© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Schrott ab Werk
Ein Buch und eine Studie über den geplanten Verschleiß – eingebaute Fehlerquellen zur Absatzankurbelung
Fabian Schmidt-Ahmad

Es ist ein bekanntes Phänomen der modernen Warenwelt. Technische Produkte verwandeln sich über Nacht in Schrott, ohne daß ein äußerer Grund erkennbar wäre. „Geplante Obsoleszenz“ wird die vom Hersteller bewußt herbeigeführte Selbstzerstörung seiner Produkte genannt. Jeder kann Geschichten erzählen wie von dem Markenfernseher, der sich kurz nach Ablauf der Garantie nicht mehr anschalten ließ, dem Blu-ray-Spieler, dessen Reparatur teurer als ein Neukauf kommt, dem neuen Rasierapparat, dessen eingeklebter Akku das Gerät zum Sondermüll machte. Neun Kilo Elektroschrott liefert jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr bei den Recyclinghöfen ab – Tendenz steigend.

Verärgerte Kunden, genervte Reklamationsabteilungen und ein ruinierter Ruf – alles das soll ein Hersteller freiwillig auf sich nehmen, nur in der Hoffnung, ein milde gestimmter Kunde kaufe ein neues Produkt mit dem gleichen, eingebauten Verfallsdatum? Entsprechend wird die geplante Obsoleszenz häufig von den Herstellern und ihren einflußreichen Branchenverbänden lediglich als ein moderner Mythos abgetan. Jedenfalls konnte bisher noch keine Firma ausgemacht werden, welche sich zu einer vorsätzlichen Sabotage ihrer Erzeugnisse bekannt hätte.

Aber alleine die Indizien, welche die Regisseurin Cosima Dannoritzer zum Film „Kaufen für die Müllhalde“ (englischer Titel: „The Light Bulb Conspiracy“) und der Schriftsteller Jürgen Reuß zum gleichnamigen Buch zusammengetragen haben, sind beachtlich. Am bekanntesten ist das Phoebus-Kartell von 1924, in dem die größten Glühlampenhersteller den Weltmarkt unter sich aufteilten und unter anderem die durchschnittliche Lebensdauer auf tausend Stunden limitierte. Offiziell löste sich das Kartell im Zweiten Weltkrieg auf.

Also alles nur Verschwörungstheorie? Nun, trotz des technischen Fortschrittes eines Menschenlebens war die gewöhnliche Haushaltsglühlampe bis zum EU-Verbot gleichfalls auf tausend Stunden ausgelegt. Die permanente Mangelwirtschaft der DDR konnte sich solch eine Ressourcenverschwendung nicht leisten. Die Lebensdauer von technischen Geräten war sogar gesetzlich geregelt. Für die Haltbarkeit wurden eigene TGL-Normen (das Pendant zu DIN-Vorschriften) erstellt. Zwischen Theorie und Praxis klaffte zwar in der realsozialisten Planwirtschaft oft eine riesige Lücke, aber das aus enteigneten Osram- ud Daimon-Werken hervorgegangene Narva-Kombinat produzierte immerhin – wenn auch in geringem Umfang – Glühlampen mit 2.500 Stunden Lebensdauer.

Dannoritzer und Reuß gehen über das Problem der offenen oder informellen Kartellbildung hinaus, die auch aus volkswirtschaftlicher Sicht eine Fehlentwicklung darstellt. Sie zeigen vielmehr, wie die kapitalistische Massenproduktion aus ihrer inneren Bewegung heraus das Vergangene durch Gegenwärtiges ersetzen muß. Das Saysche Theorem, demnach sich das Angebot die Nachfrage schafft, wird hier zu einem Konkurrenzkampf zwischen Altem und Neuem.

Ideengeschichtlich Spannendes wird von den Autoren zusammengetragen, wie die Überlegungen des amerikanischen Millionärs Bernard London zu einem Verfallsdatum für sämtliche Produkte, ironischerweise nahezu zeitgleich mit Aldous Huxleys „Schöner neuer Welt“ erschienen. Amerikaner sollten hier unter Androhung einer Geldstrafe dazu gezwungen werden, „tote“ Produkte bei einer staatlichen Behörde abzugeben. Radikale Forderungen, die in der Realität durch die subtilen Kniffe der aufkommenden Werbeindustrie kompensiert wurden.

Nicht ohne innere Belustigung erfährt man so, wie bisher noch jede amerikanische Jugendbewegung, die sich vom „Konsumterror“ der vorhergehenden Generation abgrenzen wollte, so ins Visier von Werbestrategen und Produktdesignern geriet. Auch die Lederjacke mußte von jemandem produziert werden, ebenso die nachfolgende Schlaghose und so weiter. Von hier führt ein gerader Weg zu iPhone & Co. als Statussymbol. Ja, man ist bei den kreativen Köpfen angelangt, die in ihrer Kreativität keinen Gedanken daran verschwenden, warum das Gerät nach zwei Jahren nur noch Abfall ist.

Weniger amüsant ist da die weltweite Propagierung sterilen Saatgutes, welche die Autoren gleichfalls im Zusammenhang einer geplanten Obsoleszenz behandeln. Denn hier geht es um essentielle Grundlagen des menschlichen Lebens, die bedroht werden. Spätestens hier dürfte deutlich werden, daß diese innere Logik, der Drang zu einem stetigen Wirtschaftswachstum, eine Verschwendung von Ressourcen darstellt, die irgendwann unsere endliche Welt überfordern wird. Was gibt es für Möglichkeiten, aus diesem circulus vitiosus auszubrechen?

Versöhnliche Lösungsansätze werden aufgezeigt, wie das Projekt eines deutschen Erfinders, beliebige Produkte zu nahezu hundert Prozent zu recyceln. Diese ganzheitliche Erfassung eines Produktes auch in seinem Ende nimmt der geplanten Obsoleszenz ihren betrügerischen Charakter. Analog zum Kreislauf der Natur ist dann auch das Werden und Vergehen eines Kulturerzeugnisses zum Bestandteil einer Welt geworden, die aus dem Ungleichgewicht zum Gleichgewicht findet.

Der Film „The Light Bulb Conspiracy“: www.topdocumentaryfilms.com

 

Fest verbaute Akkus als Ärgernis

Theoretisch halten die Lithium-Ionen-Akkus von Telefonen, Mobilrechnern & Co. viele Jahre – wenn ihr Ladezustand bei einer Temperatur von 15 Grad zwischen 50 und 80 Prozent pendelt. Das ist unrealistisch, ein normaler Akku macht meist nach zwei Jahren schlapp. Ein Austausch wird schwierig, denn in immer mehr Geräten wird die Energiequelle fest eingebaut – Fachwerkstätten verlangen für den Austausch 60 Euro und mehr. Ein wechselbarer Akku mache das Gerät teurer und klobig, behaupten Hersteller wie Apple (iPhone, iPad), HTC (One), Nokia (Lumia) oder Sony (Xperia S). Daß dies nur vorgeschoben ist, beweist Marktführer Samsung, bei dessen Galaxy S4 Akku und Speicherkarte austauschbar sind. Auch bei Nokia war dies bis zum Einstieg des US-Konzerns Microsoft kein Problem. Weitere aktuelle Fälle finden sich in der Studie „Geplante Obsoleszenz“ des Ökonomen Stefan Schridde und von Christian Kreiß, der an der Hochschule Aalen Wirtschaftsingenieurwesen lehrt.

Studie über „Geplante Obsoleszenz”: www.murks-nein-danke.de

Cosima Dannoritzer, Jürgen Reuß: Kaufen für die Müllhalde. Verlag Orange Press, Freiburg 2013, broschiert, 223 Seiten, 20 Euro

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