© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/13 / 16. August 2013

Schuldstolz und Vorurteil
Bundespräsident Gauck und die Toten des toskanischen Dorfes Sant’Anna di Stazzema aus dem Sommer 1944
Hans-Joachim von Leesen

Beim Aufenthalt von Bundespräsident Joachim Gauck in Italien im vergangenen März hatte er auch den Ort Sant’Anna di Stazzema besucht, um an das „Massaker der Waffen-SS 1944“ zu erinnern. Die deutschen Soldaten sollen am 12. August 1944 in dem toskanischen Dorf 500 Frauen und Kinder „grausam hingemetzelt“ haben. Dieses als Tatsache vorangestellt, nahm die Rede unseres Staatsoberhaupt den Charakter einer Sühneübung an.

Der Schreiber dieser Zeilen wollte genauere Hintergründe dieses ihm bislang wenig bekannten Massenmordes erfahren. Davon ausgehend, daß der Bundespräsident beziehungsweise sein Mitarbeiterstab sich mit den Hintergründen beschäftigt hatten, richtete er einen Brief an das Bundespräsidialamt mit der Bitte, ihm den konkreten historischen Hintergrund des Geschehens zu nennen.

Einen Monat später traf endlich die erbetene Auskunft ein, ohne daß darin ebendiese konkrete Antwort auf die Frage nach dem historischen Hintergrund des Massenmordes zu finden gewesen wäre. Man erfuhr nur, daß Bundespräsident Gauck „ein Zeichen der Erinnerung an die Hunderte Opfer eines von Deutschen begangenen Verbrechens“ setzen und sich als Vertreter des demokratischen Deutschlands zu seiner besonderen Verantwortung bekennen wollte, damit sich „solche Untaten nie wiederholen dürfen“. Im übrigen verwies der Beamte des Bundespräsidialamtes auf den Abschlußbericht der deutsch-italienischen Historikerkommission, die 2009 von den damaligen Außenministern beider Länder eingesetzt wurde (JF 4/13). Dieserhalb könne man sich an das Deutsch-Italienische Zentrum in Rom wenden.

Aber auch das Zentrum in der italienischen Metropole konnte nichts über die Hintergründe der Massenerschießungen aussagen und verwies ebenfalls auf den Bericht der deutsch-italienischen Historikerkommission. Tatsächlich gibt aber auch dieser Bericht nichts Konkretes über Ursache oder Verlauf dieses angeblichen deutschen Kriegsverbrechens an. Darin wird im allgemeinen berichtet, wie entsetzlich die deutschen Truppen, speziell die Waffen-SS, nach dem Frontwechsel Italiens auf die Seite der Gegner Deutschlands unter der Zivilbevölkerung gehaust hätten. Am Rande erwähnt der Bericht, daß zur selben Zeit italienische Partisanen, die damals als Nichtkombattanten galten und daher außerhalb des Kriegsvölkerrechts standen, im Hinterland die deutschen Truppen angriffen.

Für die historische Quellenkritik nicht uninteressant ist die Darstellung, wie es zu der Erfassung der deutschen Greueltaten gekommen war. Nach Kriegsende hätten italienische Carabinieri in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten Umfragen über das Verhalten der deutschen Besatzer nach 1943 durchgeführt. Dabei seien 3.888 Gewaltakte mit 7.322 von den Deutschen getöteten Italienern ermittelt worden. Diese Zahlen waren und sind die Basis für die italienischen Anklagen.

Nur einzelne Fälle wurden in den Berichten genauer geschildert, so etwa, daß in Belona in Kalabrien die Deutschen 54 Zivilisten „exekutierten“, weil sie sich gegen Vergewaltigungen der Frauen und Mädchen durch deutsche Soldaten gewehrt hatten. Man erfährt auch, daß die Deutschen „Bestien“ gewesen seien, kommt aber auch nicht umhin zu erwähnen, daß es „auch positive Erfahrungen mit Deutschen“ gegeben habe, die aber „überdeckt wurden durch die deutschen Greueltaten“. Eher beiläufig wird geschildert, daß auch nach 1943 in Italien ein grausamer Bürgerkrieg tobte zwischen den überwiegend kommunistischen Partisanen und den italienischen, faschistischen Einheiten, die zu Mussolini hielten, der in Norditalien die „Soziale Republik von Salo“ gegründet hatte und sich weiter an der Seite Deutschlands gegen die alliierten Truppen wehrte.

Dem Bericht zufolge ist die Schlußfolgerung jedoch naheliegend, daß es sich bei den angeblichen deutschen Greueltaten ausschließlich um übernommene Behauptungen handelt, die Italiener nach dem Sieg der Alliierten der Polizei gegenüber machten. Eine vorurteilsfreie sachliche bzw. kriminalistische Untersuchung hat es dagegen in den meisten Fällen eben nicht gegeben. Laut deutschen Unterlagen hat die beschuldigte 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ – in der bergigen Region unweit von Sant’Anna di Stazzema „zur Bandenbekämpfung“ eingesetzt – „270 Banditen beseitigt“. Selbst eine Ende September 1944 eingesetzte US-Untersuchungskommission konnte den genauen Ablauf bzw. die Schuldigen an dem Massaker nicht gesichert ermitteln.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat vor einigen Jahren gegen einige Angehörige der beschuldigten Waffen-SS-Einheit Ermittlungsverfahren durchgeführt, die zuvor 2005 von einem italienischen Militärgericht in Abwesenheit zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die Stuttgarter Ermittler kamen zu dem Schluß, daß „trotz umfangreichen und äußerst aufwendigen Ermittlungen der Behörde und des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg (...) den Beschuldigten eine strafbare Beteiligung an den Geschehnissen nicht nachgewiesen werden“ konnte. Die Verfahren wurden 2012 eingestellt.

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