© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

„Irgendwann ist Feierabend“
Walter Krämer ist Deutschlands buntester Professor: Der Statistiker ist ein unermüdlicher Aufklärer, schreibt Bücher mit Millionenauflage, kämpft wacker für die deutsche Sprache und lehrte mit seinem Massenprotest gegen die Euro-Rettung die Kanzlerin das Fürchten.
Moritz Schwarz

Herr Professor Krämer, wie hält es Ihre Frau nur mit Ihnen aus?

Krämer: Ich glaube ganz gut. Warum?

Angeblich sind Sie ein notorischer Besserwisser.

Krämer: Nur dann, wenn ich es auch wirklich besser weiß. Also nicht allzu oft.

Schmeichelt Ihnen „Professor Besserwisser“ etwa, wie die „Zeit“ Sie genannt hat?

Krämer: Ach wissen Sie, das sind journalistische Flapsigkeiten. Kenne ich mich nicht aus, halte ich wie gesagt lieber den Mund.

Zum Beispiel?

Krämer: Etwa beim Thema Klimawandel, dazu habe ich nie ein öffentliches Wort gesagt.

Sie haben inzwischen an die dreißig Publikums-Buchtitel veröffentlicht, darunter Bestseller wie das „Lexikon der populären Irrtümer“. Haben Sie denn nicht genug zu tun?

Krämer: Doch. Aber irgendwann ist auch mal Feierabend. Andere spielen dann Tennis oder Golf, ich schreibe Bücher. Allerdings haben Sie recht, man kommt mit allgemeinverständlichen Büchern bei einigen Kollegen in einen schlechten Ruf.

Ihre zahlreichen Medienauftritte dürften das noch befördert haben.

Krämer: Ohne Zweifel. Der Spiegel oder die Bild-Zeitung als Publikationsort, das ist für manche Kollegen inakzeptabel. Da ist möglicherweise aber auch eine Portion Neid dahinter.

Das Thema Irrtum scheint es Ihnen angetan zu haben, Ihr vorletztes Buch „Die Angst der Woche“ beschäftigt sich mit der Frage, „warum wir uns vor den falschen Dingen fürchten“ .

Krämer: Oh ja, es ärgerte mich schon lange, wie wir Deutsche uns wegen Kinkerlitzchen in die Hose machen, und laufen den wirklichen Gefahren willig in die Arme.

Zum Beispiel?

Krämer: Denken Sie etwa an die BSE-Hysterie. Anders als anderswo ist hierzulande noch niemand daran gestorben. Aber nirgendwo war die Panik größer als bei uns. Umweltministerin Renate Künast hat dafür Milliarden in den Sand gesetzt, für die sich Deutschland eine komplette Elite-Uni wie Harvard hätte leisten können. Oder Fukushima. Da weigern sich deutsche Taxifahrer aus Angst vor Verstrahlung, und als Folge einer kriminellen Desinformation durch die deutschen Medien, japanische Touristen mitzunehmen. Wir merken gar nicht, wie wir uns so vor der ganzen Welt zum Kasper machen.

Warum fürchten wir Deutsche uns denn vor den „falschen Dingen“?

Krämer: Gute Frage. Es gibt dazu verschiedene Theorien. Laut C. G. Jung prägen kollektive Erfahrungen ein kollektives Unterbewußtsein. Und wir Deutschen, so Jung, seien immer noch geprägt von der Erfahrung der größten Katastrophe unserer Geschichte, des Dreißigjährigen Krieges. Andere schieben das Desaster auf die typisch deutschen Intellektuellen. Das seien Welterklärer, die an einer großen Erkenntnispyramide bauen – während Briten oder Franzosen eher eine Theorie ausprobierten und wenn die nicht klappt, pragmatisch zur nächsten wechselten. Wenn nun aber dieser deutsche Typus irgend etwas als die Wurzel allen Übels erkennt, dann bekämpft er dies, bis zur totalen Ausrottung. Der deutsche Ideal-Intellektuelle ist somit immer auf einem Kreuzzug und oft eine Gefahr für die Menschheit.

Warum nur muß ich jetzt spontan an die Grünen denken?

Krämer: Weil diese Partei die politische Verkörperung dieser Kreuzzugsmentalität, dieser irrigen Vorstellung ist, es gäbe eine reine Wahrheit.

Inwiefern?

Krämer: Woher kommen denn die ständigen Vorstöße der Partei zur Zwangsbeglückung der Gesellschaft, ich sage nur aktuell: Vegetariertag.

Was haben Sie gegen den „Veggie Day“?

Krämer: Erst mal der läppische angelsächsische Ranschmeißer-Name. Dann der Zwang. Ich bin Nichtraucher, aber an meiner Bürotür habe ich ein Schild: „Rauchen erlaubt“ – aus Prinzip.

Manche werfen Ihnen allerdings vor, selbst auf einem Kreuzzug zu sein, etwa bei Ihrem Kampf gegen „Denglisch“ als Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache.

Krämer: Mit Kreuzzug hat das nichts zu tun, wir wollen niemanden zwingen. Hier geht es eher um Sorgfalt: Wir Deutsche sind wohl die einzigen, die bereitwillig so auf der eigenen Sprache herumtrampeln, indem wir sie einmal mit überflüssigen Angeber-Anglizismen spicken und sie dann auch noch zu einer Art Feierabenddialekt verkommen lassen, wie das einmal der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger vorgeschlagen hat.

Wo wir gerade bei Kreuzzügen sind: Wie war denn das, als Sie mit dem großen Ökonomenprotest gegen die Euro-Rettung im Juli 2012 für Schlagzeilen sorgten, diesem „Aufstand gegen Merkel“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb.

Krämer: Auch das ist kein Kreuzzug, diesmal gegen den Euro, sondern ein Aufruf gegen die aktuelle Art und Weise, wie diese Rettung geschieht. Die Bundesregierung hatte damals zugestimmt, nicht nur die Euro-Krisenstaaten zu retten, sondern auch deren Krisen-Banken. Damit war das Ende der Geduld erreicht. Denn das heißt nichts anderes, als daß der deutsche Sparer nun auch noch die Zeche für ausländische Banker, Millionäre und Oligarchen zahlen soll.

Dagegen haben Sie nun ein Buch geschrieben: „Kalte Enteignung“, erschienen beim Campus-Verlag im Juni 2013. Was werfen Sie denn der deutschen Regierung vor?

Krämer: Daß sie an Symptomen herumkorrigiert und die eigentliche Ursache der Krise, nämlich die selbstverschuldte Wettbewerbsunfähigkeit vieler aktueller Krisenländer, nicht deutlich genug adressiert. Um etwa auf dem Weltmarkt so wettbewerbsfähig zu werden wie sein Nachbar Türkei, müßte Griechenland um dreißig Prozent abwerten. Nur dann wäre es in der Lage, langfristig seine Schulden zu bedienen oder eines Tages gar zurückzuzahlen.

Und daran ist Ihrer Meinung nach der Euro schuld?

Krämer: Ganz genau. In den ersten Jahren des Euro war es den aktuellen Krisenländern erstmals in ihrer Wirtschaftsgeschichte möglich, sich genauso preiswert zu verschulden wie die Bundesrepublik Deutschland. Und das haben dann auch viele brutalstmöglich ausgenutzt. Aber diese ausgeliehenen Gelder wurden nicht in eine verbesserte Infrastruktur und einen effizienteren Kapitalstock investiert, sondern sozusagen verfrühstückt und für aufgeblasene Beamtenapparate, überhöhte Renten und ganz allgemein ein unbeschwertes Dolce vita ausgegeben.

Und die Rechnung zahlt nun Ihrer Meinung nach der deutsche Steuerzahler?

Krämer: Zumindest einen guten Teil. Und nicht nur der. Aufgrund des unnatürlich niedrigen Zinsniveaus, hervorgerufen durch verzweifelte Versuche zur Rettung maroder Banken, die längst hätten abgewickelt werden müssen, verlieren deutsche Sparer jährlich derzeit 15 Milliarden Euro. Wenn das keine kalte Enteignung ist, was denn sonst. Statt die Eigen- und Fremdkapitalgeber dieser Banken zur Kasse zu bitten, überwälzt man das Risiko auf andere. Derzeit liegen auf diversen Steueroasen dieser Welt über zwanzig Billionen Euro zum großen Teil am Fiskus vorbeigeschmuggeltes Kapital versteckt. Würde man darauf zugreifen, wäre die Euro-Krise morgen früh zu Ende.

Und was schlagen Sie als Ausweg vor?

Krämer: Erst mal genau das: Die Supereichen, auch in den Südländern, wo es sie sogar noch häufiger gibt als bei uns, zur Kasse bitten. Das Pro-Kopf-Vermögen ist in Spanien oder Italien weit höher als bei uns. Diese Länder könnten also problemlos ihre Staatsschulden aus eigener Kraft begleichen.

Und Griechenland?

Krämer: Da reicht das Vermögen, obwohl durchaus vorhanden, nicht ganz aus. Der einzige Ausweg hier ist, daß Griechenland die Eurozone verläßt, dann abwertet, wieder wettbewerbsfähig wird, seine Schulden bezahlt und dann eines Tages vielleicht wieder in den Schoß der Gemeinschaft zurückkehrt. Anders geht es nicht. Wenn wir so weitermachen wie bisher, läuft das auf eine gigantische Enteignung der deutschen Auslandsvermögen hinaus.

Ich habe kein Auslandsvermögen.

Krämer: Aber Sie haben eine Lebens- oder eine Altersversicherung?

Ja.

Krämer: Und wo hat Ihr Versicherer das Geld angelegt? Nach der Bundestagswahl wird es erneut einen Schuldenschnitt sowie ein weiteres Rettungspaket für Griechenland geben. Aber Athen wird auch diesen Kredit ebensowenig zurückzahlen können wie andere Krisenländer. Das heißt, die Geldverleiher, und das sind indirekt auch die deutschen Sparer und Steuerzahler, sind ihre Gelder los. Dazu kommen mögliche Haftungsfälle für ausländische Pleitebanken, negative Realzinsen und vielleicht einmal die Inflation. Alle vier Punkte zusammen sorgen dafür, daß am Ende der deutsche Sparer und Steuerzahler den größten Teil der Zeche zahlt. Was aber der Normalbürger möglicherweise erst dann realisiert, wenn es zu spät ist. Deshalb habe ich mein Buch in einer Sprache geschrieben, die hoffentlich jeder nachvollziehen kann. Jeder Bürger, auch in den anderen Gläubigerländern wie den Niederlanden oder Finnland, die genau wie wir um Ihre Ersparnisse betrogen werden, muß verstehen, wie uns diese Euro-Rettung am Ende um unseren Wohlstand und um unsere Ersparnisse bringt.

Und warum nehmen das die Bürger hierzulande so ruhig hin?

Krämer: Weil sie das Ganze nicht durchschauen. Man kann es den Leuten nicht verdenken, daß sie ruhig geblieben sind, denn der normale Sparer und Rentner versteht das ja nicht. Der Ökonom aber schon, und ich bin froh, daß wir immerhin 278 Kollegen versammelt haben, die den Ökonomenprotest unterstützen.

Warum nicht mehr?

Krämer: Erst mal ist das eine ganze Menge und bei allen derartigen Aufrufen bisher mit großem Abstand der Rekord. Nicht umsonst sprach der Focus schließlich vom „Who is Who der deutschen Wirtschaftswissenschaft“. Aber einige habe auch abgesagt, weil sie Nachteile fürchteten, wenn sie den Aufruf unterzeichnen.

Der Appell hat zwar für Wirbel gesorgt und vor allem Wolfgang Schäuble heftig „empört“. Gebracht hat er aber nichts.

Krämer: Wir haben unser Bestes getan. Ich will nicht eines Tages ins Grab sinken und meinen Enkeln sagen müssen: Ich habe diese Katastrophe kommen sehen, aber nichts gesagt.

Manche betrachten Ihren Aufruf allerdings als einen Impuls, der zur Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) geführt hat.

Krämer: So weit würde ich nicht gehen.

Warum sind Sie nicht Mitglied der AfD?

Krämer: Weil ich schon seit Jahrzehnten bei der FDP bin und die dortigen kritischen Stimmen nicht alleine lassen will, die wichtig sein könnten, wenn die AfD im Herbst in den Bundestag einzieht.

Aber die AfD liegt bei nur zwei bis drei Prozent.

Krämer: Die AfD wird aus dem Reservoir der Nichtwähler und aktuell noch Unentschlossenen genug Stimmen mobilisieren. Ich sehe sie bequem im Bundestag.

 

Prof. Dr. Walter Krämer, Der „Vielschreiber und Bestsellerautor“ (Spiegel) lehrt Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund und ist gerngesehener Gast in den Medien, wie FAZ, Welt, Focus, Handelsblatt, Financial Times Deutschland oder Neue Zürcher Zeitung. Er ist Mitglied in zahlreichen Fachgremien, etwa bis 2003 im wissenschaftlichen Beirat für den Armutsbericht der Bundesregierung oder bis 2011 im Beirat des Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). 1997 gründete der 1948 in der Eifel geborene Statistiker den Verein Deutsche Sprache (VDS), der auch den Negativ-Preis „Sprachpanscher des Jahres“ verleiht. Bekannt ist Walter Krämer nicht zuletzt für seine zahlreichen populärwissenschaftlichen Bücher, wie „So lügt man mit Statistik“, „Modern Talking auf deutsch“ oder „Lexikon der populären Irrtümer“, das weltweit über eine Million mal verkauft wurde. Nun ist sein neues provokantes Buch erschienen: „Kalte Enteignung. Wie die Euro-Rettung uns um Wohlstand und Renten bringt“.

www.vds-ev.de

 

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