© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Mit dem Rücken zur Wand
Ägypten: Mit harter Hand drängt die Militärführung die Mursi-Anhänger in die Defensive / Moslembrüder versuchen zu retten, was zu retten ist
Mark Zöllner

Inmitten der Unruhen in Ägypten verkündete Mohammed el-Baradei seinen Rücktritt als Vizepräsident des Landes. Bis zuletzt galt der charismatische Friedensnobelpreisträger vor allem dem Westen als hoffnungsvoller Kandidat für eine friedliche Demokratisierung.

Doch selbst er zerbrach schlußendlich an der Gewaltwelle, die derzeit durch das Land am Nil tobt. „Ich möchte für keinen einzigen Tropfen Blut verantwortlich gemacht werden“, so el-Baradei in seiner Erklärung. „Insbesondere, da ich glaube, daß dieses Blutvergießen vermeidbar gewesen wäre.“ Zugleich warnte er vor einer Renaissance radikaler Islamisten. „Diese extremistischen Gruppen und jene, die derzeit zur Gewalt aufrufen, sind die wahren Profiteure der Ereignisse der heutigen Tage“, mahnte el-Baradei auch mit Blick auf die Moslembruderschaft.

Ägypten befindet sich im Ausnahmezustand. Mindestens einen Monat soll dieser andauern, so Abd al-Fattah as-Sisi, der Oberkommandierende der Streitkräfte und seit Anfang Juli de facto Alleinherrscher über das Land am Nil. Der Zugverkehr nach Kairo wurde bereits eingestellt. Die Militärregierung versucht so zu verhindern, daß weitere Protestler aus dem Umland in die Hauptstadt gelangen. Überdies gilt nach Einbruch der Dunkelheit eine allgemeine Ausgangssperre. Doch trotz alledem halten die Unruhen an. Kairo selbst gleicht mit seinen unzähligen Barrikaden, Dutzenden brennenden Gebäuden und verrußten Straßenzügen einer Bürgerkriegsszenerie. Trotz ihrer hohen Verluste, die täglich im dreistelligen Bereich anwachsen, hält die Moslembruderschaft an ihrem Konzept des Widerstands weiter fest.

„Wer in Freiheit leben will, der ist dazu aufgerufen, die friedlichen Proteste fortzuführen“, verkündete Ahmed Arif, der Sprecher der Bewegung, kürzlich auf seiner Netzseite. „Er solle nicht gehen, bis die rechtmäßige Regierung zurückgekehrt ist. Ein paar Tage auf den Plätzen werden lange Jahre des Kampfes der Ägypter gegen das Regime vermeiden.“

Die Moslembruderschaft zählt auf ihre Anhänger. Sie setzt zugleich auf den blutigsten aller Wege. Mit jedem neuen gefallenen Märtyrer, so die Idee, würden sich nicht nur mehr Ägypter um sie scharen. Auch die Solidarität des Auslands versucht man auf diese Weise für sich zu sichern. So perfide diese Methode auch anmuten mag, so scheint sie doch die letzte Möglichkeit der Moslembrüder zu sein, überhaupt noch politisches Gewicht zu behalten. Nach den gescheiterten Verhandlungen mit der Regierung sowie dem drohenden Verbot der Bewegung, vom Militär einmal bestätigt, dann wieder negiert, stehen die islamistischen Kräfte Ägyptens mit dem Rücken zur Wand. Sie wurden von der Armee schlichtweg ausmanövriert.

Überhaupt versteht es as-Sisi große Teile der Bevölkerung gegeneinander auszuspielen. Insbesondere die Säkulären unter den Ägyptern weiß er mittlerweile auf seiner Seite. Ängste wie jene vor einem islamisch-faschistischen Regime unter den Moslembrüdern und Mohammed Mursi fallen dort auf fruchtbaren Boden. „Die Moslembrüderschaft ist eine faschistische Bewegung, der nur die Tötungsmaschinerie des Faschismus fehlt“, warnt unter anderem der deutsch-ägyptische Journalist Hamed Abdel-Samad. „Hätte sie genug Waffen wie die ägyptische Armee, würden wir in Ägypten einen wahren Genozid erleben.“

Die Moslembrüder weisen diese Vorwürfe zurück. Unter dem Eindruck ihres Verlusts an Handlungsmöglichkeiten tragen die Anhänger der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei (FJP), des politischen Arms der Bruderschaft, die Inhalte ihrer Proteste auf übergeordneten Ebenen.

„Die Leute müssen erkennen, daß ihre gegenwärtige Aufgabe nicht darin besteht, die Herrschaft der Moslembrüder wiederherzustellen“, erklärt der Rechtsgelehrte Tariq al-Bischri, der 2011 vom Obersten Rat der Streitkräfte SCAF zum Vorsitzenden des Verfassungskomitees ernannt wurde und seitdem zusammen mit Mohammed Mursi Ägyptens neue Verfassung erarbeitet hat. „Hier geht es um die Verteidigung der Verfassung und des demokratischen Systems.“ Denn immerhin, so al-Bischri, erhielt diese Verfassung „63,3 Prozent der Stimmen in einer freien und fairen Wahl.“

Wie sich die Moslembruderschaft nach dem Sturz ihres Präsidenten neu konstituieren wird, bleibt indes abzuwarten. Ein Ende der von der Armee und den Moslembrüdern ausgehenden Gewalt scheint noch nicht absehbar, eine mögliche Dialogbereitschaft der Militärregierung ebensowenig. Bis dahin darf sich zumindest as-Sisi seines Sieges sicher sein: Von der Januarrevolution 2011 gegen Husni Mubarak über die Verschärfung des gesellschaftspolitischen Konflikts mit den Moslembrüdern durch die erpreßte Teilnahme des mubarak-treuen Kandidaten Ahmed Schafiq bis hin zum Sturz Mohammed Mursis und der Restauration des alten Mubarak-Systems ging der Masterplan des SCAF in sämtlichen Zügen auf. Was als Lehre bleibt, ist die bereits im letzten Sommer getwitterte Voraussage eines ägyptischen Netzaktivisten: „Die Revolution ist erst beendet, wenn es das Militär befiehlt.“

Foto: Räumung einer von Moslembrüdern besetzten Moschee in Kairo: Gegen die Staatsmacht können die Mursi-Anhänger wenig ausrichten

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