© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Eine Armee am Rand
Drei Bundeswehroffi ziere analysieren den Zustand der Truppe zwischen Kampfeinsatz und Genderisierung
Erik Lehnert

In den gegenwärtigen Debatten präsentiert sich die Bundeswehr als eine Institution, in welcher vor allem der Mangel verwaltet wird. Das fängt beim mangelnden Interesse des Nachwuchses für den freiwilligen Wehrdienst an und hört mit der mangelnden Fähigkeit, vernünftiges Großgerät zu beschaffen, auf. Hinzu kommt der mangelnde Rückhalt in der Bevölkerung für die Soldaten. Erfolge kann die Bundeswehr eigentlich nur auf dem Feld der Gleichstellung, jedenfalls wenn man dem Rechenschaftsbericht des Wehrbeauftragten Glauben schenken darf, und bei der Hochwasserbekämpfung vorweisen.

Wenn in dieser Situation drei aktive Oberleutnante einen Sammelband unter dem Schlagwort „Soldatentum“ publizieren, muß das wie eine Kampfansage klingen. Denn Soldatentum ist zweifellos ein Wort, das seine große Zeit hatte, als das Militär der Garant von Freiheit und Unabhängigkeit war und man den „Wehrstand“ als einen herausgehobenen ansah. Diese Zeiten sind vorbei. Deshalb klingt Soldatentum heute etwas ungewohnt, so als wollte man aus der Tatsache, daß es Soldaten gibt, eine Ideologie ableiten. Ganz so weit gehen die Autoren allerdings nicht. Was sie fordern, ist ein klares Leitbild, an dem sich der Soldat orientieren kann.

Mit Soldatentum wird keine Militarisierung, sondern eine Differenzierung der Gesellschaft angesprochen, die eben die Eigenheiten des Soldatenberufes anerkennt und fördert. Für die militärische Führung heißt das, die zivilgesellschaftliche Deformierung des Soldatentums einzudämmen. Darin liegt der Konfliktstoff des Buches, den die drei Herausgeber schon am eigenen Leib erfahren durften. Sie mußten sich, als studierende Offiziere, im Spätsommer 2011 gegen einen Maulkorberlaß der Bundeswehr-Universität München wehren, weil sie bereits damals in der Studentenzeitschrift Campus eine entsprechende Debatte anschieben wollten. Das Buch ist nicht zuletzt eine Folge dieser Erfahrung, weil die Universitätsleitung seinerzeit Anstoß an der offen geführten Diskussion über das soldatische Selbstverständnis in der Gegenwart nahm.

Daß die drei Oberleutnante den Gesprächsfaden mit diesem Buch wieder aufnehmen, ist bemerkenswert und wird dadurch erstaunlich, wenn man bedenkt, daß der ehemalige Generalinspekteur Klaus Naumann und der aktuelle Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Ulrich Kirsch Geleitworte beigesteuert haben. Über mangelnde Unterstützung können sich die Herausgeber damit nicht beklagen, und es ist zu hoffen, daß es ihnen gelingt, die Wahrnehmungsschwelle zu überspringen. Das Anliegen, das sie mit diesem Buch vorbringen, ist für die Zukunft der deutschen Armee entscheidend. Es geht ihnen um eine ehrliche Antwort auf die Frage, wozu und wem sie eigentlich dienen, wenn sie sich freiwillig bereiterklären, für die Bundesrepublik den Kopf hinzuhalten.

Neben den Herausgebern haben sich noch zehn weitere Autoren mit längeren Beiträgen beteiligt. Mit Carlo Masala und Michael Wolffsohn sind darunter auch zwei Professoren der Bundeswehr-Universität München, die damals das Anliegen der drei jungen Offiziere öffentlich verteidigt und damit viel zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen haben. In seinem Beitrag geht Masala auf das problematische Verhältnis soldatischer Effektivität und Rückbindung an „demokratische Werte“ ein und kommt zu dem Schluß, daß die Vorteile dieser Bindung die Nachteile überwiegen. Eine Barbarisierung der eigenen Truppen berge immer die Gefahr der schwindenden Einsatzfähigkeit. Etwas zugespitzt lautet der Schluß: Am Ende siegt die Demokratie.

In eine ähnliche Richtung geht Wolffsohns Beitrag, der sich angesichts der Abschaffung der Wehrpflicht um eben den demokratischen Konsens in der Bundeswehr sorgt. Wichtiger ist allerdings seine indirekte Forderung nach Wiedereinführung der Wehrpflicht. Denn nur so, oder durch Anwerbung ausländischer Söldner, könne die Bundeswehr die Aufgaben einer Interventionsarmee erfüllen.

Weitere Beiträge runden die „Suche nach Identität und Berufung der Bundeswehr“ ab. Dabei spielt der Einschnitt von 1989 eine wichtige Rolle, da der bewaffnete Frieden sich als trügerische Illusion erwies. Ein Truppenführer berichtet von seinen Erfahrungen im Einsatz in Afghanistan und dem völligen Unverständnis, auf das er bei seinen zivilen Freunden stieß. Daß dieses Problem nicht zuletzt bei dem selektiven Traditionsverständnis bzw. dem „Leerlauf negativen Erinnerns“ der Bundeswehr seine Ursache hat, wird ebenso angesprochen wie die fehlende nationale Sicherheitsstrategie oder mangelnde Selbstdarstellung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, die sich in Händen von PR-Leuten befindet, die vom Soldatentum keine Ahnung haben.

Daß dabei nicht alles aus einem Guß ist, liegt in der Natur eines Sammelbandes. Die Herausgeber sehen sich selbst eher in der Rolle des Anregers einer Debatte. In ihren eigenen Beiträgen sind sie um klare Worte nicht verlegen, wenn Felix Springer den Soldaten, an Ernst Jünger gemahnend, als Gestalt zu fassen sucht, die durch die Abschaffung der Wehrpflicht ihre Rückbindung an Staat und Volk zu verlieren droht, wenn Larsen Kempf die Bundeswehr durch den Pazifismus der Gesellschaft in der Ausführung des Auftrags behindert sieht oder wenn Martin Böcker das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ als bundesrepublikanische Folklore schildert, die der Wirklichkeit des Soldaten nicht gerecht wird.

Das Dilemma, in dem der junge Offizier heute steckt, läßt sich damit auf einige Gründe zurückführen: Neben der Abschaffung der Wehrpflicht und dem demographischen Niedergang Deutschlands dürften das die mangelnde Souveränität unseres Staates, die bewußte Feminisierung unserer Gesellschaft und unsere Distanzierung von der eigenen Geschichte sein. Als Abhilfe wird von den Herausgebern vor allem eines gefordert: eine Führung, die sich verantwortungsvoll ihrer Soldaten annimmt und sie auch geistig zu führen weiß. Die mangelnde Anerkennung in der Gesellschaft sollte dann das kleinste Problem sein, vor dem echtes Soldatentum steht.

Martin Böcker, Larsen Kempf, Felix Springer (Hrsg.): Soldatentum. Auf der Suche nach Identität und Berufung der Bundeswehr heute. Olzog Verlag, München 2013, gebunden, 224 Seiten, 29,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen