© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Im Zweifel gegen die Interessen des Volkes
Wettbewerbspolitik: US-Minister stoppt Megafusion im Luftverkehr / Deutsches Kartellamt immer zahnloser
Christian Schreiber

Wir wollen nicht, daß schließlich – bei immer größerer Konzentration der Wirtschaft zu Großbetrieben – das Volk aus einer kleinen Schicht von Herrschern über die Wirtschaft und einer großen Klasse von Abhängigen besteht“, hieß es 1957 in einer Regierungserklärung im Bundestag. Der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard sah aber nicht nur in Kartellen eine Gefahr für den „Wohlstand für alle“. Die Unternehmenskonzentration führe „zu einer Verminderung des Bestandes an rechtlich oder wirtschaftlich selbständigen Unternehmen. Dadurch wird sie zu einer Strukturfrage, deren Bedeutung über die speziellen wettbewerbspolitischen Gesichtspunkte hinausgeht und im allgemeinen gesellschaftspolitischen Bereich liegt“, warnte Erhard 1962 in seinem Bericht über das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

Für EU-Politiker scheint das alles Schnee von gestern zu sein. Für sie ist offenbar nur wichtig, daß bei Unternehmensfusionen alles nach Plan läuft – sprich den Wünschen von Vorstandsvorsitzenden. Die EU-Kommission genehmigte Anfang dieses Monats daher die Fusion der Fluggesellschaften US Airways und American Airlines (AA). Lediglich für die Route London-Philadelphia wurden Auflagen gemacht. Daß mit der elf Milliarden Dollar schweren Fusion die Lufthansa ohne US-Partner dastünde und was das für deutsche Passagiere bedeutet, war in Brüssel kein Thema. In Washington ist Ludwig Erhard hingegen noch nicht vergessen: „Die Verbraucher müßten den Preis für diesen Zusammenschluß zahlen – in höheren Ticketpreisen, höheren Gebühren und weniger Auswahl“, erklärte US-Justizminister Eric Holder, der mit seinem Veto die Bildung des weltgrößten Luftfahrtkonzerns stoppte.

Selbst kleine Preiserhöhungen bei einzelnen Flügen würden sich in der Gesamtheit auf eine Mehrbelastung von mehreren hundert Millionen Dollar summieren, warnte der US-Demokrat. „Dieses Szenario kann niemals im Interesse der Bürger sein“, so Holder. Für AA wird sich sicher ein anderer Partner finden, denn mit jährlich 70 Milliarden Dollar Umsatz ist der US-Luftverkehrsmarkt der größte der Welt.

In Deutschland rettete nicht die Politik oder das zuständige Bundeskartellamt, sondern das Oberlandesgericht Düsseldorf das Volk vor den „Herrschern über die Wirtschaft“: Die Richter stoppten die 3,2 Milliarden Euro schwere Übernahme des TV-, Telefon- und Internetanbieters Kabel BW durch die Liberty-Global-Tochter Unitymedia. Das Gericht revidierte vorige Woche eine Entscheidung des Kartellamts von 2011, die den Zusammenschluß im umkämpften deutschen Kabelmarkt unter Auflagen gebilligt hatte. „Die Fusion führt dazu, daß Kabel BW als einziger potentieller Wettbewerber aus dem Markt genommen wird“, sagte der Düsseldorfer Richter Jürgen Kühnen. „Potentieller Wettbewerb wird beseitigt.“ Ein Zusammenschluß sei zu untersagen, wenn eine marktbeherrschende Stellung durch eine Fusion verstärkt werde, unterstrich Kühnen, der sich damit voll in die Tradition Erhards stellt.

Für das Bonner Kartellamt ist das Urteil eine Ohrfeige, denn das Oberlandesgericht fand deutliche Worte: Das Bundeskartellamt habe nur die Auswirkungen der Fusion auf Klein- und Großkunden untersucht. Es hätte aber auch die Auswirkungen der Kabelhochzeit auf regionale Märkte unter die Lupe nehmen müssen – und hätte nicht einen bundesweiten Markt annehmen dürfen.

Durch die Düsseldorfer Entscheidung besteht nun auch wieder Hoffnung, daß zwei andere Großfusionen zu Lasten der deutschen Telefon- und Internetkunden genauer auf den Prüfstand kommen. Vodafone konnte bei der geplanten Übernahme von Kabel Deutschland bislang auf ein Ja aus Bonn und Brüssel hoffen. Den Zusammenschluß der beiden Mobilfunkanbieter O2 und E-Plus sieht hingegen selbst Kartellamtschef Andreas Mundt kritisch (JF 33/13). Daß es zu Preisabsprachen zwischen dem neuen Fusionskonzern sowie den verbleibenden Konkurrenten Telekom und Vodafone kommt, ist nicht auszuschließen. „Der Endkunde ist am Ende der Verlierer, weil seine Wahlfreiheit eingeschränkt wird“, warnte das Manager-Magazin. „Der Trend zur Monopolisierung wächst.“

Vielleicht kommt diesmal Rettung aus Mexiko: Der Milliardär Carlos Slim Helú will die niederländische E-Plus-Mutter KPN übernehmen. Dessen América-Móvil-Konzern ist ein heftiger Konkurrent der O2-Mutter Telefónica. Ludwig Erhard würde sich freuen.

Foto: US-Maschinen beim Start: Kleine Schicht von Wirtschaftsherrschern und große Klasse von Abhängigen?

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