© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

„Bürger, reiht euch ein“
„Alternative für Deutschland“: Mit einer Demonstration durch die Hamburger Innenstadt startet die Euro-kritische Partei in die heiße Wahlkampfphase
Marcus Schmidt

Für Thomas Diez ist es fast eine Zeitreise. „Es ist wie zur Wende in der DDR“, sagt der Mann aus Mecklenburg-Vorpommern, während um ihn herum immer mehr Menschen auf den Heidi-Kabel-Platz vor dem Hamburger Hauptbahnhof strömen. Viele tragen Fahnen und Transparente, meist in Blau, Rot und Weiß gehalten, den Farben der Alternative für Deutschland (AfD). Als sich der Demonstrationszug, mit dem die Euro-kritische Partei am vergangenen Sonnabend in die heiße Wahlkampfphase gestartet ist, schließlich in Bewegung setzt, zählt er an die Tausend Teilnehmer. Die Organisatoren hatten auf die Hälfte gehofft.

Thomas Diez und seine Frau sind dagegen von dem Zulauf nicht überrascht. „Die Leute sind reif für die Wahrheit“, ist Marion Diez mit Blick auf die ihrer Ansicht nach verhängnisvolle Euro-Rettungspolitik überzeugt. Sie und ihr Mann waren vor ihrem Eintritt in die AfD noch nie politisch aktiv. Jetzt sagen beide: „Wenn keiner etwas macht, passiert auch nichts.“

Vielen Teilnehmern der Veranstaltung, von der ein Polizeisprecher sagt, er habe noch nie eine so „bürgerliche“ Demonstration in Hamburg gesehen, geht es wie dem Ehepaar. Sie erleben eine Premiere. „Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, daß ich für eine politische Partei demonstriere“, sagt Peter Werner. Der Rentner aus der Nähe von Hamburg hat zusammen mit seiner Frau extra ein Transparent gebastelt. „Gewissenlose Euro-Retter ruinieren unser Land“, ist darauf zu lesen.

Die Hamburger Linksextremisten haben offenbar ebenso wie die Organisatoren die Bereitschaft der aus ganz Deutschland angereisten AfD-Mitglieder unterschätzt, an der Demonstration teilzunehmen. Nur eine Handvoll schwarzgekleidete Aktivisten begleitet den Zug, immer im Visier der Polizei. Außer einigen Rangeleien und Eierwürfen, bei denen die Beamten sofort eingreifen, bleibt es friedlich. Mehrfach verwickeln AfD-Mitglieder die verblüfften Linksextremisten unter den Augen der Polizei in Diskussionen über die Ziele der Euro-Kritiker.

Angeführt von einem zum Wahlkampfmobil umgewandelten alten Feuerwehrwagen, dessen Dach bei den Zwischenkundgebungen als Rednertribüne dient, ziehen die AfD-Anhänger vom Hauptbahnhof über die Einkaufsmeile Mönckebergstraße und den Jungfernstieg zum Gänsemarkt. Als der Führungswagen auf halber Strecke für einige Minuten hält, nutzt AfD-Chef Lucke, der sich bis dahin zurückgehalten hatte, zwischen zwei Interviews die Gelegenheit für eine erste kurze Ansprache. Kurz darauf zeigt er, daß er nicht nur in der Partei, sondern auch bei der Demonstration immer die Fäden in der Hand behält. „Kay, nicht so ein Quatsch wie ‘Wir sind die Guten’“, weist er den Hamburger Bundestagskandidaten Kay Gottschalk zurecht, der vom Feuerwehrwagen die Sprechchöre vorgibt. Das ist dem AfD-Sprecher dann doch zu flach. Stattdessen skandieren die Demonstranten nun „Ha ha ho, der Euro ist k.o.“, „Merkel muß weg“ und „Bürger laßt das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“. Und schließlich: „Wir sind das Volk“.

Am Rande der Demonstration verteilen AfD-Anhänger Werbematerial an die Passanten, und stoßen dabei häufig auf Interesse und positive Reaktionen. „Hört sich gut an. Ich halte auch nichts vom Euro, vor allem, daß die Banker das ganze Geld bekommen“, sagt ein Passant, nachdem ihm eine Demonstrantin ein AfD-Faltblatt in die Hand gedrückt hat. Doch es gibt es auch Widerspruch. „Diese Spinner brauchen wir nicht“, schimpft ein Mann, der auf der Mönckebergstraße mit verschränkten Armen mißmutig die Demonstration beobachtet. „Die sollen doch mit Rubel zahlen, wenn sie den Euro nicht wollen.“ Das CDU-Mitglied aus dem Ruhrgebiet ist überzeugt: „Uns ging es in Deutschland doch noch nie so gut.“

Er hätte vermutlich auch wenig Gefallen an der Abschlußkundgebung gehabt. Dort konzentriert sich Lucke in seiner Rede auf die Themen Euro-Rettung und Energiewende. Er wirft Regierung und Opposition gleichermaßen Versagen vor. „Wo immer die Bundesregierung versagt hat, hat die Opposition Rezepte, die das Versagen noch verschlimmern würden.“

Zugleich würdigt der Parteigründer die Leistung der vergangenen Monate: „Wir haben eine Partei aufgebaut mit 15.000 Mitgliedern, mit 16 funktionierenden Landesverbänden, wir haben 16 Landeslisten für die Bundestagswahl aufgestellt und 150 Direktkandidaten, wir haben 80.000 Unterschriften gesammelt und dies alles in kürzester Zeit, ohne staatliche Gelder, gegen die Mißgunst der herrschenden Politiker, gegen große Teile der Presse und immer gegen die Meinungsforscher.“

Daran, daß es der Partei am 22. September tatsächlich gelingt, in den Bundestag einzuziehen, läßt er keinen Zweifel. Doch selbst wenn es nicht klappen sollte, muß sich Lucke offenbar keine Sorgen um seine Partei machen. „Dann machen wir einfach weiter, das ist erst der Anfang“, sagt Marion Diez und verweist auf die Europawahl im kommenden Jahr. „Wir haben zu lange auf diese Partei gewartet, um dann einfach aufzugeben.“

Foto: AfD-Sprecher Bernd Lucke auf der Abschlußkundgebung; Demonstrationszug auf der Mönckebergstraße: Für viele der rund 1.000 Teilnehmer war es eine Premiere

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