Ruf der Ostsee als „Europas größte Mülldeponie“ heute der Vergangenheit an. Nachdem die Anrainer sich 2007 nochmals in einem Abkommen („Baltic Sea Action Plan“) verpflichteten, weniger Nährstoffe ins Meer zu leiten, verringerte sich der Phosphat- und Stickstoffzustrom bis 2012 um 30.000 bzw. 400.000 Tonnen, immerhin 40 bzw. 30 Prozent weniger im Verlauf von fünf Jahren.

Ungers Überblick zufolge ist der Genesungsprozeß der Ostsee in erster Linie dem strengeren Abwasserregime zu danken. Die „Todeszonen“ in den tieferen Becken konnten verkleinert, das gigantische Algenwachstum eingedämmt und der Sauerstoffmangel behoben werden. Extreme Wetterlagen, die sauerstoffreiches Wasser aus der Nordsee durch Belte und Sund in das Brackwassermeer drückten, bescherten der Ostsee – zuletzt 2003 und 2011 – eine regelrechte „Durchlüftung“ und infolgedessen eine Regeneration der Fischfauna. Über ein „Dorschwunder“ freuen sich daher nicht nur die Fischer, sondern vermutlich auch die Schweinswale. 400.000 Tonnen des traditionellen „Brotfisches“ schwimmen wieder in der Ostsee, soviel wie seit 1992 nicht mehr.

Dies ist nicht das einzige „Wunder“, das Unger in dem „geschundenen Meer“ registriert, das er auf dem „Weg zaghafter Genesung“ wähnt. Auch die Kegelrobben, Anfang des 20. Jahrhunderts, als die deutsche Ostseeküste bis Memel reichte, hierzulande ausgerottet, entdecken die verbesserte Wasserqualität zwischen Flensburg und Usedom. Der Seeadler kehrt zurück. Ostseeweit zählt man stattliche 2.300 Brutpaare. Unter Wasser sorge der Stör für gute Nachrichten. 2008 wurden an der unteren Oder auf deutscher Seite 400.000 Jungfische ausgewildert. Obwohl eine stabile Population noch „Zukunftsmusik“ sei, stünden die Chancen nicht schlecht, daß 2020 die ersten Störe zum Laichen die Oder aufwärts ziehen.

Schwerpunktausgabe Ostsee von Natur 8/13: www.natur.de/

 

Wasserqualität an Nord- und Ostsee

Die Wasserqualität in Nord- und Ostsee ist nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein touristisches Thema. Gerade in heißen Sommern stellt sich die Frage: Warum in südliche Gefilde fliegen, wenn Sonne und Badefreuden auch an den deutschen Küstenstränden locken? Was von der Badegewässerqualität dort zu halten ist, beantwortet der aktuelle Bericht über die „Qualität der europäischen Badegewässer“. Herausgegeben von der Europäischen Umweltagentur (EEA), bescheinigt der Report den 366 untersuchten deutschen Nord- und Ostseestränden zu 79,5 Prozent eine ausgezeichnete Qualität. Badeverbote gibt es nicht. Bei den heute zu Polen gehörenden Ostseestränden sind es laut EEA 73,9 Prozent und in Dänemark 70,9 Prozent. In Schweden und Finnland, die östlicher liegen, sind nur 62,9 bzw. 69,9 Prozent der Strände vorbildlich. An den Ostseestränden der einstigen Sowjetrepubliken Estland (40,7) und Lettland (37,5) ist Vorsicht angeraten.

EEA-Badegewässerreport 4/13: eea.europa.eu/

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen