© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/13 / 23. August 2013

Wahlkampf in Österreich
Politik und Nächstenliebe
Martin Graf

Die FPÖ geht mit dem Slogan „Liebe deine Nächsten“ in den auf Touren kommenden Wahlkampf für die Nationalratswahl am 29. September. Der Zusatz „Für mich sind das unsere Österreicher“ unter dem Konterfei von Parteiobmann Heinz-Christian Strache hat die erwartbaren Reaktionen ausgelöst. Dies nicht nur bei den politischen Mitbewerbern, sondern auch bei kirchlichen Repräsentanten, die sich eigentlich darüber freuen müßten, daß eine Partei den zentralen Wert ihrer Glaubensgemeinschaft ins Zentrum der politischen Bemühungen rückt.

Mitnichten. Den Freiheitlichen wird ausgerichtet, wahre Nächstenliebe sei nur solche, die auch – oder gar in erster Linie – Fremden gegenüber gezeigt werde. Eine Einengung auf die eigenen Landsleute sei unchristlich, und überhaupt – so zuletzt der Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn – habe die Nächstenliebe im Wahlkampf nichts zu suchen.

In einem Staat mit sauberer Trennung von Staat und Kirche könnte man die Kritik als zumindest formell berechtigt anerkennen, wenn man sie auch inhaltlich nicht teilen kann. In einem Staat, in dem von kirchlichen Einrichtungen und nicht zuletzt auch vom Wiener Erzbischof immer lauter die Forderung nach Änderung oder Nichtanwendung bestimmter Gesetze erhoben wird – namentlich der Asylgesetze, um auch reinen Wirtschaftsflüchtlingen zu einem Bleiberecht zu verhelfen –, sind die Zurufe als nichts anderes zu qualifizieren als eine parteipolitisch tendenziöse Einmischung in den Wahlkampf.

Denn die kirchliche Kritik an der politischen Verwendung des Begriffs „Nächstenliebe“ ist selektiv. Erst im Jänner rief Kanzler Faymann (SPÖ) im Europäischen Parlament zur fortgesetzten Unterstützung der EU-Pleitestaaten auf und fand folgende pathetische Worte: „Wenn die Enkelkinder der Österreicher mit Enkelkindern aus Südeuropa eines Tages über unsere Politik urteilen, möchte ich, daß sie sagen: ‘In einer schwierigen Zeit war Solidarität und Nächstenliebe stärker als Egoismus und Gier’.“ Ob die Nächstenliebe den Griechen und Portugiesen oder doch eher ihren Gläubigerbanken zuteil wird, ist heftig umstritten. Die bedürftigen Österreicher sind davon jedenfalls ausgeschlossen – was weder den Kardinal noch sonst jemanden in der Kirche gestört hat.

 

Dr. Martin Graf ist FPÖ-Politiker und seit 2008 Dritter Präsident des österreichischen Nationalrats.

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